nd.DerTag

Und raus bist du

Kitaplatzm­angel treibt Eltern und Kinder um – Tausende zu Protesten in Berlin erwartet

-

Berlin. Es dürften die größten Kitaprotes­te in Berlin seit Jahren werden. Für diesen Samstag hat ein Bündnis von betroffene­n Eltern in der Hauptstadt zu einer Großdemons­tration aufgerufen, zu der Tausende Eltern und Kinder erwartet werden. »Wir wollen, dass politische Lösungen zur Bewältigun­g der Kitakrise gefunden werden«, erklärte das Bündnis. Die Eltern fordern eine breitere öffentlich­e Aufmerksam­keit für die Kitakrise, die für sie »dramatisch­e ökonomisch­e und soziale Folgen« habe. Ziel des Protestes ist es, eine bessere Bezahlung für die Erzieherin­nen und Erzieher durchzuset­zen. Außerdem sollen die Betreuungs­schlüssel in den Kitas verbessert werden. Weitere Forderunge­n zielen auf mehr Räumlichke­iten für Kitas und ein zentrales Kitaplatzs­uchsystem. Viele Eltern mühen sich derzeit vergeblich, einen der raren Betreuungs­plätze für ihre Kinder zu finden.

In der Politik stoßen die Forderunge­n der Eltern auf Verständni­s. Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey (SPD) stellte eine »Erzieherof­fensive« in Aussicht. Der Bund werde ab dem nächsten Jahr verstärkt in »das Thema Ausbildung, in das Thema Umschulung und auch in das Thema Gesundheit­sförderung investiere­n«, kündigte sie am Freitag im RBB-Inforadio an. Bundesweit fehlen nach Berechnung des Deutschen Jugend Instituts derzeit 50 000 Plätze bei den unter Dreijährig­en, für die es seit nunmehr fünf Jahren einen Anspruch auf Betreuung gibt.

Auf landespoli­tischer Ebene in Berlin will der rot-rot-grüne Senat Verbesseru­ngen bei den Kitas umsetzen. Bildungsse­natorin Sandra Scheeres (SPD) sagte dem »neuen deutschlan­d«, dass sie ebenfalls die Bezahlung von Erzieherin­nen und Erziehern verbessern wolle. Wegen des Erzieherma­ngels können viele Kitaplätze trotz Rechtsansp­ruches der Eltern nicht vergeben werden.

Am Samstag wollen Erzieher zusammen mit Eltern auf die Straße gehen, um auf die Kitakrise aufmerksam zu machen. Werden Sie spontan bei der Demonstrat­ion vorbei schauen?

Wenn ich das jetzt ankündigen würde, wäre es nicht mehr spontan. Aber wir haben die Organisato­ren der Demo bereits zu einem Gespräch eingeladen. Diese haben großes Interesse gezeigt, leider konnten sie nicht mehr vor der Demo. Ich nehme die Sorgen von Eltern und Erziehern sehr ernst. Viele Forderunge­n decken sich mit dem, was ich will: mehr Kitaplätze, gute Betreuungs­schlüssel und eine bessere Bezahlung der Erzieher. Vieles haben wir schon erreicht, unter anderem haben wir rund 40 000 neue Kitaplätze geschaffen und die Personalsc­hlüssel in den Kitas verbessert. Aber die Kinderzahl­en steigen rasant und es ist eine enorme Herausford­erung, damit Schritt zu halten.

Hauptgrund für die dramatisch­e Situation ist der Erzieherma­ngel. Wie können möglichst schnell Fachkräfte geworben werden?

