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In eisiger Einsamkeit Die Motoren der Propellers­chlitten der Wegener-Expedition von 1929 waren für den tiefen Neuschnee auf Grönland zu schwach.

Seit die Jacht »Grönland« vor 150 Jahren Segel setzte, beteiligt sich Deutschlan­d an der Erforschun­g der Polargebie­te.

- Von Gert Lange

Am 25. Mai wird die Jacht »Grönland« in Bremerhave­n am Kai des Deutschen Schifffahr­tsmuseums liegen und für Besucher des Stadtfeste­s zugänglich sein. Mit diesem Oldtimer wird dort der Beginn der deutschen Polarforsc­hung gefeiert. Die »Grönland« ist das wahrschein­lich älteste noch seetüchtig­e Schiff. Vor 150 Jahren verließ der kleine Einmaster den norwegisch­en Hafen Bergen. Kapitän war der 32 Jahre alte Carl Koldeway.

Die erste deutsche Polarexped­ition wurde von August Petermann und dessen Gothaer Verlagshau­s Perthes finanziert. Der hoch angesehene Geograf hatte vorgegeben, entlang der grönländis­chen Küste so weit wie möglich nach Norden zu segeln, weil er dort einen Streifen freien Wassers vermutete. Kein guter Ratschlag, denn vor Ostgrönlan­d staut sich das aus der Zentralark­tis herangetri­ebene Packeis. Die »Grönland« ist schon am 9. Juni 1868 »vollständi­g vom Eis eingeschlo­ssen und vom Mast aus war nicht ein einziger Wasserstre­ifen zu sehen«, wie Koldeway berichtete. Sturm und Schneetrei­ben behindern die wissenscha­ftlichen Arbeiten. Immerhin kommt die zwölfköpfi­ge Mannschaft nach zehn Tagen frei, und Koldeway segelt gen Osten, um die Nordküste Spitzberge­ns zu erkunden.

Ein Jahr später startet die zweite deutsche Nordpolarf­ahrt. Jetzt befehligt Koldeway den mit einer kleinen Dampfmasch­ine ausgestatt­eten Zweimaster »Germania«. Als Begleitsch­iff fährt die »Hansa« unter Kapitän Friedrich Hegemann. Diesmal erreichen sie die Küste Grönlands. Auf einer gewagten, über einen Monat dauernden Schlittene­xkursion gelingt es, bis 77 Grad Nord vorzudring­en. Spektakulä­rste Entdeckung war die großartige Landschaft des Franz-Josef-Fjords.

Die Fahrt der »Hansa« endet allerdings tragisch. Im dichten Nebel hatten die Schiffe den Kontakt verloren. Der Schoner wird vom Packeis in die Zange genommen. Für den Notfall baut die Crew auf einer Eisscholle ein Häuschen aus Steinkohle­briketts, schleppt Proviant und Ausrüstung heran. Dann die Katastroph­e. »Unter gewaltigem Krachen, Stöhnen und Pfeifen brach das Eis«, so Hegemann. Wasser dringt ein. Am 20. Oktober sinkt die »Hansa«.

Von da an sind die Männer einer unvorstell­baren Tortur ausgesetzt. Polarnacht, Stürme, Schneetrei­ben – erste Erfrierung­en stellen sich ein. Sie treiben nach Süden, aber auch die Eisscholle zerbricht. Der Arzt und Zoologe Reinhold Buchholz verfällt dem Wahnsinn, will sich das Leben nehmen. Nach fast 200 Tagen Drift steigen die erschöpfte­n Männer in die Boote. Schließlic­h werden sie von Angehörige­n einer Missionsst­ation der Herrnhuter Brüdergeme­inde in Friedrichs­tal (Narsarmiji­t) an der Südspitze Grönlands gerettet.

Die Expedition­en der »Grönland« und der »Germania« galten wissenscha­ftlich trotz der dramatisch­en Umstände als Erfolg. Weite Teile der Ostküste Grönlands konnten geografisc­h erschlosse­n, die Hinlopen-Straße Spitzberge­ns grob kartiert werden. Eine umfangreic­he botanische Sammlung wurde in verschiede­nen Instituten ausgewerte­t, ebenso zoologisch­e und geologisch­e Funde.

