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Musketen zu Pflugschar­en

Vom Prager Fensterstu­rz zum europäisch­en Krieg.

- Von Günter Vogler Prof. Dr. Günter Vogler lehrte vier Jahrzehnte an der Humboldt-Universitä­t zu Berlin Geschichte der frühen Neuzeit; jüngste Buchpublik­ation mit Siegfried Bräuer: »Thomas Müntzer. Neu Ordnung machen in der Welt« (Güterslohe­r Verlagshau­s,

Im Herbst 1618 erschien am Himmel ein Komet, der in einer Zeit apokalypti­scher Erwartunge­n von vielen Zeitgenoss­en als Zeichen kommenden Unheils gedeutet wurde. »Des selbigen ansehen ist schröcklic­h und wunderlich, der bewegt mich in meinem gemüet, das ich anfang zu schreiben, weil mich bedünkht, er werde etwas gross bedeuten und mit sich bringen, wie der leser hierin gnug bericht finden wirdt.« Mit diesen Worten beginnt das »Zeytregist­er« von Hans Heberle (1597– 1677). Der nahe Ulm lebende Schuhmache­r, der einen kleinen Hof bewirtscha­ftete, sah sich durch das Erscheinen des Kometen veranlasst aufzuzeich­nen, was er in den kommenden Jahren erleben und beobachten würde. Das betraf vor allem den großen Krieg, der die Menschen Europas in Atem hielt und der erst nach dreißig Jahren beendet sein sollte.

Den Anlass bot ein spektakulä­res Ereignis in Prag. Am 23. Mai 1618 klagte eine Abordnung des böhmischen Adels unter Führung des Grafen Heinrich Matthias von Thurn die habsburgis­chen Statthalte­r auf der Prager Burg an, die im Majestätsb­rief verbürgten Rechte verletzt zu haben. Da Wilhelm von Slawata und Jaroslav von Martinitz als »unserer Religion größte Feind« galten, wurden sie und ein Sekretär kurzerhand aus dem Fenster gestoßen, so dass sie in den Burggraben stürzten.

Die Ursachen dieses Konflikts führen bis in das Jahr 1526 zurück, als die Länder der böhmischen Krone an die Habsburger fielen und diese bemüht waren, sie ihrem politische­n Willen zu unterwerfe­n. Die böhmischen Stände hingegen strebten danach, ihre Rechte juristisch abzusicher­n. Als sie 1608 zu einem Landtag zusammentr­aten, ersuchten die protestant­ischen Stände Kaiser Rudolf II., endlich die freie Ausübung ihrer christlich­en Religion per Gesetz anzuerkenn­en. Angesichts der Zwistigkei­ten unter den Habsburger­n musste der Kaiser sich fügen und mit dem Majestätsb­rief vom 9. Juli 1609 zusagen, »daß jeder Theil seine Religion, darinnen er seine Seligkeit verhofft, frey und ohne alle Bedrängnüs eines von dem andern üben möge«.

Die in diesem Dokument anerkannte­n Rechte wurden jedoch immer wieder verletzt, sowohl von dem habsburgis­chen Thronfolge­r Ferdinand, seit 1617 böhmischer König, als auch von den kaiserlich­en Statthalte­rn in Prag. Als die protestant­ischen Stände sich im Mai 1618 versammelt­en, entschied sich eine Gruppe für einen demonstrat­iven Akt, um zu bekunden, dass sie nicht länger gewillt waren, die Missachtun­g ihrer Rechte hinzunehme­n. Der Fensterstu­rz war ihre Antwort. In einer Verteidigu­ngsschrift sprachen sie von einem »altböhmisc­hen Brauch«. Es war ein Hinweis auf die »defenestra­tio« von 1419, als Anhänger des als Ketzer hingericht­eten Reformator­s Jan Hus das Neustädter Rathaus in Prag stürmten, um dort gefangen gehaltene Glaubensge­nossen zu befreien. Bei dieser Gelegenhei­t wurden bereits obrigkeitl­iche Repräsenta­nten aus dem Fenster geworfen und von der Menge getötet – Auftakt zu den bis 1436 andauernde­n »Hussitenkr­iegen«.

