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Sieg der Hingabe oder der Allwissenh­eit?

Liverpool steht zum ersten Mal seit 2007 im Champions-League-Finale, Real Madrid will den dritten Titel in Folge

- Von Jirka Grahl

Das Duell zwischen dem Arbeiterkl­ub aus England und den »königliche­n« Spaniern um Europas Fußballthr­on verspricht torreich zu werden. Ein deutscher Trainer genießt jetzt schon Heldenstat­us. Es ist angerichte­t – für ein ganz großes Fußballfes­t: Jeweils um die 17 000 Fans des FC Liverpool und der Starauswah­l von Real Madrid plus 30 000 Ukrainer dürfen sich am Samstagabe­nd im Mittelpunk­t der Fußballwel­t wähnen. Mit dem Finale der Champions League zwischen dem Rekordsieg­er und Titelverte­idiger aus Spanien und den »Reds« aus dem Nordwesten Englands wird im Olympiasta­dion von Kiew ein weiteres großes Endspiel ausgespiel­t.

Den Namen Olympiasta­dion trägt die Kiewer Arena zwar erst seit 1996, er nimmt aber Bezug auf Moskau 1980, als ein paar Vorrundenm­atches des olympische­n Fußballtur­niers aus der Hauptstadt der UdSSR auch in andere Sowjetrepu­bliken verteilt wurden. Ältere Fußballint­eressierte denken gern an Kiew zurück, die DDR-Mannschaft spielte hier gegen Spanien, Algerien, Syrien und Irak und gewann am Ende Silber.

Lebhafter in Erinnerung ist vielen sicher das berauschen­de EM-Finale von 2012, in dem die Spanier unter ihrem Regie-Genie Andres Iniesta die Italiener mit 4:0 abserviert­en. Auch am Sonnabend erwartet Liebhaber des Offensivfu­ßballs wohl ein Festtag: Jürgen Klopps Liverpoole­r haben in dieser Spielzeit mit ihrem kompromiss­losen Haudrauf-Kicken in der Champions League bereits 46 Treffer erzielt – Rekord. Dabei tat sich vor allem das Trio Mohamed Salah, Sadio Mané und Roberto Firmino hervor, das von 134 Saisontref­fern 90 besorgte.

»Liverpool erinnert mich an das Madrid von vor drei, vier Jahren«, urteilte Reals Weltfußbal­ler Cristiano Ronaldo kürzlich über den Finalkontr­ahenten. Doch auch die Madrilenen um den mittlerwei­le 33-Jährigen portugiesi­schen Wunderfußb­aller sind noch eine Torfabrik: Sie bejubelten in dieser Saison sogar 145 Treffer, hatten dafür allerdings auch sechs Spiele mehr Gelegenhei­t.

Rein akustisch werden wohl die Fans von der Anfield Road das Olympiasta­dion dominieren: Die Anhänger der Reds sind als die lautesten und sangesfreu­digsten bekannt, zudem sind 1000 Karten, die für Real-Fans bestellt waren, zurückgege­ben worden, weil die Gäste aus Spanien keine erschwingl­ichen Unterkünft­e mehr fanden. Hotelzimme­r, die üblicherwe­ise 90 Euro kosteten sind an diesem Wochenende nur für 1000 Euro zu bekommen. UEFA-Präsident Aleksander Ceferin bezeichnet­e dies ge- genüber dem Sportmagaz­in Kicker als »Missbrauch« und »absolut unfair«.

Eine unschöne Überraschu­ng erlebten auch ein paar Liverpool-Fans am Donnerstag, die in einem Restaurant in der Nähe des Olympiasta­dions von einem Dutzend Vermummter verprügelt wurden. Zwei Männer wurden verletzt, zwei Angreifer festgenomm­en. Details und Hintergrün­de der Tat waren zunächst nicht bekannt.

Doch das Finalmatch könnte für einiges entschädig­en. Was für ein Du- ell: Auf dem Rasen der legendäre Ronaldo gegen den unglaublic­hen Salah, auf der Trainerban­k der kühle Zinédine Zidane gegen den Hitzkopf Jürgen Klopp, die »Königliche­n« auf dem Weg zum dritten Titel in Folge gegen den »Arbeiterkl­ub«, der 2005 zum letzten Mal den Henkelpott bekam – übrigens nach einem unvergessl­ichen Endspiel, in dem sie unter Steven Gerrard aus einem 0:3-Rückstand noch ein 3:3 machten, ehe Reds-Keeper Jerzy Dudek im Elfmetersc­hießen drei Schüsse parierte.

»The beautiful game« nennen die Engländer das Fußballspi­el. An diesem Sonnabend könnte sich diese Bezeichnun­g mal wieder als zutreffend erweisen. »Wenn wir gewinnen, wäre eine außergewöh­nliche Reise perfekt – mit all den Toren und Rekorden«, schaute Trainer Klopp auf das Endspiel voraus. »Wir fahren da nicht hin, um uns ein paar Trikots zu sichern oder Zidanes Hand zu schütteln.«

In Liverpool genießt Klopp wegen des Erreichen des Finales ohnehin schon Heldenstat­us, die heimische Presse bejubelt den hingebungs­vollen Angriffsfu­ßball, zu dem Klopp einst schon den BVB zu führen vermochte.

Auch Real Madrids französisc­her Trainer lobt den deutschen Coach: »Klopp ist ein großartige­r Trainer«, so Zidane. »Er hat eine Tormaschin­e aufgebaut.« Reals Taktgeber, der deutsche Nationalsp­ieler Toni Kroos, warnt vor den Liverpoole­rn, von denen noch kein einziger je in einem Champions-League-Finale stand: »Ich erwarte Liverpool hoch aggressiv, weil es die Charakteri­stik der Mannschaft­en von Jürgen Klopp ist. Sie werden heiß sein.«

Eine wichtige Rolle für den Verlauf des Finales könnte auch der Ramadan spielen. Liverpools genialer ägyptische­r Mittelfeld­regisseur Salah ist praktizier­ender Muslim, sein senegalesi­scher Teamkolleg­e Sadio Mané ebenso. Beide erzählen immer wieder gern, dass sie fünfmal am Tag beten und ihnen der Glaube sehr wichtig ist. Im Fastenmona­t ist auch ihnen essen und trinken erst nach Sonnenunte­rgang erlaubt. Kleiner Hoffnungss­chimmer für die Fans der Reds: Gläubige, die auf der Reise sind, sind vom Fasten ausgenomme­n.

 ?? Foto: imago/Alterphoto­s ?? Beim letzten Duell mit Toni Kroos (r.) und Real Madrid unterlag Liverpool im Jahr 2014 mit Emre Can (l.) in zwei Gruppenspi­elen zweimal.
Foto: imago/Alterphoto­s Beim letzten Duell mit Toni Kroos (r.) und Real Madrid unterlag Liverpool im Jahr 2014 mit Emre Can (l.) in zwei Gruppenspi­elen zweimal.

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