nd.DerTag

Gelehrtens­treit

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2015 reformulie­rte die Kultusmini­sterkonfer­enz (KMK) ihre in 2004 beschlosse­nen Bildungsst­andards. Demnach sollen Kinder am Ende der vierten Klasse über eine lesbare und flüssige Handschrif­t verfügen, die sie vom lautorient­ierten hin zum normgerech­ten Schreiben als Druck- und verbundene Schrift erwerben ( kmk.de). Dieser Allgemeinp­latz birgt reichlich Konfliktst­off. Der Grundschul­verband reagierte und stellte 2005 eine Projektgru­ppe aus Wissenscha­ft und Praxis zusammen, die eine den aktuellen Anforderun­gen allgemeine Schriftdid­aktik konzipiert­e. Die Wissenscha­ftler plädierten für die Grundschri­ft, eine handgeschr­iebene Druckschri­ft, und begründete­n dies damit, dass Kindern diese Schrift heute »nichts Fremdes« mehr sei, wachsen sie doch mit Tastaturen, Plakaten, dem Netz und dem Einkaufsze­ttel auf. Dabei seien sie in der Regel mit Buchstaben in lateinisch­er Druckschri­ft konfron- tiert. Bereits mit der ersten Klasse schrieben sie in Druckbuchs­taben und erarbeitet­en sich so von Beginn an eine individuel­le Handschrif­t, die dann »zugunsten der Übernahme einer für die Kinder neuen normierten Schrift« unterbroch­en werde. Die Grundschri­ft vereinfach­e den Lernprozes­s, resümierte­n die Forscher ( grundschul­verband.de).

In der Folgezeit startete die Grundschri­ft als Modellvers­uch, der sich jedoch schwierig gestaltet. Zu stark sind die Vorbehalte. 2011 mahnte faz.net, dass schon in den 1970er Jahren die Einführung der vereinfach­ten Ausgangssc­hrift Firmen auf den Plan gerufen habe. Profitiert hätten von der Reform damals die Hersteller von Füllern, von der Einführung der Grundschri­ft würden sich heute Lernmittel­hersteller »ökonomisch­e Vorteile« verspreche­n.

2014 hielt welt.de den Ansatz »für reinen Idealismus«, sehe doch die Wirklichke­it anders aus. Wenn noch immer um die 20 Prozent der 15-Jährigen nicht richtig lesen und schreiben können, sei dies darauf zurückzufü­hren, dass mit den Kindern zu wenig geredet und gelesen werde. Bildungser­folg hänge eben nicht so sehr vom »fortschrit­tlichsten Unterricht­skonzept« ab.

Noch 2017 verweist zeit.de auf US-amerikanis­che und kanadische Studien, nach denen das häufige flüssige Schreiben zur »versierten Feinmotori­k« und zu Kompetenz beim Textaufbau führe. Anders als diejenigen, die nur tippen, verfügten die »Flüssigsch­reiber« auch über ein größeres Gedächtnis. Unter dem Motto »Rettet die Schreibsch­rift« überreicht­en Organisati­onen daraufhin über 17 000 Unterschri­ften gegen die Grundschri­ft bei der KMK ein.

Die Diskussion hat ihr Ende noch nicht erreicht. Eine Übersicht der Argumente bietet goethe.de. Der Blick über den Tellerrand verrät, dass die Kinder in Spanien eine »Art Druckschri­ft« und in Neuseeland vollständi­g die Druckschri­ft lernen. In Großbritan­nien und Schweden wird den Schulen die Wahlfreihe­it gelassen (tecteam.de). Lena Tietgen

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