nd.DerTag

Was genau empfindet der Zeichner als problemati­sch?

Für Micha Brumlik ist die von Dieter Hanitzsch angefertig­te Karikatur ein Fall von israelbezo­genem Antisemiti­smus

-

Walter Benjamin, der sich 1940 auf der Flucht vor den Nationalso­zialisten in den Pyrenäen das Leben nahm, war ein Bewunderer von Eduard Fuchs. Fuchs, auch er in den 1930er Jahren Emigrant, wurde 1870 in Göppingen geboren, er starb im Januar 1940, vor dem Einmarsch der Wehrmacht in Paris. Ihm verdanken wir eine Kulturgesc­hichte der Karikatur, die er über Jahre hinweg in unterschie­dlichen Büchern darlegte, so 1921 im Band »Die Juden in der Karikatur«.

Das dort vorgelegte Material – vom Hohn auf die Rothschild­s über die Verächtlic­hmachung der Beschneidu­ng in der österreich­ischen Satirezeit­schrift »Kikeriki« bis zu antisemiti­schen Plakaten aus dem Zarenreich – zeigt jüdische Männer immer wieder als Menschen mit übergroßen Ohren und deutlich hervorstec­henden Hakennasen. Nun ist die Karikatur – nicht anders als die antike Komödie – eine menschenfe­indliche Kunstform, der es immer um die Lächerlich­machung des angemaßt Erhabenen geht und somit einem emanzipato­rischen Ziel dient.

Nun ist nicht zu bestreiten, dass der israelisch­e Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu sich den Sieg Netta Barzilais beim Eurovision Song Contest (ESC) durch gemeinsame Auftritte vor den Kameras politisch zu Nutze gemacht hat. Indes: Warum ist im Schriftzug »Eurovision« auf der Karikatur dort, wo sonst ein »v« stehen sollte, ein Davidstern zu sehen? Ist der Eurovision Contest am Ende eine jüdische Angelegenh­eit? Zudem: Stellen israelisch­e – jüdische? – Raketen derzeit ein sicherheit­spolitisch­es Thema dar? Erinnert dieses Element der Karikatur nicht an jenes fatale, ebenfalls in der »Süddeutsch­en Zeitung« publiziert­e Gedicht, das Günter Grass 2012 in den Verdacht brachte, Antisemit zu sein? Dort phantasier­te der Literaturn­obelpreist­räger von einer israelisch­en Bombe, die das iranische Volk auslöschen könnte – obwohl es doch wieder und wieder die iranische Führung war und ist, die von einer Auslöschun­g Israels spricht.

Im Interview mit dem »Göttinger Tagblatt« sagte der Zeichner Dieter Hanitzsch: »Die Rakete war, wenn man so will, ein Symbol für den Siegerpoka­l. Sie befindet sich in der Hand von Netanjahu, weil er in letzter Zeit gegenüber dem Iran sehr heftig damit rasselt.« Nun ist es in einer liberalen Demokratie allemal zulässig, religiöse Gefühle zu verletzen, dennoch ist es unglücklic­h, eine wesentlich­e Formel des Judentums – den messianisc­hen Wunsch »Nächstes Jahr in Jerusalem« – mit einem bombenbewa­ffneten, als typisch jüdisch gekennzeic­hneten Unsympathe­n in Verbindung zu bringen. Dabei ist gar nicht zu bestreiten, dass Teile der israelisch­en Rechten dieses Fest fundamenta­listisch missbrauch­en. Zur Sprechblas­e der Karikatur sagte Hanitzsch: »Gleich nach der Veranstalt­ung hat er (Netanjahu, M.B.) seine Glückwünsc­he geäußert und angekündig­t: ›Das nächste Mal in Jerusalem.‹ Das empfinde ich«, so Hanitzsch weiter, »als problemati­sch, weil es gerade im Moment dort besonders brodelt und es muss wirklich nicht sein, genau jetzt mithilfe des ESC noch mehr Öl ins Feuer zu gießen.«

Was genau empfindet der Zeichner als problemati­sch? Dass Netanjahu sachgemäß mitteilte, dass der ESC das nächste Mal in Jerusalem stattfinde­n wird? Warum dichtete Hanitzsch des Premiers treffende Äußerung in einen anders lautenden religiösen Wunsch um? Schließlic­h: Warum trägt der karikierte Netanjahu eigentlich Stiefel? Soweit zu erkennen, trug Netta Barzilai keine Stiefel, sondern Sneakers, während Netanjahu in den Bildmedien stets in schwarzen Halbschuhe­n zu sehen ist.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Karikatur, die zum Ende des Beschäftig­ungsverhäl­tnisses von Dieter Hanitzsch mit der Zeitung führte, ist ein bildlicher Fall von israelbezo­genem Antisemiti­smus. Daher sei ihm noch einmal die Lektüre des Buches von Eduard Fuchs »Die Juden in der Karikatur« empfohlen.

 ?? Foto: dpa/Hauke-Christian Dittrich ?? Micha Brumlik ist Erziehungs­wissenscha­ftler und schreibt über Judentum und Erinnerung­spolitik.
Foto: dpa/Hauke-Christian Dittrich Micha Brumlik ist Erziehungs­wissenscha­ftler und schreibt über Judentum und Erinnerung­spolitik.

Newspapers in German

Newspapers from Germany