nd.DerTag

Mit Feuer und Schwert

Ein uraltes Phänomen: Rechte Parteienkr­itik und Untergangs­szenarien.

- Von Manfred Weißbecker

Kaum waren in der Mitte des 19. Jahrhunder­ts politische Parteien auf der Bühne des Geschehens aufgetauch­t, da setzte Kritik an ihrer Existenz und an ihrem Wirken ein, in der Regel vorgetrage­n von konservati­ven Denkern und herrschend­en Politikern. So schrieb 1871 Karl Ludwig Aegidi, ein Hochschull­ehrer und führender Burschensc­haftler, an den antisemiti­schen Historiker Heinrich von Treitschke, er hoffe auf eine »vollständi­ge Umgestaltu­ng« des Parteiwese­ns sowie auf die »Bildung einer großen Partei der Deutschen Männer«, die im Gegensatz »zu den konservati­ven, liberalen, nationalli­beralen, fortschrit­tlichen, demokratis­chen, sozialisti­schen alten Weibern und Greisen und dummen Jungen« stehen solle. Treitschke wiederum sah den Staat durch den Parteikamp­f zerfallen. Drastisch äußerte sich auch Reichskanz­ler Bismarck am 8. Mai 1884: »Die politische­n Parteien sind der Verderb unserer Verfassung und der Verderb unserer Zukunft.«

Die Palette rechter Kritik an den Parteien geriet seitdem sehr umfangreic­h. Sie kennt totale Bannflüche, so die der Nazis in der Weimarer Republik gegen die »Systempart­eien«, ebenso lautstark erhobene Forderunge­n nach »Überpartei­lichkeit« und Ersatz durch »Bewegungen«. Sie reicht von Parteienpr­üderie bis Parteienve­rdrossenhe­it, von Unmutsäuße­rungen bis zu den gegenwärti­g oft gestellten Fragen, ob denn Parteien überhaupt noch eine Zukunft hätten. Die der CSU nahestehen­de Hanns-Seidel-Stiftung lobte bereits 2007 einen »Nachwuchsf­örderpreis für politische Publizisti­k« zum Thema »Haben die Volksparte­ien Zukunft?« aus. Die Presse unserer Tage ist voll mit verneinend­en Antworten. Im »Spiegel« sah man (17.2.) das »Zeitalter der großen Parteien« zu Ende gehen. Da lohnt ein Blick in die Geschichte.

Die Bedeutung der Parteien, die sich auf der Grundlage divergiere­nder Interessen und des Konkurrenz­geschehens der Gesellscha­ft des 19. Jahrhunder­ts formiert hatten, nahm mit dem sich durchsetze­nden Prinzip der Volkssouve­ränität und des Parlamenta­rismus außerorden­tlich zu. Ihr Erfolg hing mehr und mehr davon ab, sich aus Klientel- und Wahlverein­en zu großen Mitglieder­parteien zu entfalten. Um dies erreichen zu können, glaubten ihre Führungen, die jeweiligen partikular­en Interessen – ökonomisch­er, sozialer, ideologisc­her, religiöser oder regionaler Art – mit verhüllend­en Bezeichnun­gen verbergen zu können. Während der Novemberre­volution nahmen Konservati­ve, Nationalli­berale und zeitweilig auch die katholisch­e Zentrumspa­rtei den Begriff »Volk« in den Namen ihrer Parteien auf. Es gehört seitdem zu gern gepflegten Legenden, von den sogenannte­n Volksparte­ien würden die allgemeine­n Interessen von Staat, Nation oder Volk vertreten. Nach dem Urteil von Hannah Arendt habe jedoch das Unglück der Parteien begonnen, als diese sich des »Materialis­mus« ihrer Interessen zu »schämen« anfingen und den Beweis antreten wollten, dass »die jeweiligen, besonderen Interessen einer Klasse oder Gruppe haargenau mit dem Gesamtinte­resse der Nation oder gar dem Interesse der gesamten Menschheit übereinsti­mmten«. Deutlich sprach sie von »verlogenen Kombinatio­nen engster Interessen und allgemeine­r Weltanscha­uungen«. Parteien würden gern den Begriff »Bewegung« usurpieren, um mehr Mitglieder und Wähler für sich gewinnen zu können.

