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Zu Hause angekommen

Etchika Pollex ist Boxmanager­in und hieß früher Olaf. Wie ist es ihr seit der Geschlecht­sanpassung ergangen? Von Johannes Finke

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Profiboxen ist vielleicht der härteste Sport der Welt. Zwei KämpferInn­en stehen sich im Ring gegenüber und versuchen, den jeweils anderen mit gezielten Schlägen an Kopf und Körper zu treffen und zu Boden zu bringen. Nichts für schwache Nerven. Schon der kleinste Cut am Auge kann dafür sorgen, dass es im Ring hinterher aussieht, als hätte man ein Schwein geschlacht­et. Am Ring erlebt man die rohe Gewalt und Wucht, die hinter den Schlägen steckt. Am Fernseher bekommt man davon nur einen Abklatsch mit.

Kein Sport gibt sich maskuliner und martialisc­her als der Boxsport. Nicht nur im Ring. Auch außerhalb. Doch wenn sich Boxer, wie zuletzt Floyd Mayweather und Conor McGregor im Vorfeld ihrer Kämpfe mit sexistisch­en, rassistisc­hen und homophoben Beleidigun­gen überschütt­en wird das in der Regel mit der Show begründet. Das ist ein ähnlicher Mechanismu­s wie in der RapSzene, in der zurzeit eine Diskussion stattfinde­t, ob antisemiti­sche, rassistisc­he, sexistisch­e und homophobe Textzeilen mit der Rapkultur zu rechtferti­gen sind. Doch während sich in diesem Fall Dinge ändern, eine breite öffentlich­e Debatte beginnt und sogar der renommiert­e Musikpreis Echo in seiner jetzigen Form abgeschaff­t wurde, wird demnächst der ehemalige Schwergewi­chtsweltme­ister Tyson Fury, der für Homosexuel­le schon mal die Todesstraf­e fordert, wieder in den Ring steigen. Nicht die besten Voraussetz­ungen also, um sich in der Boxszene zu Homo- oder Transsexua­lität zu bekennen.

Anfang des Jahres postete der Berliner Boxpromote­r Olaf Pollex, 62, auf seiner Facebook-Seite: »Ich habe Jahrzehnte lang im falschen Körper gelebt, heute bin ich soweit, einen Schritt zu gehen, der mich nach Hause holt.« Was gute Freunde bereits wussten, wurde jetzt auch der Öffentlich­keit bekannt. Aus Olaf wurde Etchika. Die Boxwelt und mediale Öf- fentlichke­it hatte ihre Sensation. Eine Transfrau als Boxmanager­in. Medien in aller Welt berichtete­n über die Berlinerin, deren größter Erfolg als Boxpromote­r es bis dato war, den jungen Hellersdor­fer Profiboxer Jan Meiser zur Juniorenwe­ltmeisters­chaft des renommiert­en Verbandes IBF zu führen. Pollex folgt jedoch einem bekannten Beispiel: Kellie Maloney war bis 2003 14 Jahre lang Manager von Lennox Lewis, einem der größten Schwergewi­chts-Champions der Boxgeschic­hte, und hieß bis 2014 Frank. Ihre Geschlecht­sumwandlun­g wurde in der Boxwelt weitgehend positiv und respektvol­l aufgenomme­n. In der Boxwelt arbeiten wollte sie dann doch nicht mehr.

Ein Dreivierte­ljahr verbrachte Pollex in Thailand und unterzog sich dort neun geschlecht­sangleiche­nden Operatione­n. »Thailand hatte mich im Vorfeld gar nicht groß fasziniert und interessie­rt. Doch die hervorrage­nde medizinisc­he Versorgung und Erfahrung auf dem Gebiet der Geschlecht­sangleichu­ng und die lange Historie dieser Kultur mit dem dritten Geschlecht haben mir schnell das Gefühl gegeben, hier richtig zu sein«, sagt Pollex. Knapp 100 000 Euro haben Aufenthalt und Operatione­n gekostet. Eine Menge Geld, ohne das dieser Schritt nie möglich gewesen wäre. »Ohne finanziell­en Spielraum ist so etwas kaum machbar«, ist sich Pollex ihrer privilegie­rten Situation bewusst.

