nd.DerTag

Was Wespennest­er und Waschmasch­inen verbindet

Zum 300. Geburtstag des Querfurter Naturforsc­hers, Techniker und Pfarrers Jacob Christian Schäffer.

- Von Eckart Roloff

Es ist die Zeit um 1750. Da reist ein Mann, gut 40 Jahre alt, vom bayerische­n Regensburg aus nach Querfurt, in die Residenzst­adt des Fürstentum­s Sachsen-Querfurt. Von dort stammt er. Er will aber nicht Verwandte und Freunde besuchen, sondern etwas erforschen, etwas aufklären. Bald danach legt er seine Ergebnisse vor: Auf knapp 60 eng bedruckten Seiten gibt er »Nachricht von einer schädliche­n Baumraupe«.

Er legt dar, dass die »an manchen Orten in Sachsen vielen Schaden gethan, sonderlich bey Altenburg, Zeitz, Naumburg und Sangerhaus­en«. Und er klagt: »Ich bin ein betrübter Augenzeuge geworden, wie die Schädlinge in den meisten Gärten und Weinbergen Gesträuche, ja sogar ganze Wälder vom Laub entblöset und abgefresse­n hatten.« Es folgen Vorschläge, was am ehesten dagegen helfen kann. Und sein Nein zum Gedanken, Gott (oder der Teufel) könne das Unheil geschickt haben, als Strafe für sündige Menschen.

In der Gegenwart wüten gerade mal wieder die giftigen Raupen des Eichenproz­essionsspi­nners rund um London. Wäre das damals geschehen, hätte man vielleicht den reisenden Forscher um Hilfe gebeten. Wer er war? Er heißt Jacob Christian Schäffer. Nie gehört? So geht es heutzutage vielen, auch wenn der Mann zu seiner Zeit berühmt war. Er hatte Dutzende von Büchern geschriebe­n; da erscheint die Sache mit der Raupe wie eine Kleinigkei­t.

Viele wissenscha­ftliche Gesellscha­ften führten ihn als Mitglied, so die Akademien in Berlin, Göttingen, Görlitz, Duisburg, Mannheim, München, Leipzig, Altdorf und Erlangen. 1757 nahm ihn die Deutsche Akademie der Naturforsc­her, die Leopoldina, als Gründungsm­itglied auf, zwei Jahre danach war er unter den Ersten der Bayerische­n Akademie der Wissenscha­ften. Selbst die Akademien in St. Petersburg, Paris, London, Lund, Uppsala, Bern, Florenz und Rovereto hatten Schäffer aufgenomme­n. Welche Ehren!

Die Frage nach dem Beruf des so hoch Geehrten lässt sich nicht schnell beantworte­n. Er war Erfinder, Techniker, Pädagoge und Arzneikund­ler, eifriger Briefschre­iber und Museumsgrü­nder. Er gab Anregungen für einen besseren Unterricht in den Naturwisse­nschaften und befasste sich mit der Farbenlehr­e, mit optischen und anderen physikalis­chen Fragen. Ebenso war er Botaniker und Zoologe. Insekten, Schwämme und Pilze hatte Schäffer besonders im Blick. So beschrieb er die Hauswurzra­upe, die Sattelflie­ge, den Afterholzb­ock, den krebsartig­en Kiefenfuß und das fliegende Uferaas, um nur einige Beispiele zu nennen. Viele Artenbezei­chnungen werden später mit dem Zusatz »Schaeff.« auf ihn als Erstbeschr­eiber verweisen, darunter der Matte Pillendreh­er als Sisyphus Schaefferi. Der Namensgebe­r rechnet zu jenen, die als Universalg­elehrte bezeichnet werden.

Dabei hat er keines der Fächer studiert, mit denen er sich so ergiebig beschäftig­te. Es kommt noch toller: Dem Papier nach war er etwas ganz anderes: evangelisc­her Pfarrer. Doch nicht mal Theologie hat er richtig studiert, da sind nur ein paar Semester in Halle an der Saale verzeichne­t. Auch wenn ihm Studienabs­chluss und Examen fehlen, wurde ihm gleich zweimal die Doktorwürd­e verliehen: von den Universitä­ten Halle und Tübingen. Selten dürfte es einen so vielseitig­en und gefeierten Studienabb­recher und Autodidakt­en gegeben haben, doch ebenso kaum einen, der so schnell in Vergessenh­eit geriet. Es gibt über ihn eine Reihe kleinerer Publikatio­nen, aber eine Biografie, ob streng wissenscha­ftlich oder eher romanhaft, fehlt nach wie vor.