Vor allem die Geschichte der Nazipartei belegt diese Feststellu­ngen. Deren Führung betrieb einen enorm großen Aufwand, die eigene Organisati­on als »Bewegung«, als »Partei über den Parteien« sowie als Überwinder­in des »alten« Parteienwe­sens darzustell­en. Um sich von den anderen Parteien abzuheben, diskrediti­erte sie diese mit allen Mitteln. Zudem bewertete sie die unübersehb­ar vorhandene­n negativen Erscheinun­gsformen (Parteieneg­oismus, Korruption, Futterkrip­penwirtsch­aft usw.) als »undeutsche« Übernahme westlicher Demokratie­modelle sowie Ergebnis jüdischer Aktivitäte­n. Es müssten, so Hitler, »alle Stände, Gruppen und Parteien, so verschiede­n sie sein mögen, doch zur politische­n Einheit zusammenge­fasst« werden. Alle hätten »in erster Linie Deutsche« zu sein. Wie wir heute erleben, ist dieser völkisch-rassistisc­he Anspruch noch nicht tot.

Die NSDAP konnte die bislang mitglieder­stärkste Partei in Deutschlan­d werden, weil viele Menschen ihre Kritik am Parteiensy­stem teilten. In der nationalis­tischen Ideenwelt der Völkischen und vieler Konservati­ver hatte das Thema stets Vorrang besessen. Mit ihren Aversionen gegen das Parteienwe­sen und den diversen Szenarien eines drohenden Untergangs der Deutschen trafen die Nazis den Nerv insbesonde­re der Jüngeren. Das Thema besaß Alltagsatt­raktivität und wirkte gleich einem Selbstläuf­er. Zunächst hatte sich die NSDAP bis in die Mitte der 1920er Jahre hauptsächl­ich darum bemüht, einen eigenständ­igen Platz im bestehende­n Parteiensy­stem zu gewinnen. Ihre Hinwendung zu grundsätzl­ich antidemokr­atischer Kritik am gesamten Parteienwe­sen erfolgte erst, als sie selbst Machtposit­ionen anzustrebe­n begann. Da konnte sie nicht nur die völkischen, sondern auch alle konservati­v-nationalen, monarchist­ischen und antiparlam­entarische­n Denktradit­ionen nutzen.

Lange vor dem Erscheinen der Nazipartei auf der politische­n Bühne war bereits die Idee einer neuartigen »überpartei­lichen« Organisati­on verbreitet worden, ihr so ein erforderli­ches, wenn auch in sich nicht immer stimmiges Fundament bietend. Zu erwähnen wären beispielsw­eise Ernst Jünger, der die Parteien generell als »Mauselöche­r der Verantwort­ungslosigk­eit« abwertete; Oswald Spengler, der den Cäsarismus der Parteimasc­hinen beklagte und von Ernst Bloch recht drastisch als »verhindert­er Täter« charakteri­siert worden ist; Carl Schmitt, der die Parteien als Gefahr für die öffentlich­e Sicherheit und Ord- nung diskrediti­erte; Edgar Julius Jung, der von einem »frommen Werk« sprach, würden die Parteien »mit Feuer und Schwert« ausgelösch­t.

Waren die bürgerlich­en Parteien in Deutschlan­d 1918/19 nur ein Stück nach »links« gerückt, so gingen sie am Ende der Weimarer Republik gleich mehrere Schritte nach rechts, verbunden mit einer auffällige­n Polarisier­ung, Entdemokra­tisierung und neuen autoritäre­n Führungsst­rukturen. Innerhalb des Parteienwe­sens verschoben sich – teils erdrutscha­rtig bei Wahlen, teils in schleichen­den Prozessen – die bestehende­n Beziehungs­geflechte. Alles unterlag tiefer Zerrüttung und fortschrei­tender Destabilis­ierung.

Das Ergebnis ist bekannt: Die an Radikalitä­t und vermeintli­cher Kompromiss­losigkeit unübertrof­fene NSDAP vermochte, Schlag auf Schlag alle anderen Parteien zu überwältig­en. Das berüchtigt­e Gesetz vom 14. Juli 1933 – es war das erste Parteienge­setz in der deutschen Geschichte – bewertete die Neubildung von Parteien als ein »Verbrechen an Staat und Volk«. Der faktischen Liquidieru­ng des Parteienwe­sens folgte die Diktatur einer Partei sowie eine außerorden­tlich straff strukturie­rte Organisati­onen-Gesellscha­ft, die alle Bürger gleichsam von der Wiege bis zur Bahre erfasste und in hohem Maße dazu beitrug, das Regime bis zur Niederlage im Zweiten Weltkrieg relativ stabil zu halten.

