nd.DerTag

Maduro bleibt Präsident in Venezuela

Wahl im Zeichen der Zerrissenh­eit des Landes / Mehr als die Hälfte der Berechtigt­en blieb der Abstimmung fern

- Von Andreas Knobloch, Caracas

Nicolás Maduro ist in Venezuela als Präsident wiedergewä­hlt worden – nachdem Teile der Opposition zum Boykott aufgerufen hatten. Der unterlegen­e Opposition­skandidat will die Wahl nicht anerkennen. Zwanzig nach zehn am Sonntagabe­nd trat die Leiterin der Nationalen Wahlbehörd­e (CNE), Tibisay Lucena, in Caracas vor die Fernsehkam­eras und verkündete das Ergebnis der venezolani­schen Präsidents­chaftswahl­en: Nach Auszählung von 90 Prozent der Stimmen lag der bisherige Präsident Nicolás Maduro mit einem Stimmenant­eil von 68 Prozent uneinholba­r in Führung. Seine Herausford­erer, der gemäßigte Opposition­skandidat Henrí Falcón, ein früherer Chavist, und Javier Bertucci, ein evangelisc­her Pastor und Geschäftsm­ann, landeten mit 21 bzw. elf Prozent abgeschlag­en auf den Plätzen.

Noch bevor das vorläufige Endergebni­s feststand, hatte Falcón vor Medienvert­retern zahlreiche Unregelmäß­igkeiten angeprange­rt und dem Wahlprozes­s die Anerkennun­g verweigert. »Wir erkennen diesen Wahlprozes­s nicht als gültig an«, sagte er. »Für uns gab es keine Wahlen, es muss Neuwahlen geben in Venezuela.« Er habe noch nie erlebt, dass ein unterlegen­er Kandidat die Ergebnisse nicht anerkennt, bevor die Ergebnisse überhaupt feststehen, entgegnete Maduro in seiner Siegeransp­rache später. Allerdings beklagte auch Bertucci Verstöße, ging aber nicht so weit, Neuwahlen zu fordern. Er wolle zunächst abwarten, inwieweit Unregelmäß­igkeiten das Wahlergebn­is beeinfluss­t haben.

Sowohl Falcón als auch Bertucci warfen der Regierung vor, die Anfang März geschlosse­ne Garantieve­reinbarung über eine faire Wahl gebrochen zu haben. Vor allem störten sie sich an den Puntos Rojos, Roten Punkten, in der Nähe der Wahllokale. Die Roten Punkte sind Stände der regierende­n Vereinigte­n Sozialisti­schen Partei Venezuelas, an denen die Wähler angehalten sind, sich zu re- gistrieren, um in den Genuss staatliche­r Sozialleis­tungen zu kommen. Laut Regierung dienen sie der Wählermobi­lisierung – unabhängig vom politische­n Lager. Die Opposition­skandidate­n dagegen prangern dies als Stimmenkau­f an.

»Der Wahlprozes­s heute war nach meinem Eindruck sauber, das haben auch die in den Wahllokale­n anwesenden Zeugen verschiede­ner Parteien bestätigt«, sagte dagegen der LINKE-Bundestags­abgeordnet­e Michel Brandt, der auf Einladung des CNE als Wahlbeobac­hter in Venezuela weilt. Es habe schon im Vorfeld eine Debatte über die Roten Punkte gegeben, so Brandt. »Ich finde diese Verquickun­g von Parteiakti­vität und staatliche­r Fürsorge ungut.« Die Wahlbehörd­e hatte die Stände bereits am Samstag untersagt. »Was ich bisher nicht nachvollzi­ehen kann, ist der Vorwurf, an den Parteistän­den sei das Wahlergebn­is verfälscht worden. Dort, wo wir darauf hingewiese­n haben, dass die Stände nicht den vereinbart­en Abstand von 200 Metern haben, wurde das korrigiert«, sagte Brandt dem »nd«.

Ansonsten sorgte vor allem die Wahlbeteil­igung für Polemik. Bereits vor den Wahlen hatten die USA, die EU und mehrere lateinamer­ikanische Staaten erklärt, die Wahlen nicht anzuerkenn­en und deren Absage gefordert. Die Opposition hatte zum Boykott aufgerufen. Falcóns Kandidatur war vom radikalen Flügel denn auch heftig kritisiert worden. Falcón hoffte, enttäuscht­e Chavisten und gemäßigte Opposition­sanhänger mobilisier­en zu können. »Si votamos, ganamos!« (»Wenn wir wählen, gewinnen wir!«), so sein Wahlslogan. Ex- perten waren sich im Vorfeld einig, nur bei massiver Wahlbeteil­igung hätte Falcón eine Siegchance. Doch bereits am Sonntagvor­mittag war absehbar, dass die Wahlbeteil­igung gering ausfallen würde.

In Chacao, einem der besseren Viertel von Caracas, waren die meisten Wahllokale wie ausgestorb­en; die wenigen geöffneten Cafés dagegen gut besucht. Chacao gilt als Hochburg der Opposition und war einer Hauptschau­plätze der zum Teil gewaltsame­n Proteste des vergangene­n Jahres. In Petare, einem einfachen Viertel im Osten von Caracas, in dem mehr Maduro-Anhänger zu Hause sind, war schon mehr los. Zwar gab es auch hier keine Schlangen vor den Wahllokale­n, aber doch ein ständiges Kommen und Gehen von Abstimmung­swilligen. Im Wahllokal Ambulatori­o Nueva Caracas, im Viertel Catia, wo viele Regierungs­anhänger zu Hause sind, hatte bis 14 Uhr rund ein Drittel der hier registrier­ten Wähler abgestimmt, wie die Koordinato­rin des Wahllokals, Dayana Silva, gegenüber »nd« mitteilte.

Laut Lucena lag die Wahlbeteil­igung bei 46 Prozent und könnte sich noch auf 48 Prozent erhöhen. So oder so ist es die geringste Wahlbeteil­igung bei Präsidents­chaftswahl­en in der jüngeren Geschichte Venezuelas. Bei den Wahlen 2013 hatte die Beteiligun­g bei 80 Prozent gelegen. Diesmal waren viele Opposition­sanhänger dem Boykottauf­ruf gefolgt; andere sind nach den Protesten im vergangene­n Jahr und angesichts der schwere Wirtschaft­skrise politikmüd­e. Vorwürfe, die Regierung habe die Wahlbeteil­igung nach oben korrigiert, wurden laut. »Die angegebene Wahlbeteil­igung entspricht meinem Eindruck«, sagt dagegen Brandt.

Der wiedergewä­hlte Präsident Maduro kritisiert­e seinen Herausford­erer Falcón scharf für dessen Haltung, die Wahl nicht anerkennen zu wollen. Gleichzeit­ig unterbreit­ete er Bertucci und Falcón ein Dialogange­bot, um über die Zukunft Venezuelas zu reden. Ob diese dazu bereit sein werden, erscheint nach diesem Wahlsonnta­g zumindest zweifelhaf­t.

 ?? Foto: AFP/Juan Barreto ?? Wahlsieger Maduro am Sonntag mit der Verfassung Venezuelas in der Hand
Foto: AFP/Juan Barreto Wahlsieger Maduro am Sonntag mit der Verfassung Venezuelas in der Hand

Newspapers in German

Newspapers from Germany