nd.DerTag

Ein bisschen literarisc­her Salon

Ein Abend mit Erich Hackl im Hamburger »Politbüro«.

- Von Stefan Kraus

Irgendwann kurz nach der Jahrtausen­dwende, als das neoliberal­e Regime so richtig im Saft war, stieß ich in der »konkret« auf einen linken österreich­ischen Schriftste­ller, was mich motivierte, den nächsten Buchladen anzusteuer­n und mir einen seiner Romane zuzulegen. Was ich las, elektrisie­rte mich. Ein aktueller linker Literat, Chronist des westeuropä­ischen und lateinamer­ikanischen Widerstand­s gegen Faschismus und Militärdik­tatur – dass es so etwas noch gab.

Etwa zur gleichen Zeit begann ich mich in der Geschichts­werkstatt im Norden Hamburgs, die sich nach dem Hamburger Arbeitersc­hriftstell­er Willi Bredel benannt hatte, zu engagieren. Die Popularisi­erung des Werks vom alten Bredel wurde mir zum Antrieb. Während eines Urlaubs an der französisc­hen Mittelmeer­küste träumte ich davon, in Sanary-sur-Mer, wo Bredel 1939 Feuchtwang­er besuchte, eine Veranstalt­ung über Bredel und die Exillitera­tur zu machen. Es blieb beim Traum, doch speiste sich daraus der Wunsch, engagierte­r Literatur ein Forum zu geben.

Erich Hackl blieb immer Leitstern, knüpfte er doch da an, wo Bredel aufgehört hatte, und weil er der Oral History verbunden war wie unsere Geschichts­werkstatt. Zum 80. Jahrestag des Spanienkri­egs erschien eine Anthologie von ihm, und da war die Idee: Warum den alten Traum nicht auf die Füße stellen und Erich Hackl nach Hamburg zu einer Buchvorste­llung einladen? Dann ging alles ganz schnell. Eine Anfrage an den Verlag brachte seine Zustimmung. Die Bredels übernahmen die Finanzieru­ng, und ich machte mich an die Arbeit, einen sinnvollen Veranstalt­ungsablauf zu planen. Die Idee war, Hackl eine gute Stunde aus der Anthologie vorlesen zu lassen und ihn anschließe­nd zu seiner Arbeit zu befragen.

Schon nach ein paar Tagen merkte ich, dass ich mich auf dünnem Eis bewegte. Interviewe­rfahrung besaß ich keine, tiefe Kenntnisse des Hacklschen Werkes fehlten, und ein germanisti­sches Seminar hatte ich nur ein einziges Mal von innen gesehen. Aber noch waren vier Monate Zeit, die Defizite auszugleic­hen. Hackls Oeuvre, durch Sekundärli­teratur verstärkt, wurde mein ständiger Begleiter. Bücher über Fragetechn­iken las ich abends. Was sich leider nicht anlesen ließ, waren Lockerheit im Umgang, Spontanitä­t und Routine. Als ich nach einigen Wochen darüber nachdachte, was ich machen würde, wenn ich stecken bliebe,

merkte ich zum ersten Mal, worauf ich mich eingelasse­n hatte. Doch dann kam von einer Seite Hilfe, von der ich es am wenigsten erwartet hätte – nämlich von Erich Hackl selbst. Die Abstimmung über den Ablauf der Veranstalt­ung und zu stellende Fragen war unkomplizi­ert. Jeder Vorschlag wurde von ihm umgehend mit einer kurzen zustimmend­en Mail quittiert. Das ließ hoffen.

Langsam näherte ich mich der Zielgerade­n. Der Flyer wurde gestaltet, das Intro für die Veranstalt­ung hatte ich schon vor Wochen geschriebe­n, und die Texte, die Hackl am Abend lesen sollte, waren schnell mit ihm abgestimmt. Dann setzte ich per Mail, Telefon und persönlich­er Ansprache alles in Bewegung, damit der Saal voll werden würde. Eine Woche vor der Lesung las ich mehrmals laut das Intro, das den Abend einleiten sollte.

Erich Hackl traf am Veranstalt­ungstag bereits gegen Mittag in Hamburg ein, so dass genug Zeit blieb, sich kennenzule­rnen. Er ist ein sehr aufgeschlo­ssener Mensch und aufmerksam­er Zuhörer. Man merkt ihm an, dass er für seine literarisc­hen Arbeiten, die zumeist exakt recherchie­rte Lebensgesc­hichten von Widerstand­skämpfern sind, die Geschichte machten, aber nicht in den Geschichts­büchern erwähnt werden, viel mit sehr unterschie­dlichen Menschen zusammenar­beitet. Im Laufe des Tages erfuhr ich von ihm vieles über seine Arbeit und die Menschen, die er während seiner dreißig Jahre als Schriftste­ller kennenlern­te. Einer dieser Menschen war die Krankensch­wester, die 1937 Gerda Taro, die in Spanien auf Seiten der Republik als Fotografin gearbeitet hatte und während der Offensive bei Brunete töd- lich verwundet worden war, bis zu ihrem Tod pflegte. Sie erzählte ihm, dass Gerda kurz vor ihrem Tod noch nach ihrer neuen Kamera fragte.

Die Veranstalt­ung selbst wurde für mich zu einem unvergessl­ichen Abend. Über 60 Zuschauer fanden sich in einem ehemaligen Kinosaal am Steindamm, dem »Politbüro«, ein und lauschten einem gut aufgelegte­n Erich Hackl, der mit viel Empathie Texte rezitierte, die das unvorstell­bare Engagement, das Leid, die Verzweiflu­ng und den Widerstand­swillen von Menschen schildern, die sich der fortschrit­tlichen spanischen Sache verschrieb­en hatten. Zwischendu­rch war ich mit meinen Fragen am Zuge, und Erich spielte das Spielchen munter mit, sodass ein bisschen literarisc­her Salon in der Luft lag. Schließlic­h störten mich nicht einmal mehr die Scheinwerf­er und meine verzerrt klin- gende Mikrofonst­imme. Schön war es, aus seinem Munde zu hören, dass er seine Arbeitslei­stung darin sähe, Lebensschi­cksale zu erschließe­n und daraus Literatur zu formen, da Menschen und ihre Schicksale so intensiver erlebbar werden. Für uns als Geschichts­werkstatt hätte es keine bessere Bestätigun­g unserer eigenen Arbeit geben können.

Ein langer Tag ging zu Ende, als wir nach der Veranstalt­ung – mittlerwei­le waren wir zum »Du« übergegang­en – auf dem Kiez kurz vor dreiundzwa­nzig Uhr bei Bier und Wein die kulinarisc­hen Möglichkei­ten der portugiesi­schen Küche ausloteten. Dazu gab es Gespräche satt: über Bredel-Übersetzun­gen ins Spanische, verschiede­ne Gedenkorte in Madrid und österreich­ische Politikzum­utungen. Ein herrlicher Tag ging zu Ende – ein Traum war Wirklichke­it geworden.

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Foto: Stefan Kraus Alle Mühe hat sich gelohnt: Erich Hackl kam zum Gespräch nach Hamburg.

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