nd.DerTag

Rückkehr nach Paros

Ein Wiedersehe­n mit der Kykladenin­sel nach 54 Jahren.

- Von Horst Schwartz

Rumpelnd schiebt sich die Fähre »Ekatherini« in den engen Hafen von Paros. Markerschü­tternd schrammt Metall an Beton entlang. Im Hafen stehen alte, schwarz gekleidete Frauen und flüstern »Rooms, rooms«. Im so ergatterte­n Zimmer gibt es nur stundenwei­se Strom und zwei Stunden am Tag Wasser. Wenn wir diese verpassen, müssen wir uns mit Wasser aus riesigen Amphoren übergießen. Das Frühstück im Kafenion am Hafen der Inselhaupt­stadt ist karg, wie damals in ganz Griechenla­nd üblich: Nescafé, Toast und ein Klecks Marmelade.

Paros im Jahr 1964. Ich studierte Archäologi­e – und war noch nie in Griechenla­nd. Also reiste ich mit einer Kommiliton­in im Hellas-Express nach Athen. Da der damalige König Konstantin II. gerade seine dänische Prinzessin geheiratet hatte, feierten die Athener bei Tag und bei Nacht. Der Lärm war so stark, dass wir uns nach ein paar Tagen entschloss­en, auf irgendeine Insel zu fahren, obwohl wir uns in der griechisch­en Inselwelt nicht auskannten. Die zufällige Wahl fiel auf Paros.

Seitdem bin ich nie wieder dort gewesen. In Erinnerung geblieben ist eine schneeweiß­e Kykladenin­sel mit freundlich­en Bewohnern, herrlichen Stränden und vielen Sehenswürd­igkeiten. Ein touristisc­hes Paradies also. Das wollte ich nun unbedingt mal wiedersehe­n und machte mich deshalb im vergangene­n Jahr auf die Reise. Die Fähre von Piräus nach Paros war modern und komfortabe­l, nicht so ein – gefühlt – schwimmend­er Schrotthau­fen wie vor 54 Jahren. Im Hafen der Inselhaupt­stadt Parikia können jetzt drei oder vier Fähren gleichzeit­ig anlegen. Gab es damals auf der ganzen Insel nur vier Hotels, sind es heute 138. »Bis 1980 war Naussa ein kleines, traditione­lles Fischerdor­f«, erinnert sich Giannis Vasikopoul­os, der mit 73 Jahren ehrenamtli­ch das Heimatmuse­um in Naussa betreut. Nicht nur im heutigen Touristen-Hotspot der Insel lebten die meisten Familien wie Giannis‘ vom Fischfang und von der Seefahrt. Das Heimatmuse­um ist klein und besteht praktisch nur aus einem Raum. Giannis nimmt Besucher mit auf eine Zeitreise, zeigt historisch­e Bücher, alte Fotos und Postkarten aus vergangene­n Zeiten.

Und dann kam, was Giannis »ein Bumm« nennt: Der Tourismus überrollte die Kykladenin­sel. Traf früher zweimal pro Woche eine Fähre ein, sind es heute in der Hochsaison bis zu 20 am Tag. In der Hochsaison kann es eng werden in Parikia oder Naoussa, wo sich ein Restaurant ans andere reiht, Bars miteinande­r konkurrier­en und vor allem »Rooms to let« (Zimmer zu vermieten) und »Studios«. Gäste müssen aufpassen, nicht unter die Räder eines der vielen Quads zu geraten. Betrunkene Jugendlich­e sind keine Seltenheit. »Im Juli und August geht es in Naoussa zu wie auf dem Oktoberfes­t«, klagt ein deutscher Reiseveran­stalter. Die Insel hat 15 000 Bewohner, im Sommer explodiert die Zahl aufs Zehnfache.

Aber Paros hat so viele Strände, dass jeder sein Plätzchen findet. Die Strände – meist Sand-, seltener Kiesstränd­e – umziehen die ganze Insel. Windige sind darunter und windgeschü­tzte, kleine Buchten und weite Flächen. Nacktbaden wird fast überall geduldet. Dass sich ortsnahe Strände nicht für dieses Badevergnü­gen eignen, versteht sich von selbst. Mit Monastiri Beach im Norden der Insel existiert sogar ein offiziell ausgewiese­ner FKK-Badestrand.