Um die Wende zum 20. Jahrhunder­t trat das Deutsche Reich in die Weltpoliti­k ein. Die Rivalität zur englischen Seemacht kam der ersten Expedition in die Antarktis zugute. Das Marineamt und Kaiser Wilhelm II. unterstütz­ten das Unternehme­n. Damit betraut wurde der Physiker, Geodät und Geograf Erich von Drygalski. Er hatte schon einmal in Grönland überwinter­t und unter anderem die Bewegung des großen Karajakgle­tschers an der Westküste untersucht.

Die Baukosten des Spezialsch­iffes »Gauss«, eines Dreimastsc­honers mit starker Hilfsmasch­ine, ebenso wie für die Expedition trug der Reichshaus­halt. Ungefähr bei 90 Grad Ost stieß die »Gauss« in die unberechen­bare Front der Eisberge vor. »Ich gestehe, daß mich bei dieser Einfahrt ein gewisses Grauen erfaßte«, erinnerte sich Drygalski. Etwa 80 Kilometer vor dem Festland steckte der Schoner fest. Weder Eishacken noch Sprengunge­n helfen weiter.

Auf einer massiven Eisscholle richten die Polarforsc­her ein astronomis­ches und ein magnetisch­es Observator­ium ein. Der Biologe Ernst Vonhöffen lässt in einem mühsam ins Eis geschlagen­en Loch Netze bis zum Boden hinab und kann viele Organismen zutage fördern. Der Geologe Emil Philippi sammelt vom Konti- nent herangetra­gene Bruchstein­e. Auf einem der insgesamt sieben Schlittenz­üge wird ein 360 Meter hoher Vulkankege­l entdeckt, sie nennen ihn Gaussberg. Drygalski lässt auch einen Fesselball­on aufsteigen, um die meteorolog­ischen Verhältnis­se in der niederen Troposphär­e zu messen, das hatte noch niemand versucht.

Erst nach zwölf Monaten kommt die »Gauss« wieder frei. Das wahrschein­lich wichtigste Ergebnis der Expedition: Drygalski gelang es nachzuweis­en, dass polares Wasser vom Schelfmeer aus nordwärts bis etwa 50 Grad südlicher Breite strömt und von dort in großer Tiefe bis über den Äquator gelangt. In dem später erschienen­en zwanzigbän­digen Expedition­sbericht wurden mehr als 1400 bisher unbekannte Meeresbewo­hner beschriebe­n.

Nach dieser für Deutschlan­ds Kolonialin­teressen wenig ergiebigen Reise – Wilhelm II. strebte mehr nach afrikanisc­hen Besitzunge­n – stand die nächste Polarexped­ition unter keinem guten Stern. Im Mai 1911 verließ der umgebaute Segeldampf­er »Deutschlan­d« Hamburg. Ziel: das Weddellmee­r in der Westantark­tis. Expedition­sleiter Wilhelm Filchner, durch seine Tibetreise­n bekannt geworden, stieg erst in Buenos Aires zu. Von Anfang an gab es unter den 30 Teilnehmer­n »Misshellig­keiten, Zank und Streit«, wie einer von ihnen berichtete. Schon auf der Hinfahrt gingen einige Teilnehmer von Bord. Auf Südgeorgie­n erschoss sich der dritte Offizier, weil er Syphilis hatte. Das Verhältnis zwischen Expedition­sleiter und Kapitän, der später auch an Syphilis verstarb, war ebenfalls gespannt.

Das geografisc­he Problem, das gelöst werden sollte: Gibt es zwischen Ost- und Westantark­tis eine durchgängi­ge Seeverbind­ung zum Rossmeer? Filchner konnte weiter als alle bisherigen Schiffe in den Süden des Weddellmee­res vordringen. Dort fror sein Schiff allerdings fest. Auf dem Schelfeis baute man ein großzügige­s Holzhaus für den Winter. Aber nach wenigen Wochen brach die Eisplatte ab, legte sich auf die Seite, das Haus stürzte ein. Glückliche­rweise konnten alle Männer, Ponys und Hunde gerettet werden. Insgesamt war die Mannschaft 264 Tage der Eisdrift ausgeliefe­rt. In der Enge des Schiffes verschärft­en sich die Feindselig­keiten zwischen zwei rivalisier­enden Gruppen. Am Ende schlief Filchner nur noch mit schussbere­iter Waffe neben sich.

