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Der Traum vom Fliegen bleibt

Ihr Leben lang nutzte sie jede Chance abzuheben – demnächst im Gleitschir­m?

- Von Christa Kikels

Um meinen Traum vom Fliegen zu verwirklic­hen, ging ich 1958 zu den Segelflieg­ern. Leider war diese aktive Zeit nach vier Jahren viel zu schnell zu Ende – ich wurde schwanger. Die Verantwort­ung für das kleine Wesen ließ mich nicht mehr in ein so kleines leichtes Flugzeug steigen. Doch der Traum vom Fliegen lebt bis heute.

1966 flog ich mit einer Gruppe Enthusiast­en zu den Weltmeiste­rschaften im Motorkunst­flug nach Moskau, um unserer DDR-Mannschaft zur Seite zu stehen. Wieder war ich schwanger, im 6. Monat, als wir mit einer TU 104 von Berlin nach Moskau und zurück flogen. Es hat dem Kleinen nicht geschadet, aber Pilot ist er nicht geworden.

Es folgten weitere Linienflüg­e, zum Beispiel nach Budapest mit unseren beiden Söhnen. Dabei hatten wir ein ganz besonderes Flugerlebn­is. Der Pilot lud Interessie­rte ein, einmal zu ihm ins Cockpit zu schauen. Damals gab es noch keine Angst vor Terroransc­hlägen. Auch ich stellte mich in die Wartereihe. Ich erzählte den Piloten, dass ich mal Segelflieg­erin war, da durfte ich mich setzen und das Steuerhorn in die Hand nehmen. Es war ganz ruhige Luft, trotzdem fabriziert­e ich einen kleinen Schaukler mit der großen Maschine, ich bekam einen mächtigen Schreck, natürlich hat der Autopilot sofort korrigiert.

1986 flogen wir nach Chabarowsk, dazu überquerte­n wir ganz Sibirien und waren nur noch 300 Kilometer vom Gelben Meer entfernt. Nach 1990 war es theoretisc­h möglich, überall hinzureise­n, wenn man es bezahlen konnte. Wir sparten jede Mark und besuchten Kuba, China, Mexiko und Tansania mit wunderschö­nen Flügen über Länder und Meere. Wir sahen den Kilimandsc­haro von oben.

Ich träumte weiter, aus der Luft die Welt zu betrachten. Zu meinem 60.

Geburtstag im Jahre 2000 schenkte mir mein Mann eine Ballonfahr­t. Der kleine Luftballon mit dem Gutschein dran, segelte schon mal unerlaubt davon. Doch zwei Wochen später starteten wir in aller Frühe in den azurblauen wolkenlose­n Himmel und erlebten eine wunderschö­ne ruhige Fahrt mit dem Wind über die Felder und Wälder des Flämings.

2001, zu unserer Rubinhochz­eit (40 Jahre), meldeten wir auf einem Segelflugp­latz Flüge mit einem Doppelsitz­er an. Das Wetter war uns ge- wogen, außer uns waren die Söhne und jugendlich­en Enkelsöhne mit je einen Flug in der »Holzkiste« dabei. Wir alle erlebten einen Start mit der Seilwinde und je nach Thermik fünf bis fünfzehn Minuten Segelflug. Da war sie wieder, die Begeisteru­ng für das lautlose Fliegen, das Einssein mit der Natur.

So ging es munter weiter. Überall wo wir unseren Urlaub verlebten, hatte mein Mann schon vorher einen Sportflugp­latz erkundet. Wenn wir dann mit dem Fahrrad in der Nähe waren, hieß es: »Mal sehen, was so ein Flug kostet?« Meist saßen wir einige Minuten später in einer kleinen Maschine. So lernten wir die Müritz, die Inseln Usedom und Rügen, den Fläming und auch Potsdam und Berlin von oben kennen.

Am spektakulä­rsten war unser Flug mit einem Wasserflug­zeug über den Geirangerf­jord in Norwegen. Wir befanden uns auf einer Busrundrei­se und hatten bis zur Abfahrt der Fähre etwa 70 Minuten Aufenthalt in Geiranger. Bei der Abfahrt vom Berg Dalsnibba hatten wir schon das Starten und Landen des Wasserflug­zeuges beobachtet. Als der Bus hielt, lief mein Mann sofort zur Anlegestel­le und erkundigte sich. Der Busfahrer warnte uns, er könne nicht warten, wenn wir nicht pünktlich seien. Wir wagten es trotzdem und stiegen in die Cessna. Es war ein einmaliges Erlebnis, nicht nur die berühmten Wasserfäll­e, sondern auch deren Zuflüsse zu bewundern, oft in Höhe der Abbruchkan­te der Felsen.

Dem Traum vom Fliegen neues Futter zu geben erreichte unser Sohn, indem er mit bewunderns­werter Energie in Berlin-Schönefeld einen Termin beim Flugsimula­tor ergattern konnte. Dort müssen Piloten halbjährli­ch ihre fachliche Qualifikat­ion nachweisen. Wir durften in einer halben Stunde üben, wie man einen Airbus A 300, ein wirklich gewaltiges Flugzeug, richtig startet, eine Runde um Berlin fliegt, und wieder sicher landet. Das war sehr aufregend, denn das Erlebnis wirkte verdammt echt. Ich träumte noch nachts davon.

Der 55. Hochzeitta­g sah uns wieder auf dem Segelflugp­latz, denn dort hatten wir uns einst kennengele­rnt. Ein neues Fluggerät wurde ausprobier­t, ein Tragschrau­ber. Wir beide flogen parallel, jeder mit einem Piloten und drehten einen weiten Bogen über Potsdam, filmten und fotografie­rten uns gegenseiti­g.

Einen Traum vom Fliegen habe ich noch offen, das ist ein Flug mit einem Gleitschir­m. Bisher haben sich das nur mein Mann und einer unserer Söhne gewagt. Jedes Mal war ich zu feige, sowohl in Grindelwal­d und auch am Gardasee. Ich wollte mich nicht einem Stück Stoff und den daran befestigte­n Strippen anvertraue­n. Deshalb sagte ich immer: »Das mache ich, wenn ich 80 bin.« Nun sind es bis dahin nur noch zwei Jahre. Mal sehen, ob ich dann den Mut haben werde?

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Foto: imago/imagebroke­r Vielleicht hängt sie sich doch noch an die Strippen.

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