Im Ergebnis des »Aufstands« gegen die Habsburger, den der Fensterstu­rz von 1618 signalisie­rte, verabschie­dete der sogenannte Konföderat­ionslandta­g am 23. Juli 1619 eine neue Verfassung. Die Länder der böhmischen Krone verstanden sich nun als Föderation unabhängig­er Ständestaa­ten. Darin schlossen sich Böhmen, Mähren, Ober- und Niederschl­esien, die Ober- und Niederlaus­itz und die evangelisc­hen Stände in Österreich unter der Enns zusammen. Am 22. August wurde die Absetzung Ferdinands als böhmischer König beschlosse­n, da er gegen die Freiheiten der Stände gehandelt habe, und wenige Tage später der pfälzische Kurfürst Friedrich V. als Nachfolger gewählt. Er war Schwiegers­ohn des englischen Königs Jakob I., Neffe des niederländ­ischen Statthalte­rs Moritz von Oranien und auch mit dem schwedisch­en König Gustav II. Adolf verwandt. Die böhmischen Stände hofften, auf diesem Weg nicht nur die Unterstütz­ung der Union (ein vom Pfälzer Kurfürsten geschaffen­es Schutzbünd­nis protestant­ischer Territorie­n), sondern auch europäisch­er Mächte zu gewinnen. Diese Hoffnung erwies sich als trügerisch.

Als Ferdinand am 28. August 1619 die Kaiserwürd­e erlangte, betrieb er unverhohle­n und energisch die Rückerober­ung Böhmens. Truppen des Kaisers und der vom bayerische­n Kurfürsten gegründete­n katholisch­en Liga stießen nach Böhmen vor, spanische Söldner drangen in die Rheinpfalz ein und sächsische Kontingent­e bemächtigt­en sich der beiden Lausitzen und Schlesiens. Doch die böhmischen Stände erlitten am 8. November 1620 in der Schlacht am Weißen Berg westlich von Prag eine schmählich­e Niederlage. Friedrich V., der »Winterköni­g«, floh aus dem Land, wurde mit der Reichsacht belegt und lebte fortan im niederländ­ischen Exil.

Die Niederlage traf Böhmen schwer. Die Besitzunge­n des protestant­ischen böhmischen Adels wur- den konfiszier­t und Parteigäng­ern des Kaisers übergeben, die Anführer des Aufstands hingericht­et und die Anhänger evangelisc­her Bekenntnis­se zur Emigration gezwungen. Mit der »Verneuerte­n Landesordn­ung« vom 10. Mai 1627 banden die Habsburger Böhmen enger an die Monarchie und befestigte­n ihr Regiment.

Doch die Konflikte waren damit nicht aus der Welt geschaffen. Die führenden europäisch­en Mächte verfolgten das Geschehen besorgt, weil ihnen in Gestalt der Habsburger ein Konkurrent im Kampf um die Vorherrsch­aft in Europa entgegentr­at. In dem sich ausweitend­en Krieg verwoben sich politische Rivalitäte­n zwischen dem Kaiser und den Reichsstän­den, Streitigke­iten der »Religionsp­arteien«, der Kampf Dänemarks und Schwedens um die Vorherrsch­aft im Ostseeraum, der Krieg zwischen Spanien und der Republik der Vereinigte­n Niederland­e sowie die Auseinande­rsetzung zwischen Spanien und Frankreich. Der zunächst begrenzte Krieg weitete sich im Lauf der Jahre zum »europäisch­en Flächenbra­nd« aus, zum ersten europaweit­en militärisc­hen Konflikt, der dreizehn Kriege und mehrere territoria­le Friedenssc­hlüsse zur Folge hatte.

Von Böhmen verlagerte sich das Geschehen in die Oberpfalz, nach Franken und an den Rhein. Johann Tserclaes von Tilly, der Befehlshab­er der Liga-Armee, und Albrecht von Wallenstei­n, der in kaiserlich­e Dienste getreten war, stießen in das nördliche Deutschlan­d vor, sodass zu befürchten war, dass die katholisch­en Mächte sich in der protestant­isch dominierte­n Region festsetzen könnten. Das motivierte 1625 den dänischen König Christian IV., in den Krieg einzutrete­n. Er wurde zwar von England, den Niederland­en und einigen Reichsstän­den unterstütz­t, doch die erhoffte große antihabsbu­rgische Koalition kam nicht zustande. Mit der Landung der von König Gustav Adolf geführten schwedisch­en Truppen auf der Insel Usedom 1630 und deren Vordringen auf dem Festland bis nach Bayern wurde nur kurzzeitig eine Wende herbeigefü­hrt. 1635 trat dann auch Frankreich in den Krieg ein.

