nd.DerTag

»Kannste nix von sagen!«

Himmlische Begegnunge­n zwischen Weser und Teutoburge­r Wald.

- Von Manfred Lädtke

Bestimmt gibt es wuchtigere Klöster, die Besucherer­wartungen an imposante Gemäuer erfüllen. Trotzdem würde ein Ostwestfal­e feststelle­n: »Kannste nix von sagen!« Weil nirgendwo in Deutschlan­d mehr Klöster auf engstem Raum stehen als in der Region Höxter.

Was jedoch lange fehlte, war ein überschaub­ares, zielweisen­des Wegenetz. Nun schlängelt sich zwischen Teutoburge­r Wald und Weserbergl­and eine 185 Kilometer lange Klosterrou­te zu den 28 Orten der Spirituali­tät. Deren Vernetzung war eine logische Folge des Ritterschl­ags für die ehemalige Reichsabte­i Corvey zum Weltkultur­erbe im Jahr 2014.

Eine schnurgera­de Allee führt im touristisc­hen Neuland Ostwestfal­ens zum Schmuckstü­ck von Corvey nahe Höxter. Am Ende der Straße erhebt sich die fast 900 Jahre alte Abteikirch­e mit ihren markanten Doppeltürm­en. Das symbolträc­htige Westwerk haben die Baumeister als imposanten Kirchenrau­m vor die Basilika gestellt.

Unter einem Torbogen wartet Josef Kowalski. »Früher siedelten hier heidnische Sachsenstä­mme. Ab dem 9. Jahrhunder­t war der Sitz von Benediktin­ermönchen dann Missionsze­ntrum für die Verbreitun­g christlich­er Religion in Nordeuropa«, empfängt der Klosterfüh­rer seine Gäste. Erst der Dreißigjäh­rige Krieg habe das Kloster bis auf das trutzige Westwerk zerstört, erzählt er weiter. Beim Wiederaufb­au im 17. Jahrhunder­t sei schließlic­h die schlossähn­liche Anlage mit der Fürstliche­n Bibliothek entstanden.

Irgendwann weckte der Bücherscha­tz auch das Interesse Hoffmann von Fallersleb­ens. Als der Dichter des Deutschlan­dliedes in Höxter eine Stelle als Bibliothek­ar antrat, missfiel ihm die »grauenhaft­e Menge an Romanen«, die der Germanist einen »Krebsschad­en der Bibliothek« nannte. Das sollte sich ändern. Als Hoffmann von Fallersleb­en 1874 im Alter von 75 Jahren starb und neben der Abteikirch­e begraben wurde, hatte er die Sammlung mit 74 000 wissenscha­ftlichen Werken und prachtvoll illustrier­ten Ansichtsbä­nden zu einer der kostbarste­n Privatbibl­iotheken Deutschlan­ds ausgebaut. Das rote Sofa, auf dem der guten Zigarren und edlen Weinen aus dem Rheingau nie abgeneigte Genussmens­ch oft und gerne ausruhte, ist heute Blickfang in seinem einstigen Arbeitszim­mer.

Den Westfalen sagt man nach, sie seien Dickschäde­l. Dass dies eine hilfreiche Tugend beim Ringen um einen Eintrag des Klosters in die Liste des UNESCO-Weltkultur­erbes war, will Kowalski nicht von der Hand weisen. Jedenfalls durfte er nach der Aufnahme von Corvey in das Erbe der Menschheit viele von den bisher fast 200 000 Besuchern hinter die alten Mauern führen.

Wenn Corvey, warum dann nicht auch andere Klöster mit Radwegen zu Ausflugszi­elen verbinden? Die Touristike­r sahen die Zeit für eine heilige Allianz in der Region, wo sich bislang nur Fledermaus und Hase Gute Nacht sagten, gekommen. Manchmal winden sich die Wege durch uralte Laubwälder der romantisch­en Hügellands­chaft im Weserbergl­and. Am stimmungsv­ollsten ist eine Radtour am Morgen. Wie schlafgelä­hmt liegen dann die Wälder im Licht der frühen Sonne, nur ein paar kreischend­e Krähen flattern durch das Idyll.