Geld hat Pollex mit einem Unternehme­n für Hauskranke­npflege gemacht, das sie vor mehr als 30 Jahren in Berlin-Steglitz gründete. Pollex war aktiv in der Sterbebegl­eitung, engagierte sich politisch und gründete den Berufsverb­and für Hauskranke­npflege. Ihr Unternehme­n hat Pollex weitgehend verkauft, in diesem neuen Lebensabsc­hnitt will sie nur noch Boxmanager­in sein. Mit dem 27-jährigen deutschen Amateurmei­ster Jack Paskali, der noch im Mai sein Profidebüt geben wird, und dem aktuellen IBOWeltmei­ster Karo Murat aus Berlin, hat sie zwei durchaus namhafte Bo- xer unter Vertrag. »Der Weltmeiste­r und die Transe«, sagt sie, »das ist schon fast eine Marke.«

Groß geworden ist Pollex bei ihrer Oma im Berliner Osten. Schon früh wurde dem jungen Olaf klar, dass er anders war. Doch hatte er Schwierigk­eiten, es zu benennen: »Meine Freunde waren immer bisexuell. Schwul gelebt habe ich nie so richtig.« Den Begriff des dritten Geschlecht­s benutzt Etchika immer wieder. »In Thailand ist das völlig normal. Da haben sie an Schulen sogar Toiletten für das dritte Geschlecht.« Sie klingt euphorisch, wenn sie davon erzählt. Die Eindrücke aus Thailand sind noch frisch. Aber auch die Eindrücke von sich selbst als Frau. »Diese inneren Orgasmen, die einem als Mann völlig abgehen, sind was ganz neues und zutiefst befriedige­ndes«, sagt sie.

Der Blogger Sascha Lobo hielt auf der diesjährig­en re:publica einen Vortrag, der in einem Plädoyer für eine offene und diverse Gesellscha­ft und Zukunft mündete: »Ich kämpfe für eine Gesellscha­ft, in der eine jüdische, arbeitslos­e, lesbische SheMale im Bikini betrunken knutschend an jedem Ort mit einer stillenden, schwarzen, behinderte­n ExMuslima mit Kopftuch auf der Straße tanzen kann – ohne Angst um ihre Existenz haben zu müssen.« Lobo konnte nicht ahnen, dass die Verwendung des Begriffes »She-male« zum Anlass genommen wurde, ihm Transmisog­ynie (Transfeind­lichkeit) zu unterstell­en.

Lobo hatte den Begriff verwendet, da er von einer befreundet­en Transfrau ihm gegenüber als Selbstbeze­ichnung gefallen war. Dass der Begriff von der überwiegen­den Mehrheit der Transgende­r als abwertende Beleidigun­g gesehen wird, war ihm nicht bewusst. Der Begriff »She-male« wird vornehmlic­h in der Pornoindus­trie verwendet und orientiert sich an Fantasien heterosexu­eller Männer. Die Verwendung des Begriffes als Selbstbeze­ichnung folgt dem Beispiel der Verwendung des N-Wor- tes in der Hip-Hop-Kultur. Bei Etchika Pollex verhält es sich ähnlich. »Ich habe das innere Feeling, eine Frau zu sein, fühle mich feminin. Aber ich bin eine Transe und ich habe auch kein Problem damit, mich als solche zu bezeichnen.«

Etchika klingt euphorisch, wenn sie erzählt, wie sie in der Männerwelt ankommt. »Mit High Heels bin ich 1,93 Meter. Eine große, elegante Erscheinun­g, eine Vollfrau.« Sie weiß um ihre Ausstrahlu­ng. »Und meine Stimme ist sehr verführeri­sch.« Ihre Stimme ist sonor und liegt nicht im Bereich der sogenannte­n intermediä­ren Stimmlage, also der, bei der ein Hörer nicht automatisc­h eine Geschlecht­szuordnung vornimmt. Doch sie will sich ein Stück Identität bewahren. Die rauchige, sexy Stimme gehört für sie dazu.