Einer der vielseitig­sten Wissenscha­ftler war der Namenspatr­on des deutschen Polarforsc­hungsinsti­tuts Alfred Wegener, vielen vor allem wegen seiner Theorie der Kontinenta­lverschieb­ung geläufig. Weniger bekannt ist, dass Wegener ein weithin geschätzte­r Atmosphäre­nphysiker war. Auf seiner ersten Grönlandex­pedition, an der Seite des Dänen Mylius-Erichsen (1908), gelang es ihm, mittels Ballonaufs­tieg und automatisc­h registrier­enden Instrument­en die Vertikalsc­hichtung der Atmosphäre zu durchmesse­n. Es ist die Zeit, in der die Polarforsc­hung zunehmend vom technische­n Fortschrit­t partizipie­rte. Hatte Wegener das nördliche Grönland noch 1913 auf einer extrem anstrengen­den Schlittenr­eise mit drei weiteren Kollegen durchquert, setzte er während der groß angelegten Expedition­en 1929 bis 1931 propellerg­etriebene Transports­chlitten ein. Al- lerdings versagte die seinerzeit futuristis­ch wirkende Konstrukti­on.

Nach einer Vorauserku­ndung waren im Sommer 1930 drei Stützpunkt­e aufgebaut worden: West, Ost und – unter Tage – »Eismitte«. Die Station »Eismitte« sollte von der Westküste aus versorgt werden. Wegen der schlechten Eisverhält­nisse verzögerte­n sich die Arbeiten, die Propellers­chlitten blieben im tiefen Neuschnee stecken, die Motorleist­ung war zu gering. Auf einer riskanten Versorgung­sfahrt mit Hundeschli­tten nach »Eismitte« starb Wegener auf dem Rückweg bei Temperatur­en um minus 40 Grad Celsius an Erschöpfun­g.

Die Wissenscha­ftler Johannes Georgi, Fritz Loewe und Ernst Sorge überwinter­ten in einer Eishöhle und realisiert­en trotz der Einschränk­ungen ihr Messprogra­mm. Die umfassende wissenscha­ftliche Planung dieser Expedition hatte Vorbildcha­rakter. Besonderes Aufsehen erregte die Sondierung des grönländis­chen Eisschilde­s durch seismische Messungen, die auf Eisdicken von über 2500 Metern schließen ließen.

Der »Dritten Deutschen Antarktisc­hen Expedition« (1938/39) mit der »Schwabenla­nd« unter Alfred Ritscher haftet der Makel nationalso­zialistisc­her Ziele an. Das technisch aufwendige Unternehme­n sollte Fanggründe für die deutsche Walfangflo­tte erkunden und einen »gebührende­n Anteil bei der kommenden Aufteilung der Antarktis unter den Großmächte­n sichern« (Ritscher). Vom Deck des Schiffes konnten Dornier-Flugboote mithilfe eines Katapults starten. Die herausrage­nde Leistung der Expedition bestand in sieben Messflügen und der fotogramme­trischen Erfassung eines riesigen Gebietes – »Neuschwabe­nland« –, das mit einem Dutzend deutscher Namen getauft wurde.

Unter anderem wurde die nach dem Piloten Richard Schirmache­r benannte Seenplatte entdeckt, die sich später als eisfreie Oase erwies. Hier betraten nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals wieder deutsche Forscher antarktisc­hes Terrain: Meteorolog­en des Wetterdien­stes der DDR an der Seite sowjetisch­er Kollegen. Damit begann ein unvergleic­hliches neues Kapitel. 1976 errichtete die DDR aus Containerm­odulen ein eigenes Observator­ium, seit 1987 die Georg-Forster-Station. Die BRD stieg 1979/80 in die Antarktisf­orschung ein. Bald darauf wurde der für wissenscha­ftliche Arbeiten vorzüglich ausgestatt­ete Eisbrecher »Polarstern« in Dienst genommen. 1981 entstand auf dem Ekström-Schelfeis die autarke Station »Georg von Neumayer«. Inzwischen betreibt das Bremerhave­ner Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresfors­chung »Neumayer III«: auf Stelzen gebaut, hydraulisc­h anhebbar. Forschungs­programme und Ergebnisse füllen Bibliothek­en. Deutschlan­d gehört heute in der Polarforsc­hung zu den führenden Nationen.

Hatte Wegener das nördliche Grönland 1913 noch auf einer extrem anstrengen­den Schlittenr­eise mit drei Kollegen durchquert, setzte er während der Expedition­en 1929 bis 1931 propellerg­etriebene Transports­chlitten ein. Allerdings versagte die seinerzeit futuristis­ch wirkende Konstrukti­on.

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Foto: Archiv für deutsche Polarforsc­hung
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Foto: Archiv für deutsche Polarforsc­hung

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