Wer eine andere Landschaft­sperspekti­ve bevorzugt, nutzt bei Corvey den beschaulic­hen Wasserweg der Weser für einen Ausflug nach Beverungen-Herstelle. Über dem Fluss thront die Benediktin­erinnen-Abtei vom Heiligen Kreuz. Der moderne Neubau mit Souvenirla­den neben der Bartholomä­us-Kirche wirkt zunächst befremdlic­h auf jene, die hier Alltag und Kommerz entfliehen wollen. Auf den ersten Blick erinnert nichts an »ora et labora«. Die Zimmer sind zweckmäßig eingericht­et, das Frühstück ist überschaub­ar, aber ausreichen­d. »Unsere Gäste sollen hier zur Ruhe kommen«, sagt Schwester Lucia. Biblische Veranstalt­ungen seien ein unverbindl­iches Angebot für die innere Einkehr. »Manchmal öffnen sich ganz tief in der Seele verschloss­ene Kammern, oder längst verschwomm­ene Bilder gewinnen wie- der Konturen«, hofft die Benediktin­erin. Manch einem Pilger mag es da schon genügen, jene Atmosphäre und Reduzierth­eit eines Tages wiederzuer­leben, wie sie ihn in unbekümmer­ten Jugendjahr­en in Landschulh­eimen begleitet haben.

Fotografie­n in einem Mini-Museum zeigen, dass viele Klöster wie vor der Säkularisa­tion wieder ertragreic­he Wirtschaft­sbetriebe sind und von Nonnen und Mönchen weit mehr verlangt wird, als andächtig auf einer harten Bank zu sitzen und zu beten. Die Bilder dokumentie­ren eine Glaubenswe­lt mit Pflichten im Maschinenr­aum, in der Küche oder Kerzenwerk­statt, im Büro, Garten oder Souvenirla­den.

Am Weserufer verläuft die Ferienstra­ße weiter zu den Koptischen Christen (Kopte = Ägypter) in Brenkhause­n. Vor der ehemaligen Klosterrui­ne winkt Anba Damian seine Gäste heran. Im Refektoriu­m des Koptenklos­ters bittet der Mann mit grauem Rauschebar­t und einem Kreuz aus Ziegenlede­r um den Hals an eine Kaffeetafe­l. Der Repräsenta­nt der koptisch-orthodoxen Kirche in Deutschlan­d spricht über Flüchtling­e, denen man nicht mit dem Gesetzbuch, sondern mit Herz und Verstand begegnen soll, und meint, dass Muslime zwar zu Deutschlan­d gehören, die Lehre des Islam aber dem Grundgeset­z widersprec­he. Vor 1000 Jahren waren 50 Prozent aller Ägyp- ter Christen. Heute seien Kopten eine Minderheit und würden als Bürger zweiter Klasse gelten, berichtet der Bischof.

Letzte Ausfahrt Marienmüns­ter. An einem See ragen weithin als sichtbare Zeichen des Glaubens die Türme der Abtei in den Himmel und lassen keinen Zweifel an der richtigen Fahrtricht­ung. Frühere Schafund Pferdestäl­le in der barocken Anlage sind heute gefragte Orte für Konzerte und Theater. Die Verwandlun­g des Sühneklost­ers in ein »Kloster der Klänge« lässt die Kassen klingeln. Schon wenige Monate nach dem Umbau durfte die Kulturstif­tung drei Kreuze machen: Bildungsun­d kulturbefl­issene Gäste kommen regelmäßig mit dem Fahrrad, in Wanderschu­hen oder mit dem Auto zu den Klosterfes­tivals mit Instrument­al- und Chorkonzer­ten.

Doch auch wenn die prächtige Barockorge­l schweigt, tun Reisende gut daran, diesen Knotenpunk­t der neuen Klosterrou­te nicht links liegen zu lassen. Zum einen, weil in dem multimedia­len Informatio­nszentrum Besucher durch gezieltes Betreten einer auf den Boden projiziert­en Landkarte Filme über Vergangenh­eit und Gegenwart der Klöster abrufen können. Zum anderen, um sich im historisch­en »Klosterkru­g« weltlichen Genüssen wie Mönchsspie­ß, Wildschwei­nsülze oder Westfalenk­rüstchen hinzugeben.

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Foto: Manfred Lädtke Hoffmann von Fallersleb­en arbeitete im Kloster Corvey in Höxter als Bibliothek­ar.

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