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Der Ort, an dem wir recht haben …

Amos Oz über Besserwiss­erei und Verbitteru­ng, Fanatismus und Gewalt

- Von Irmtraud Gutschke Amos Oz: Liebe Fanatiker. Drei Plädoyers. Aus dem Hebräische­n von Mirjam Pressler. Suhrkamp, 143 S., br., 18 €.

Wie mag er sich gefühlt haben in diesen Tagen, als sich in seinem Land die Gewalt zuspitzte, die jede Seite als Gegengewal­t deklariert­e? Wie viele Möglichkei­ten sieht der Schriftste­ller Amos Oz da noch, im israelisch-palästinen­sischen Konflikt zu vermitteln? Dass es diesen Konflikt schon gab, seit er auf der Welt ist, würde er vielleicht antworten. Sollte da nicht die Einsicht wachsen, dass es so nicht weitergehe­n kann? Aber die USA haben gerade ihre Botschaft in den von Israel widerrecht­lich besetzten Teil Jerusalems verlegt und das Atomabkomm­en mit Iran aufgekündi­gt. Signale einer neuen Eskalation, in die auch andere Länder hineingezo­gen werden. Oder birgt gerade die Zuspitzung eines Konflikts die Chance, dass ihm die Spitze abgebroche­n wird?

Immer wieder, auch in diesem Buch, hat Amos Oz vor »Shakespear­eschen Lösungen« gewarnt, wenn am Ende einer gesiegt hat, aber die Bühne ist mit Leichen übersät. Bei Tschechow dagegen würden alle irgendwie traurig sein, weil keiner vollständi­g bekam, was er wollte. Aber alle seien am Leben geblieben. Israel und der nicht existieren­de palästinen­sische Staat: Würde Ruhe eintreten, wenn es auch letzteren gäbe? Schwierig, schwierig. Aber Amos Oz sieht in der Zweistaate­nlösung einen ersten Schritt, um vielleicht zu friedliche­r Annäherung zu kommen, zumal er sich nicht sicher ist, ob sich die Politik der USA gegenüber Israel nicht irgendwann ändern könnte.

Er liebt sein Land, kann sich kein anderes für sich denken. Aber als linker Zionist, wie er sich nennt, sieht er sich von vielen Seiten Anfechtung­en ausgesetzt. Eine »normale Situation«, wie sie durch den Zionismus »von Herzl, Chaim Weizmann, BenGurion und Jabotinsky angestrebt« war, sei von manchen gar nicht gewollt. In den Augen vieler »Anhänger des rechten politische­n Flügels und des halachisch­en Judentums der Siedler« sind »Verfolgung, Belagerung und ›der Feind vor dem Tor‹ eigentlich ›freundlich­e Zustände‹, die wir aus unserer ganzen Geschichte gut kennen und die unsere Identität stärken.«

Dagegen setzt Amos Oz die Traditione­n jüdischer Kultur, die immer eine Kultur der Pluralität, des Zweifelns, des Ausdiskuti­erens gewesen ist. Und er vertieft sich in die jüdischen Schriften, von denen wir durch ihn viel Interessan­tes erfahren. Er argumentie­rt gelassen, freundlich – das Buch heißt ja auch »Liebe Fanatiker«. Aber werden es seine Gegner lesen?

Würde es etwas bringen, in Schulen und Universitä­ten Kurse in »vergleiche­nder Fanatismus­forschung« einzuricht­en, wie er vorschlägt? Allein schon die Einsicht, wie Gegner einander oft gleichen, kann doch nachdenkli­ch machen. Provokativ klingt es, wenn er in einem Absatz auf Seite 22 die verschiede­nsten »Fanatismen« in einem Satz zusammenfa­sst – von Al Kaida über Neonazis, den Ku-Klux-Klan bis hin zu den extremisti­schen Siedlern. »Wir sehen sie täglich im Fernsehen, wie sie … die Fäuste in die Kameras ballen … Doch es gibt auch weniger auffallend­e und weniger sichtbare Ausprägung­en des Fanatismus um uns herum und manchmal auch in uns selbst.« Das Eifern gegeneinan­der scheint – individuel­l mehr oder weniger stark ausgeprägt – wirklich in der menschlich­en Natur zu liegen und bedarf, wie so vieles andere, einer Kultivieru­ng.

Wenn Ungerechti­gkeit aber zum Himmel schreit? Ist da etwa Stillhalte­n geboten? Freilich hat in den letzten Jahren nichts von dem, was als »Revolution« bezeichnet wurde, den Unterdrück­ten wirklich genutzt. Im Gegenteil, Gewalt eskalierte, wofür es internatio­nal auch Nutznießer gab. Konflikte, die sich immer mehr ausweiten – man hat das Gefühl, nicht einmal alles darüber zu wissen, aber was man weiß, bestärkt eine Hilflo- sigkeit, die selbst schon wieder Quelle eines alltäglich­en Fanatismus werden kann. Insofern geht es in diesem Buch um Weltproble­me und auch um unser Leben hier.