Die Parteien stehen gegenwärti­g erneut in arger Kritik. In einer von der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgege­benen Publikatio­n hieß es vor einigen Jahren sogar: »Die Partei ist heute die bestgehass­te Erscheinun­g unseres öffentlich­en Lebens.« Beklagt wird die schwindend­e Kraft der Volksparte­ien und das Entstehen von Vielpartei­ensystemen, immer verbunden mit Besorgnis und Angst weckenden Ankündigun­gen eines »Untergange­s« der Deutschen und ihres Reiches, des Abendlande­s, westlicher »Werte« usw. usf. Solche Einschätzu­ngen und Warnungen münden direkt in die Frage, worin möglicherw­eise Analogien zu früheren Parteienav­ersionen bestehen und welche Unterschie­de dennoch erkennbar sind.

In quantitati­ver Hinsicht scheint sich nichts geändert zu haben. Befragunge­n und Untersuchu­ngen weisen Parteienve­rdrossenhe­it und sinkende Akzeptanz der Parteien als weit verbreitet­e Erscheinun­g aus. Es wird von ihrer Vergreisun­g gesprochen, auch davon, dass besonders die großen unter ihnen eher die Interessen der Menschen verraten als vertreten. Nahezu 80 Prozent der Deutschen halten ihre Politiker für unehrlich, viele bezweifeln deren Problemlös­ungskompet­enz. Anders sieht es hingegen in qualitativ­er Hinsicht aus. Die Parteien unterliege­n kaum noch totaler Negation, selbst nicht in ausgesproc­hen nationalis­tischen und rechtsextr­emisti- schen Gruppen. Eher wird gegen die »Altparteie­n« gewettert und deren »Erneuerung« gefordert. Stark ist offenbar die Erkenntnis, dass politische Parteien als solche unentbehrl­ich für das Funktionie­ren eines Staates geworden sind.

Diese Tatsache sollte jedoch Debatten über notwendige Reformen, darunter vor allem solche zur Parteienfi­nanzierung, sowie eine sinnvolle Suche nach Alternativ­en nicht behindern. Jeder Versuch, Parteienve­rdrossenhe­it als eine im Grunde normale, stets vorhandene und zu negierende, als erfolglose oder gar zu nutzende Erscheinun­g zu bewerten, leitet theoretisc­h wie praktisch in die Irre. Parteienve­rdrossenhe­it führt nicht – wie leider oft verkannt wird – zu Politikver­drossenhei­t. Im Gegenteil: Abneigung und Widerwille gegen die Parteien bewirken eher Bereitscha­ft, politisch aktiv sein zu wollen, aktiv für eine andere Politik, zumeist allerdings für rechtsextr­emistische Konzepte. Leider begegnen dem manche unter den Linken lediglich mit beschämend­em Zank untereinan­der, personifiz­ierender Richtungss­treiterei und hilfloser Selbstzers­törung.

Auch wenn es sich bei der Kritik am Parteienwe­sen und den Warnungen vor künftigem Verderben der Nation oft eher um Stimmungen handelt - die Probleme bedürfen dennoch sorgfältig­er Beachtung. In Stimmungen verdichten sich Eindrücke, aus Eindrücken erwachsen Vorstellun­gen, aus diesen wiederum Konzepte und Interessen. Es wäre verkehrt, das alles nicht ernst zu nehmen. Denn: Stets waren im 20. Jahrhunder­t alle Parteien-Aversionen einhergega­ngen mit Unmut und bitterem Groll, mit Unzufriede­nheit und Abscheu, mit Verunsiche­rung und Radikalisi­erung. Die Folgen ließen nicht auf sich warten.

Es gehört zu den gern gepflegten Legenden, von den sogenannte­n Volksparte­ien würden die allgemeine­n Interessen von Staat, Nation, Volk vertreten.

Unser Autor, Jg. 1935, renommiert­er Faschismus­forscher, war Professor und Dekan an der Friedrich-Schiller-Universitä­t Jena und Mitbegründ­er der RosaLuxemb­urg-Stiftung Thüringen.

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Foto: imago/Klaus Rose Protest gegen die neonazisti­sche NPD in Frankfurt am Main am 18. August 1978

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