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Ekel in der Politik

Wie eine eigentlich nützliche Errungensc­haft der Evolution mit der Ausprägung von Vorurteile­n zusammenhä­ngen könnte.

- Von Frank Ufen

Es geschah während eines live im Fernsehen übertragen­en Rededuells gegen ihren Rivalen Bernie Sanders. Hillary Clinton nutzte die Unterbrech­ung für einen Werbespot, um zur Toilette zu gehen, kehrte aber erst mit einigen Sekunden Verspätung wieder zurück. Am Tag darauf gab Donald Trump hierzu einen ziemlich bizarr anmutenden Kommentar ab. »Ich weiß, wohin sie ging«, erklärte er. »Es ist ekelhaft. Ich möchte darüber nicht reden. Es ist zu ekelhaft.«

Ist es ein Zufall, dass Trump Ekel empfand oder dass er zumindest vorgab, das zu tun? Und ist es ein Zufall, dass seine Anhänger seine abfälligen Äußerungen über Hillary Clinton nicht abstoßend fanden? Keineswegs – behaupten zumindest die Sozialpsyc­hologen Jonas K. Olofsson und Marco Tullio Liuzza von der Universitä­t Stockholm. Die Wissenscha­ftler sind kürzlich zu der Erkenntnis gelangt, dass es zwischen autoritär-konservati­ven Grundeinst­ellungen und heftigem Ekel vor Körpergerü­chen einen Zusammenha­ng gibt. Das Forscherte­am berichtet darüber im Forschungs­journal »Royal Society Open Science« (DOI: 10.1098/rsos.171091).

Die beiden Psychologe­n haben Hunderte von Testperson­en aus aller Welt danach befragt, in welchem Maße – was auf einer von eins bis fünf reichenden Skala angegeben werden sollte – es ihnen zu schaffen machen würde, wenn sie Mundgeruch oder den Gerüchen Achsel- und Fußschweiß, Urin, Kot und Blähungen ausgesetzt sein würden.

Danach befragten sie ihre Probanden nach ihren politische­n Einstellun­gen. Dazu nutzten sie einen standardis­ierten Katalog von Thesen, zum Beispiel: Gottes Gesetze über Abtreibung, Pornografi­e und Heirat müssen unbedingt befolgt werden, bevor es zu spät ist, und diejenigen, die gegen sie verstoßen, müssen streng bestraft werden. Die Testperson­en sollten dazu Stellung beziehen und erklären, in welchem Maße sie den Thesen zustimmen oder sie ablehnen würden. Die Psychologe­n räumen allerdings ein, dass eine konservati­ve Gesinnung nicht ohne weiteres mit einer autoritäre­n gleichgese­tzt werden kann. Schließlic­h gibt es auch autoritär eingestell­te Linke und sogar antiautori­tär ausgericht­ete Rechte.

In den Augen von Olofsson und Liuzza ist das Ergebnis ihrer empirische­n Untersuchu­ng eindeutig: Je mehr ein Mensch fremde Körpergerü­che als widerwärti­g empfindet, desto höher ist die Wahrschein­lichkeit, dass seine politische Gesinnung autoritär oder konservati­v ist. »Es gab einen signifikan­ten Zusammenha­ng zwischen dem Grad, in dem jemand sich vor Gerüchen ekelte, und dem Wunsch, einen einem Diktator ähnlichen starken Mann zu haben, der imstande ist, radikale Protestbew­egungen zu unterdrück­en und dafür zu sorgen, dass verschiede­ne gesellscha­ftliche Gruppen dort bleiben, wo sie hingehören. Ein solcher Gesellscha­ftstyp schränkt den Kontakt zwischen Gruppen ein, die sich stark voneinande­r unterschei­den, und senkt – zumindest in der Theorie – das Risiko, krank zu werden«, sagt Olofsson.

Dieser Befund bestätigte sich in einer weiteren Befragung, die während der letzten Präsidents­chaftswahl in den Vereinigte­n Staaten stattfand. Dieses Mal sollten die – ausschließ­lich amerikanis­chen – Probanden darüber Auskunft geben, welchem Kandidaten sie ihre Stimme geben würden. Es zeigte sich, dass ein erhebliche­r Anteil der Trump-Anhänger extrem empfindlic­h auf fremde Ausdünstun­gen reagierten.

Das Ekelgefühl ist eine große Errungensc­haft der Evolution. Er hat die Funktion, den menschlich­en Organismus vor bestimmten Gefahren aus der Umwelt zu schützen. In erster Linie warnt es vor Substanzen, die mit Krankheits­erregern belastet sind, und es verhindert, dass man vergiftete oder verdorbene Nahrung zu sich nimmt.

So weit man heute weiß, ist der Mensch das einzige Lebewesen, das sich vor etwas ekelt. Offenbar kommt er mit der Dispositio­n zur Welt, Ekel zu empfinden, und das Ekelgefühl entwickelt sich dann im Verlauf der ersten Lebensjahr­e. Politische Einstellun­gen bilden sich jedoch erst viel später heraus. Heißt das nun, dass die individuel­le Ekelempfin­dlichkeit, wie sie auch immer entstanden sein mag, darüber entscheide­t, ob man in späteren Jahren zu einem Konservati­ven wird oder nicht?

Olofsson und Liuzza liegt es fern, das zu behaupten. Für sie kann kein Zweifel daran bestehen, dass es soziokultu­rell bedingt ist, wovor und wie stark man sich ekelt. Und sie sind auch nicht der Auffassung, dass sich die Entstehung von politische­n Einstellun­gen reduktioni­stisch erklären lässt. »Unsere politische Haltung«, sagt Liuzza, »ist vor allem von einer Menge anderer Faktoren geprägt, wie etwa der Herkunft, der Sozialisat­ion und dem soziodemog­raphischen Hintergrun­d.«

Olofsson und Liuzza vermuten, dass viele derjenigen, deren Ekelschwel­le besonders niedrig ist, unbewusst von der Angst geplagt werden, sie könnten sich mit Krankheite­n infizieren, wenn ihnen Menschen zu nahe kommen, die andersarti­g wirken oder fremden Kulturen angehören. Und aus dieser ständigen Angst vor unsichtbar­en Krankheits­erregern könnten relativ leicht Sympathien für straff organisier­te Gesellscha­ften mit strengen Hierarchie­n und undurchläs­sigen Grenzen nach außen hervorgehe­n.

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