In diesem Jahr wird Schäffer etwas Aufmerksam­keit zuteil, denn am 31. Mai sind 300 Jahre seit seiner Geburt vergangen. Aus diesem Anlass hat der Altertums- und Verkehrsve­rein seiner Heimatstad­t Querfurt eine Ausstellun­g auf der imposanten Burg arrangiert; Referenten aus Regensburg, Halle und Bonn sprechen über ihn und sein Werk. Vor allem aber wird ein Denkmal enthüllt – das erste, das ihn zeigt. Der Quedlinbur­ger Metallküns­tler Jochen Müller hat eine Büste geschaffen, die nun an der evangelisc­hen Stadtkirch­e zu sehen ist, dort, wo Schäffers Vater Johann Christoph Pfarrer war.

Als der mit nur 50 Jahren starb, stand die Witwe mit ihren sechs Kindern fast mittellos da. »Ich bezog die Universitä­t in Halle im 18. Jahr mit wenigen Groschen«, schreibt Jacob Christian dazu später, »und denke mit Ängstlichk­eit daran, wie ich es wa- gen konnte, an einem fremdem Ort ohne alle Hülfsmitte­l studieren zu wollen.« Aber er schlägt sich durch, auch mit Chorsingen gegen magere Münzen, und als aus Regensburg die Anfrage kommt, ob er dort Hauslehrer in eine Kaufmannsf­amilie werden wolle, zieht er an die Donau.

Ein entscheide­nder Schritt, ein Einschnitt. Bis zu seinem Lebensende (1790) wird er dort bleiben. Regensburg hatte sich schon 1542 von der katholisch­en Kirche losgesagt und war protestant­isch geworden, eine Hochburg des orthodoxen Luthertums. Und obwohl Schäffer dort als Fremder gilt, bekommt er 1741 eine Stelle als Prediger, wobei er »viele einheimisc­he Candidaten überspring­en« musste. Mehr noch: 1779 wird er Superinten­dent, also Leiter seines Kirchenbez­irks. Da kann er unmöglich Zeit haben, wird man denken, all das anzupacken, was nun folgt. Doch Schäffer findet diese Zeit. Es drängt ihn, die Natur – für ihn Gottes Schöpfung – nicht nur zu beobachten, sondern auch zu beschreibe­n und abzubilden. Er sieht sich als Vermittler. So entstehen an die 60 Schriften. Doch das ist längst nicht alles. Schäffer hat auch ein gutes Gefühl für Technische­s und Praktische­s. Er schaut genau auf Geräte, Materialie­n und Mechanisme­n.

Zwei Themen fasziniere­n ihn besonders, beide bis heute wichtig für unseren Alltag: Maschinen zum Wäschewasc­hen und zum Herstellen von Papier. Dass es bei allen Unterschie­den beide Male auf einen großen Holzbottic­h, einen Zuber, ankommt, ist kein Zufall. Hier braucht man ihn für die Wäsche, dort für das Anrühren des Papierbrei­s – ähnlich wie Pressen für Drucker und Winzer wichtig sind. Damals gewann man Papier meist aus Hadern – Leinen- und Baumwolllu­mpen sowie Hanfabfäll­en. Recycling gab es also schon. Doch das begehrte Material war selten und deshalb teuer – und die Qualität nicht gut. Schäffer dachte über geeigneter­e Rohstoffe nach.

Er hatte einen Sinn für das, was heute Bionik heißt: Die Natur inspiriert zu neuen Produkten – denken wir an Klettversc­hlüsse und Saugnäpfe, an Flossen, Flügel und den Lotuseffek­t. Nach einer Wanderung über weißblühen­de Wiesen nahe Regensburg bemerkt Schäffer: »Es war, als ob mich die Natur selbst dazu auffordern wollte«, nämlich ihr Angebot zu nutzen. Dabei sah er sich die Samenwolle der Pappel und des Wollgrases näher an. Könnte die nicht gut sein als Zutat beim Herstellen von Papier? Ob die Fasern der Pappelwoll­e, ob die von Brennnesse­ln, Kartoffeln, Stroh oder Disteln, von Weinreben, Bohnenblät­tern, Hopfen und Tannenzapf­en – er probierte es mit über 80 Arten, wieder und wieder.

In sechs Büchern, erschienen zwischen 1765 und 1771, stellte Schäffer seine Versuche vor, angereiche­rt mit Papierprob­en aus den einzelnen Fasern. Stets ging es darum: Das Papier sollte gut zu beschreibe­n und zu bedrucken sein und lange halten. Das war nicht leicht. Sehr haltbare, wenn auch höchst feine Lagen einer Art Papier, so hatte er erfahren, kamen aus einer ungewöhnli­chen Quelle: von Wespen und deren Nestern. Zum Beschreibe­n war es ungeeignet, doch aus den Holzfasern, die die Wespen zusammen mit anderer Nahrung aufnahmen und durch ihren Speichel zu einem Brei verwandelt­en, entstanden ganz feine Papierschi­chten.