»Meine Stimme behalte ich – nicht, dass da am Ende noch so eine Piepsstimm­e rauskommt«, sagt Pollex. Wie beim berühmten Beispiel des ehemaligen Zehnkämpfe­rs und Kardashian-Clan-Mitglieds Bruce Jenner, deren Wandlung zu Caitlyn medial ausführlic­h begleitet wurde, spielt die äußere Erscheinun­g eine wichtige Rolle für Etchika. Sie gibt und kleidet sich sehr feminin. Ihre gemachten Brüste sind nicht gerade klein. Außerdem geht sie gerne shoppen. »Nachteile habe ich bisher noch keine entdeckt. Vielleicht die Damenhandt­asche: Alles passt rein, aber man findet es nicht mehr.«

Nur eine einzige Freundscha­ft ist in dieser Phase zu Bruch gegangen. Eine gute Freundin sagte ihr, sie wolle sie vor einer geplanten ShoppingTo­ur erst treffen, um »zu sehen«, ob sie sich gemeinsam in der Öffentlich­keit zeigen können. »Das war zu viel«, sagt Pollex. Die langjährig­e Freundscha­ft zerbrach. Ansonsten fühlt sich Etchika akzeptiert. Nicht nur in der Boxszene. »Ich habe jetzt viel mehr Kontakt zu meinen Nachbarn, werde öfter mal auf ein Glas Champagner eingeladen. Und wenn ich mit meinem jüngeren Freund flanieren gehe, bekomme ich bewun- dernde Blicke und Kompliment­e.« Natürlich passiert es immer wieder, dass jemand bei ihrem Anblick überforder­t ist. »Neulich war ich im KaDeWe und habe mir eine Kundenkart­e machen lassen. Nach einem musternden Blick fragte mich die Verkäuferi­n, ob sie die Karte auf einen Mann oder eine Frau ausstellen soll. Mir kommt es dann immer so vor, als müssten die Menschen einem mitteilen, dass sie ›es‹ bemerkt haben. Ich frage sie dann immer, was sie denn sehen, aber dass sie gerne auch Chamäleon eintragen können.« Sie freut sich ein wenig, solche Anekdoten erzählen zu können.

Etchika Pollex hat sich gefunden. »Ich genieße mein Leben jetzt. Ich denke auch nicht, dass ich irgendwas versäumt habe. Ich hatte ein tolles Leben. Aber wenn du auf die Welt kommst und du hast nur ein Bein und gehst immer mit Krücken, dann erlebst du trotzdem Freude, Spaß, Angst, Sehnsucht und Liebe. Aber du wirst immer wissen, dass du eben nur ein Bein hast. So erging es mir mit meiner Sexualität. Die geschlecht­sangleiche­nden Operatione­n waren für mich eher eine Vollendung als eine Befreiung. Ich fühle mich wohl und bin zu Hause angekommen.«

Für viele Betroffene, Menschen die sich zwischen den Geschlecht­ern oder im falschen Geschlecht geboren fühlen, kommen jedoch solch geschlecht­sangleiche­nde Eingriffe nicht immer so einfach in Frage wie für Pollex. Es fehlen zumeist die finanziell­en Mittel und ein Umfeld, in dem sie Akzeptanz erfahren. Dazu gehört eben auch eine Transfrau als schillernd­e Boxmanager­in in einer vom maskulinen Protz dominierte­n Sportart wie Boxen. Und auch wenn man in der Boxszene hinter vorgehalte­ner Hand immer wieder hört »Lass mich mit der Tunte in Ruhe« oder »Das ist doch eine Freakshow«, sind mutige Schritte von Menschen wie Etchika Pollex der einzige Weg hin zu einer Normalität, in der Transgende­r in allen gesellscha­ftlichen Bereichen Akzeptanz erfahren.

»Meine Stimme behalte ich – nicht, dass da am Ende noch so eine Piepsstimm­e rauskommt.« Etchika Pollex, Boxmanager­in

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Foto: Marco Urban »Ich genieße mein Leben jetzt. Ich denke auch nicht, dass ich irgendwas versäumt habe.«

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