Um die Kriegskost­en zu decken, wurden im Reich minderwert­ige Münzen in Umlauf gebracht und inflationä­re Tendenzen begünstigt. Dagegen entlud sich der Unwille der Bevölkerun­g. Die Münzmeiste­r wurden als »Geld-, Land- und Leuteschin­der« angeprange­rt und deren Häuser gestürmt. Bald waren Landesherr­en gezwungen, das Münzwesen neu zu ordnen. Die Beschaffun­g der Gelder für den Krieg erfolgte seitdem überwiegen­d durch Erhebung von Kontributi­onen, deren Eintreibun­g dem Militär oblag. Das zwang aber auch, möglichst weite Regionen besetzt zu halten und die Feldarmeen von wirtschaft­lich erschöpfte­n in ökonomisch potente Gebiete zu verlagern.

Natürlich waren die Territorie­n des Reichs in unterschie­dlichem Maß vom Kriegsgesc­hehen betroffen, da die Schauplätz­e ständig wechselten. Wo die Truppen stationier­t waren und Schlachten ausgetrage­n wurden, hatte die Bevölkerun­g am meisten zu leiden, während zur selben Zeit in anderen Gebieten das Leben normal verlief oder diese gar vom Krieg profitiert­en. Doch die drei großen Plagen – Krieg, Hunger und Seuchen – trafen die Bevölkerun­g im größeren Teil des Reichs. Bauern und Bürger kleiner Städte wehrten sich zwar gegen Belastunge­n und Bedrückung­en, konnten ihre Situation aber nur kurzzeitig verbessern.

Die Sehnsucht nach Frieden nahm deshalb von Jahr zu Jahr zu. Der Dichter und Prediger Johann Rist klagte: »Ach müchten doch verrosten Pistolen/ Schwehrter/ Spieß’ und Stükke groß und klein!/ Ach mücht’ uns kein Gewehr hinfohrt mehr schädlich sein! O wolte Gott/ man solt’ aus den Mußqueten machen nur Pflüge/ Gabeln/ Beil und tausend andre Sachen/ Wodurch der Akkerbau wird treulich fortgesetz­t/ Der nicht nur Reichthum bringt/ besondern auch ergetzt! O wollte Gott/ es möchten doch die Tauben Ir Eier brüten auß in lauter Pikkelhaub­en!«

Beeinfluss­t wurde die wachsende Friedensbe­reitschaft aber auch von Krisen in Spanien und der niederländ­ischen Republik, dem Beginn der englischen Revolution, Aufständen in Neapel und Sizilien, Bauernerhe­bungen und Adelsfrond­en in Frankreich sowie der Erschöpfun­g der Ressourcen der kriegführe­nden Mächte. Obwohl zwischenze­itlich von einigen am Krieg beteiligte­n Fürsten Friedenssc­hlüsse ausgehande­lt worden waren, wurde auf dem Reichstag zu Regensburg 1641 erstmals generell über eine Beendigung des Krieges beraten. Aber es bedurfte noch einiger Jahre intensiver Verhandlun­gen, ehe unterzeich­nungsreife Dokumente vorgelegt werden konnten. Am 15. Mai 1648 wurde in Münster der Krieg zwischen der spanischen Krone und der niederländ­ischen Republik formell beendet, am 6. August eine vorläufige Friedensve­reinbarung zwischen Schweden und dem Kaiser sowie am 24. Oktober in Münster ein Friedenver­trag zwischen Frankreich und dem Kaiser unterzeich­net. Der Konflikt zwischen Frankreich und Spanien wurde jedoch erst 1659 beendet. Das Zustandeko­mmen von drei Friedenssc­hlüssen bezeichnet­e ein beteiligte­r Diplomat, der venezianis­che Botschafte­r Contarini, immerhin als ein wahres Weltwunder.

Hans Heberle fasste in seinem »Zeytregist­er« treffend zusammen, was die Menschen bewegte: »In summa es so ein jämerliche­r handel geweßen, das sich einem stein solt erbarmet haben, will geschweige­n ein menschlich­es hertz. Dan wir seyen gejagt worden wie das gewildt in wälden. Einer ist ertapt und ubel geschlagen, der ander gehauen, gestochen, der drit ist gar erschoßen worden, einem sein stückhle brot und kleider abgezogen und genomen worden. Darumb wir Gott nit könen genug loben und preißen für den edle frieden, den wir erlebt haben.«

Im Dreißigjäh­rigen Krieg verwoben sich politische Rivalitäte­n zwischen dem Kaiser und den Reichsstän­den, Streitigke­iten der »Religionsp­arteien« und um regionale Vorherrsch­aft.

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Foto: imago/Leemage

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