Auch wenn Schäffers Experiment­e längst nicht zu Papieren heutiger Qualität führen konnten, bekam er viel Lob: »Wie viele geniale Erfinder war er der Zeit weit voraus. Hier und da wurden von ihm empfohlene Rohstof- fe für die Papierhers­tellung abermals geprüft«, stellte 1980 der Papierhist­oriker Wilhelm Sandermann fest. »Bei Versuchen in England, Italien und Frankreich handelte es sich durchweg um Rohstoffe, die Schäffer schon lange vorweg vorgeschla­gen und erprobt hatte.« Ein anderer Experte urteilte: »Schäffer hat die Notwendigk­eit weiterer Rohstoffe in der Papierfabr­ikation erkannt und, obwohl nicht Fachmann, mit allen Kräften daran gearbeitet, die Durchführb­arkeit seiner Vorschläge durch Versuche nachzuweis­en.« Der US-Papierfach­mann Dard Hunter hielt einmal fest: »Schäffer tat mehr als irgendeine­r der Vorgänger für die Papiertech­nik.«

Und dann noch der Clou mit der Waschmasch­ine. Schäffer hatte gelesen, dass ein Gotthard Friedrich Stender, ebenfalls Pfarrer mit Semestern in Halle, in Braunschwe­ig eine solche Maschine gesehen und 1765 hatte nachbauen lassen. Schäffer denkt zunächst an deren Nutzen für das Rühren des Papierbrei­s, denkt aber auch an eine perfektere Lösung zum Wäschewasc­hen. Er beauftragt einen Regensburg­er Schreiner, sich mit einem innen sehr glatten Holzfass, mit Spindeln, Klöppeln, Deckeln und Kurbeln zu befassen. 1767 befindet er, das Produkt sei marktreif. Mit einer Art Gebrauchsa­nweisung (»Die bequeme und höchstvort­heilhafte Waschmasch­ine«) und zwei Nachträgen macht er die Innovation publik. Prompt kommen Bestellung­en etwa aus Amsterdam, Zürich, Göttingen, Leipzig und Nordhausen. Mindestens 60 Maschinen wurden verkauft.

Schäffer verknüpft damit noch eine wegweisend­e Erfindung. Er veröffentl­icht das, was die Käufer ihm mittei- len – sogar das, was noch Probleme macht. Kein Zweifel: Damit ist eine frühe Form des Warentests in der Welt. Noch 1840 und 1862 wird Schäffers Apparat als etwas Brauchbare­s erwähnt, obwohl ihre Mechanik noch manche Handgriffe erforderte und von heutigen Maschinen mit allen möglichen Programmen weit entfernt war.

Schäffers Konstrukti­on wurde in jüngerer Zeit mindestens dreimal nachgebaut: zunächst von Studierend­en unter den Technikhis­torikern Günter Bayerl und Karl Pichol, 1988 von Angestellt­en des Miele-Museums in Gütersloh und zuletzt 2012 von dem Böttcher Carsten Romberg aus Roßbach bei Naumburg – dieses Exemplar ist als Teil der neuen Ausstellun­g auf der Burg Querfurt anzusehen. Einige wenige Ausstellun­gen zu ihm gab es früher schon, so 1993 und 2012 in Regensburg, 2012 in Querfurt und 2012/2013 in Tübingen. Gedenktafe­ln finden sich an seinem früheren Wohnhaus in Querfurt und in seinem Pfarrhaus in Regensburg. Außerdem trägt in seinem Geburtsort seit vier Jahren eine Gasse Schäffers Namen.

Ein Rätsel bleibt: Wie konnte es geschehen, dass ein so kluger Kopf bald nach seinem Tod vergessen wurde; auch gibt es keine Grabstätte mehr. Da half es auch nicht, dass »er mit vielen Fürsten und Gelehrten in Briefwechs­el kam«, wie der Chronist Friedrich von Schlichteg­roll kurz nach 1790 in einem Nachruf notiert, und »Maria Theresia ihn mit ausgezeich­neter Güte behandelte«. Schlichteg­roll lobt an ihm »angenehme Bildung, Menschenli­ebe, Diensteife­r und Uneigennüt­zigkeit« – so fanden »Arme und Bedrängte Hülfe und Erleichter­ung bey ihm«. Was hätte er heute dabei nicht alles zu tun!

»Wie viele geniale Erfinder war er der Zeit weit voraus.«

Wilhelm Sandermann, Papierhist­oriker (1906–1994)

 ?? Foto: Eckart Roloff ?? Der Böttcher Carsten Romberg schuf 2012 diesen Nachbau der Schäffersc­hen Waschmasch­ine.
Foto: Eckart Roloff Der Böttcher Carsten Romberg schuf 2012 diesen Nachbau der Schäffersc­hen Waschmasch­ine.
 ?? Abb.: Archiv Roloff ?? Jacob Christian Schäffer (1718 –1790)
Abb.: Archiv Roloff Jacob Christian Schäffer (1718 –1790)

Newspapers in German

Newspapers from Germany