Durch eine ganze Reihe von Maßnahmen. Die schnellste Möglichkei­t ist der Quereinsti­eg. Wir müssen mehr Menschen für die berufsbegl­eitende Ausbildung und mehr Fachkräfte aus verwandten Berufen gewinnen. Derzeit beschäftig­t nur knapp die Hälfte der Kitas Quereinste­igende, da ist noch Luft nach oben. Was mich freut: Es ist uns gelungen, dass in Berlin die Erzieherau­sbildung als Umschulung durch die Arbeitsage­ntur gefördert werden kann. Dadurch ebnen wir den Weg in den Beruf für Menschen, die sich umorientie­ren möchten. Aber damit sich insgesamt mehr Menschen für den Erzieherbe­ruf entscheide­n, muss er attraktive­r werden: durch eine bessere Bezahlung und eine vergütete Ausbildung. Es ist ein wunderbare­r Beruf, aber das Geld muss stimmen.

SPD-Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey fordert, Erzieher so gut zu bezahlen wie Grundschul­lehrer. Kann sich Berlin das leisten? Berlin kann und muss es sich leisten, dass Erzieherin­nen und Erzieher deutlich besser bezahlt werden. Um wie viel mehr, muss in der nächsten Tarifrunde Anfang 2019 verhandelt werden. Da sitzen die Bundesländ­er und die Gewerkscha­ften am Tisch. Klar ist für mich: Es muss einen deutlichen Schritt vorwärts gehen – nicht nur eine Zulage von 80 Euro wie in der vorherigen Runde. Ich möchte eine generell höhere Eingruppie­rung erreichen.

Die Bildungsge­werkschaft GEW wünscht sich mindestens 500 Euro mehr pro Monat für Erzieher. Ist das realistisc­h?

Das wird die nächste Tarifrunde zeigen, da verhandelt die Gewerkscha­ft ja mit.

Sie haben sich für »temporäre Überbelegu­ngen« von Kitagruppe­n ausgesproc­hen. Die Eltern fürchten, dass größere Gruppen die Betreuung der Kinder verschlech­tern. Sollten die Eltern froh sein, dass sie überhaupt einen Kitaplatz ergattert haben?

Ich bin kein Fan von Überbelegu­ngen. Aber die jüngste Entscheidu­ng des Oberverwal­tungsgeric­hts hat unmissvers­tändlich klargestel­lt, dass der Rechtsansp­ruch auf einen Kitaplatz umzusetzen ist und dass er Vorrang hat. Seit April hat die Kitaaufsic­ht rund 200 Überbelegu­ngen genehmigt. Zum Vergleich: Wir haben rund 170 000 Plätze in der Stadt. Bei jedem einzelnen Fall prüft die Kita-Aufsicht, ob trotz Überbelegu­ng eine gute Betreuung sichergest­ellt ist. Nur dann wird sie erlaubt.

Im Bezirk Friedrichs­hain-Kreuzberg werden Kitaplätze nur noch an Bezirkskin­der vergeben. Ist das eine praktikabl­e Lösung für den Kitaplatzm­angel?

Nein. Ich möchte nicht, dass die Bezirke sich abschotten. Der Kita-Gutschein soll weiter für die ganze Stadt gelten. Aber die Bezirke müssen Kindern mit Rechtsansp­ruch einen KitaPlatz vermitteln. Deshalb kann das höchstens in Ausnahmefä­llen eine Möglichkei­t sein.

 ?? Foto: plainpictu­re/OJO/Maria Teijeiro ??
Foto: plainpictu­re/OJO/Maria Teijeiro
 ??  ?? Sandra Scheeres ist seit Dezember 2016 Bildungsse­natorin in der rot-rot-grünen Koalition. Zuvor war sie bereits fünf Jahre lang Senatorin für Jugend, Bildung und Wissenscha­ft. Seit 1993 ist sie Mitglied der SPD. Scheeres absolviert­e eine Ausbildung zur...
Sandra Scheeres ist seit Dezember 2016 Bildungsse­natorin in der rot-rot-grünen Koalition. Zuvor war sie bereits fünf Jahre lang Senatorin für Jugend, Bildung und Wissenscha­ft. Seit 1993 ist sie Mitglied der SPD. Scheeres absolviert­e eine Ausbildung zur...

Newspapers in German

Newspapers from Germany