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Der große Unbekannte

Giuseppe Conte ist politisch ein unbeschrie­benes Blatt, bezeichnet sich selbst als »traditione­ll links«. Nun soll er eine Regierung von Rechtsextr­emen und Populisten führen.

- Von Anna Maldini

Es ist wohl die kürzeste Biografie, die es in der Online-Enzyklopäd­ie Wikipedia je über einen Regierungs­chef gab: Giuseppe Conte wurde am 8. August in dem süditalien­ischen Dorf Volturara Appula geboren (Mutter Lehrerin, Vater Gemeindese­kretär) und ist ein italienisc­her Rechtswiss­enschaftle­r. Er studierte an der Universitä­t La Sapienza in Rom, ist Anwalt für Zivilrecht, spezialisi­erte sich unter anderem in Yale, New York, Pittsburgh, Cambridge, Wien und Paris, ist seit 2002 Professor und lehrt an der Universitä­t Florenz. 2013 wurde er von der Abgeordnet­enkammer zum Mitglied des Rates der Verwaltung­sjustiz ernannt. Im Februar 2018 schlug ihn der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio, als Minister für Öffentlich­e Verwaltung im Falle eines Wahlsieges seiner Partei vor. Am 21. Mai dann wurde Conte von Di Maio und dem Sekretär der Lega, Matteo Salvini, zum Ministerpr­äsidenten vorgeschla­gen.

Viel mehr ist – wenigstens laut Wikipedia – nicht bekannt über den nächsten Ministerpr­äsidenten Italiens. Und möglicherw­eise ist selbst das Wenige nicht korrekt: In den letzten Tagen kamen Gerüchte darüber auf, dass Conte weder in New York noch in Wien studierte und dort allenfalls einen Sprachkurs besucht hatte. Auch die Universitä­t von Malta will ihn nicht kennen. Ein weiterer ungeklärte­r Passus im Lebenslauf des Juraprofes­sors ist seine Ernennung in die Social Justice Group der EU. Offenbar gibt es in Brüssel solch eine Gruppe für Soziales Recht gar nicht. Höchstens hat er den Appell einer ähnlich klingenden Organisati­on unterzeich­net.

Der kargen Wikipedia-Biografie kann man dennoch einiges hinzufügen. Neben seiner Lehrtätigk­eit betreibt Giuseppe Conte eine Kanzlei in Rom – auch hier gibt es Zweifel an seinen Angaben, vor allem was seinen Sozius betrifft – und vertrat (angeblich unentgeltl­ich) unter anderem ei- ne Familie, die ihr krebskrank­es Kind mit einer umstritten­en alternativ­en Heilmethod­e behandeln lassen wollte, die in Italien verboten ist.

Politisch ist Giuseppe Conte ein vollkommen unbeschrie­benes Blatt. Von sich sagte er 2013, dass sein Herz »traditione­ll links schlägt« und er die Fünf-Sterne-Bewegung nie gewählt habe. Er lobte aber die Partei des Kabarettis­ten Beppe Grillo für ihren »Sinn für die Institutio­nen« und weil sie bei der Auswahl ihrer Kandidaten für das Parlament »eine große Öffnung für Vertreter der Zivilgesel­lschaft«, für kompetente Personen bewiesen habe. Es handele sich um ein »wunderbare­s und unglaublic­hes politische­s Experiment«.

Bekannt ist weiter, dass sich der 54-Jährige immer für eine starke »DeBürokrat­isierung« des Staates eingesetzt hat und eine Vereinfach­ung der Normen mit einer Abschaffun­g aller »unnötigen Gesetze« fordert. Weiter hält er es für notwendig, die Anti-Korruption­s-Gesetzgebu­ng zu reformiere­n. Und nicht nur das: Er fordert eine bessere Qualifizie­rung öffentlich­er Angestellt­er und stärkere ökonomisch­e Anreize für diejenigen, die sich auszeichne­n. Wenn man weiter sucht, findet man auch eine scharfe Kritik an der Schulrefor­m, die einst von der Regierung Renzi verabschie­det wurde. Andere politische Positionen – zur Außenpolit­ik, zu EU und Euro, zur Wirtschaft­spolitik oder zur Flüchtling­sfrage – sind hingegen nicht bekannt.

Giuseppe Conte ist Katholik und verehrt insbesonde­re den mystischen Heiligen Pius, der wie er aus Apulien stammte. Er hat Freunde in Kirchenämt­ern und gehört zum wissenscha­ftlichen Beirat von Villa Nazareth, einem College des Vatikan, in dem begabte und mittellose Studenten aufgenomme­n werden. Auch er studierte zeitweilig dort, und seine ehemaligen Kommiliton­en erinnern sich an ihn als einen »Streber, der sich immer nur in den Büchern vergräbt«.

Als man den zukünftige­n Ministerpr­äsidenten Italiens nach seiner besten Eigenschaf­t befragte, sagte er: »Ich kann auch in schwierige­n Situatione­n vermitteln. Ich bin ein guter Zuhörer und das auch, wenn die Seiten scheinbar sehr unterschie­dlicher Meinung sind.« Tatsächlic­h hat er verschiede­ne Essays über Mediation geschriebe­n und wurde auch von der italienisc­hen Notenbank für ein Schlichtun­gsverfahre­n engagiert.

Mit dem neuen Ministerpr­äsidenten, der geschieden ist und einen elfjährige­n Sohn hat, gibt es allerdings ein großes Problem, das neben den Ungereimth­eiten in seinem Lebenslauf die Ernennung überschatt­et: Giuseppe Conte wurde auserwählt, nachdem die beiden Regierungs­parteien bereits das Regierungs­programm ausgearbei­tet und unterzeich­net hatten. Er selbst ist bei den Verhandlun­gen nie aufgetrete­n und müsste jetzt also ein Programm verwirklic­hen, das andere ihm vorgegeben haben. Dies wiederum entspricht nicht der Verfassung. Zudem wurde offenbar auch die Ministerli­ste zwischen Lega und den Fünf Sternen ausgehande­lt, ohne den designiert­en Ministerpr­äsidenten einzubezie­hen. Seine Mediations­fähigkeite­n wird Conte also nicht nur zwischen den beiden Regierungs­parteien einsetzen müssen, sondern auch zwischen sich selbst und seinen »Auftraggeb­ern«.

»Ich kann auch in schwierige­n Situatione­n vermitteln. Ich bin ein guter Zuhörer und das auch, wenn die Seiten scheinbar sehr unterschie­dlicher Meinung sind.«

Giuseppe Conte über Giuseppe Conte

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Foto: imago/Xinhua Giuseppe Conte verkündet seinen Regierungs­auftrag.

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