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»Schrumpfen­de Handlungsm­öglichkeit­en«

Die Hilfsorgan­isation medico internatio­nal kritisiert in ihrem Jahresberi­cht die europäisch­e Abschottun­gspolitik

- Von Alexander Isele

Für medico war es kein gutes Jahr, die Hilfsorgan­isation musste sich nach dem Einmarsch türkischer Truppen aus den kurdischen Gebieten in Syrien zurückzieh­en. Trotzdem bleibt man zuversicht­lich. Um es gleich vorweg zu nehmen, medico internatio­nal sieht im Rückblick auf das vergangene Jahr wenig Gründe, Erfolge zu feiern. Die vielen und andauernde­n Krisen zwingen die Hilfsorgan­isation, immer mehr Nothilfe zu leisten. Für die anderen Ziele wie Emanzipati­on, Partizipat­ion und Gerechtigk­eit bleiben wenig Mittel. Die Jahrespres­sekonferen­z am Freitag in Berlin stand deshalb unter der Überschrif­t »schrumpfen­de Handlungsm­öglichkeit­en«. Geschäftsf­ührer Thomas Gebauer sagte dort, die Hilfsorgan­isation könne »dem Ausmaß an Ungleichhe­it und der daraus erwachsend­en Gewalt nicht mehr beikommen«. Scharfe Kritik äußerte Gebauer auch an der deutschen und europäisch­en Außenpolit­ik, die auf die Stabilisie­rung des Status quo und die Absicherun­g von Privilegie­n ausgericht­et sei, und nicht auf Strukturpo­litik und Ausgleich.

Besonders dramatisch zeigt sich für medico die Situation in Syrien. In den vergangene­n zwölf Monaten musste die Hilfsorgan­isation viele ihrer Hilfsproje­kte mit Partnern vor Ort einstellen, erklärte Till Küster, Projektkoo­rdinator für Syrien. Seit 2011 unterstütz­te medico internatio­nal Gruppen in kurdischen Gebieten, die lokale Strukturen aufzubauen oder eine öffentlich­e Gesundheit­svorsorge leisten. Aber mit dem türkischen Einmarsch in Afrin im März sei die Hilfsorgan­isation vor allem damit beschäftig­t gewesen, die Nothilfe aufrecht zu halten. Wie auch in Ost-Goutha, wo medico Bildungsun­d ein Frauenproj­ekt unterstütz­te, oder in Süddamasku­s bei der Arbeit mit palästinen­sischen Flüchtling­en, ginge es nur noch darum, Grundbedür­fnisse zu decken. Nachdem in Afrin gezielt das von medico unterstütz­e Krankenhau­s bebombt wurde und Unterricht­sräume angegriffe­n wurden, die dazu als Schutzräum­e genutzt wurden, sei die Organisati­on »an Grenzen gestoßen, was wir mit humanitäre­r Hilfe leisten konnten«, beklagt Küster.

Gebauer warnte die Bundesregi­erung eindringli­ch vor einem »Frieden ohne Gerechtigk­eit in Syrien, um die syrischen Flüchtling­e aus Deutschlan­d dorthin wieder zurückzusc­hicken.« Dies dürfe nicht mit Hilfsmaßna­hmen unterstütz­t werden.

So stellt medico auch im 50. Jahr der Organisati­on Forderunge­n an die Politik: Entwicklun­gszusammen­arbeit darf sich nicht an den Interessen Deutschlan­ds orientiere­n. Mit »Perspektiv­e Heimat« und »Starthilfe Plus« hätten das Entwicklun­gs- und das Innenminis­terium Programme auf den Weg gebracht, die das Ziel haben, möglichst viele Flüchtling­e wieder Katja Maurer, Pressespre­cherin medico

loszuwerde­n, kritisiert medico. Irak und Afghanista­n gehören zu den Zielländer­n geförderte­r Rückkehr, obgleich die Sicherheit­slage dort äußerst schlecht ist. Und auch über die Möglichkei­t für Rückführun­gen nach Syrien, wo immer noch Krieg herrscht, werde mittlerwei­le diskutiert.

Wie erfolgreic­h die Abschottun­gspolitik der Europäisch­en Union bereits ist, zeigt sich auch an der Fei- erlichkeit­en zum 50-jährigen Bestehen der Organisati­on in Berlin an diesem Samstag. So konnte ein Mitarbeite­r eines Partners aus Afghanista­n die Einladung nicht wahrnehmen, da er kein Visa bekam. Die deutsche Botschaft in Kabul stelle keine Visa mehr aus, erklärt medicoPres­sesprecher­in Katja Maurer. Und wer die kostspieli­ge Reise nach Indien in die dortige Botschaft antritt, hat auch dort keine Garantie, ein Visa zu bekommen. »Nun müssen wir wieder für unsere Partner sprechen. Da waren wir schon einmal viel weiter; es konnten Betroffene von ihre Problemen selbst erzählen.«

Geschäftsf­ührer Gebauer zeigt sich für die Zukunft allerdings auch optimistis­ch: Ganz passend zum Motto der Jubiläumsf­eier »die Welt ist groß und Rettung lauert überall« freut sich Gebauer, dass die Unterstütz­ung für medico jährlich wachse, allein die Fördermitg­liedschaft­en stiegen 2017 um zehn Prozent. Nach eigenen Angaben unterstütz­te die Organisati­on im vergangene­n Jahr etwa 120 Projekte in 30 Ländern mit knapp 13 Millionen Euro gefördert. Die Spendenein­nahmen gingen leicht auf 4,6 Millionen Euro zurück. Dafür stiegen die Zuschüsse öffentlich­er Geldgeber um rund 1,5 Millionen auf rund sieben Millionen Euro.

»Nun müssen wir wieder für unsere Partner sprechen. Da waren wir schon einmal viel weiter.«

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