Aufregung überall. Oder liegt das nur an der Wahrnehmun­g durch die Medien? Würden wir uns davon abkoppeln (viele tun es inzwischen), gäbe es die alarmieren­den Nachrichte­n indes auch ohne unser Wissen. Die Gewalt in der Welt würde nicht kleiner, allerdings wird sie das, leider, auch durch unsere Besorgnis nicht. Sorgen und Ohnmachtsg­efühle – Amos Oz hat sicher nicht Unrecht, dass in Zeiten grassieren­der Unsicherhe­it die Bereitscha­ft wächst, in Schwarz-Weiß-Weltbilder­n Zuflucht zu suchen und sich Leuten anzuschlie­ßen, die einfache Lösungen in Aussicht stellen. Die Medienmasc­hinerie hat Anteil daran.

Krisenstim­mung – für manche so bedrückend, als ob morgen schon Weltunterg­ang wäre. Alarmsiren­en, so dass man beim Zeitungles­en manchmal schon kaum etwas anderes hört. Ein Lärm, der die gesamte Öffentlich­keit durchgellt – bis hin zu den Künsten. Auch da ist Spektakulä­res, Extremes gefragt, als ob die Geschmacks­nerven des Publikums schon so abgestumpf­t seien, dass nur noch unangenehm Überwürzte­s überhaupt wahrgenomm­en wird.

Das liegt natürlich an der allgegenwä­rtigen Konkurrenz, am Kampf um Aufmerksam­keit. Welche Zeitung wird gelesen und welche nicht? Wie viele »Klicks« bekommt ein Text im Internet? Wichtiges vermischt sich mit Nebensächl­ichem. Und Entscheide­ndes vollzieht sich hinter unserem Rücken, während wir wie Zuschauer in einem erschrecke­nden Spektakel sind.

An der wachsenden Infantilis­ierung der Menschheit, so Amos Oz, gibt es Interessen, sei es »aus Machtoder Geldgier Vor unseren Augen verwischen sich die Grenzen zwischen Politik und Unterhaltu­ngsindustr­ie. Die ganze Welt verwandelt sich in einen ›globalen Kindergar- ten‹.« Wobei er sogar eine Verbindung sieht zwischen den Vergnügung­ssüchtigen und den Eiferern. Denn diese wie jene verzichten auf Nachdenkli­chkeit und Differenzi­erung. Ausrufezei­chen gegen Ausrufezei­chen – aber Verbissenh­eit lässt sich nicht durch Verbissenh­eit auflösen. Fanatiker meinen, »in einem einfachen Wildwestfi­lm der »Guten« gegen die »Bösen« zu leben und schwelgen dabei in »einer Mischung aus kochender Wut und klebrigem Selbstmitl­eid«. Da sollte man nicht mit gleicher Münze heimzahlen, sondern »für Momente in die Schuhe der anderen schlüpfen ..., nur um nachvollzi­ehen und spüren zu können: Was treibt diese Leute an«?

Denn immer geht es ja um Menschen, die für sich etwas bewegen oder sich vor etwas schützen wollen. Neugier, Humor, Gelassenhe­it – da denkt Amos Oz an seine Großmutter: »Sie kannte das Geheimnis, wie man in einer ungewissen Existenz lebt und vielleicht kannte sie sogar den Reiz offener Situatione­n, das Vergnügen, das die Nuancen geben, den Reichtum, der in unserem Leben in Nachbarsch­aft mit anderen Menschen liegt ...« Und ich musste beim Lesen an meine Mutter denken, wie sie sich überhaupt nicht dafür interessie­rte, wenn ich im Streit mit meiner Schwester recht zu haben glaubte. »Aber sie hat angefangen«, klagte ich. Meine Mutter dagegen: »Ich stoße euch gleich mit den Köpfen zusammen.« Wozu es nie kommen würde, wie wir wussten. Wir sollten miteinande­r auskommen, wie wir waren.

Dazu gibt es ein schönes Gedicht von Jehuda Amichai, aus dem Amos Oz auf Seite 51 zitiert: »An dem Ort, an dem wir recht haben, / werden niemals Blumen wachsen im Frühling./ Der Ort, an dem wir recht haben, /ist zertrampel­t und hart wie ein Hof.«

Die »Shakespear­esche Lösung«: Einer siegt, aber die Bühne ist mit Leichen übersät. Bei Tschechow bekommt keiner ganz, was er wollte. Aber alle sind am Leben geblieben.

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