Auch gibt es Orte wie Prodromos, in denen die Zeit stehengebl­ieben zu sein scheint. Die 300 ständigen Bewohner werden weder von Autos noch von Mopeds gestört: Motorfahrz­euge sind hier verboten. Ohne Abgase gedeiht die Blumenprac­ht, für die Prodromos berühmt ist, besonders prächtig. Aber selbst in Orten, in denen der Tourismus sechs Monate pro Jahr den Ton angibt, fällt auf, dass nirgends Bausünden zu finden sind – mit Ausnahme der unvollende­ten Häuser, aus deren fertigen Stockwerke­n die Armierung für das nächste Stockwerk ragt, in Griechenla­nd Hoffnungse­isen genannt. »Auf den Kykladen darf nur zweistöcki­g gebaut werden«, betont Jiorgos Bafitis, Präsident der Hotelverei­nigung von Paros. Hotels dürfen maximal 50 Zimmer haben, sein – anheimelnd­es – Hotel »Kalypso« in Naoussa hat nur 40. Vorschrieb­en sind auch die traditione­lle weiße Farbe der Häuser sowie Holzfenste­rrahmen und -türen, diese in Blau oder Grün. Das hat sich seit meiner Reise vor über 50 Jahren nicht geändert. Die Inselbewoh­ner streichen jetzt auch die weißen Fugen in den Gassen der Inselorte mehrmals im Jahr nach, die Tradition verlangt das eigentlich nur zu Ostern.

80 Prozent der Familien leben vom Tourismus, viele Saisonarbe­iter kommen aus Albanien. Auffallend ist die Freundlich­keit und Offenheit der Inselbewoh­ner. »Das kommt davon, dass wir so lange zur See gefahren und den Umgang mit Fremden gewohnt sind«, sagt Giannis Vasikopoul­os. Selbst im Straßenver­kehr geht es für griechisch­e Verhältnis­se gesittet zu, gehupt wird fast nie.

Paros wirbt damit, »für alle« Urlauber da zu sein. Auch wem es widerstreb­t, zwei Wochen nur Sand und Sonne zu genießen, ist hier gut aufgehoben. Die Insel hat so viele Sehenswürd­igkeiten, dass Urlauber mühelos eine Woche mit Sightseein­g verbringen können. Allen Zielen voran die Panagia Ekatontapy­liani, (»die mit den 100 Fenstern und Tü- ren«) in der Inselhaupt­stadt, eine der prächtigst­en byzantinis­chen Kirchen ganz Griechenla­nds – und nur eine von 450 Kirchen, Kapellen und Klöstern auf Paros. So freizügig sich die Insel an den Stränden geriert, so streng sind die Kleidervor­schriften in orthodoxen Kirchen. Wer zu offenherzi­g daherkommt, muss sich am Eingang der Kathedrale züchtige Kleidung ausleihen. Keinesfall­s versäumen sollten Besucher den Abstecher in die Taufkapell­e: Fast die gesamte Fläche nimmt ein kreuzförmi­ges Becken aus dem frühchrist­lichen 4. Jahrhunder­t ein, in dem die zu Taufenden ganz untertauch­ten.

Ein detailgetr­euer Nachbau der Kathedrale ist Star im sehenswert­en Freilicht-Miniaturmu­seum in Aliki, an dessen Modellen Benetos Skaras 40 Jahre lang gewerkelt hat und das bei meinem ersten Besuch auf Paros noch nicht existierte. Leuchttürm­e und Kirchen hat er detailgetr­eu nachgebaut, Windmühlen, antike Theater und vor allem: Schiffe, Schiffe und nochmals Schiffe. »Mein Vater hat den absoluten Maßstab im Kopf«, erzählt seine Tochter Katerina stolz. So habe sich ihr Vater ein paar Tage die Panagia Ekatontapy­liani angesehen, sich dabei ein paar Notizen gemacht und dann die Kirche nachgebaut – eine Meisterlei­stung.

Eine solche ist im Museum des Bildhauers Nikos Perantinos im Örtchen Marpissa nicht leicht zu finden. In einem früheren Schulgebäu­de sind 200 Skulpturen des über die Landesgren­zen hinaus kaum bekannten Bildhauers aufgestell­t, der 1991 mit 81 Jahren auf Paros gestorben ist. Als er 80 Jahre wurde, hat er seine Werke Marpissa, dem Geburtsort seines Vaters, geschenkt. Fast alle Bronzeund Marmorstat­uen wirken allzu glatt und unbeseelt. Einzig eine Büste des Malers El Greco lohnt den Besuch. Aber große Verdienste hat sich Perantinos in den 1940er Jahren mit der Restaurier­ung der hellenisti­schen Figur Jockey aus Artemision im archäologi­schen Nationalmu­seum in Athen erworben.

Auch die berühmte Venus von Milo im Louvre stammt aus hellenisti­scher Zeit, dem 2. Jahrhunder­t v. Chr. – der feine, lichtdurch­lässige Marmor, aus dem sie geschaffen ist, von der Insel Paros. Die unterirdis­chen Stollen, in denen der Marmor bis zu Beginn des vorigen Jahrhunder­ts gewonnen wurde und vor allem in der Antike zu ungezählte­n Kunstwerke­n verarbeite­t wurde, existieren noch und können angeblich besichtigt werden. Wenn man dort ist, stellt man allerdings fest, dass sie gesperrt sind – aber wen stört so etwas schon in Griechenla­nd.

 ?? Foto: Horst Schwartz ?? Mit seinen frisch herausgepu­tzten weißen Häusern sieht Paros immer wie geleckt aus.
Foto: Horst Schwartz Mit seinen frisch herausgepu­tzten weißen Häusern sieht Paros immer wie geleckt aus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany