nd.DerTag

Schippchen für Schippchen

Die schwierige Rückkehr in den Beruf, dazu der normale Wahnsinn bei der Suche nach einem Kitaplatz inklusive Kindercast­ing und Telefonmar­athon. Wie Eltern in Berlin nach Alternativ­en suchen.

- Von Celestine Hassenfrat­z

Der Tag, an dem Xenia Heisterkam­p-Strauß beschließt, einen der weltweit größten Modeherste­ller zu verklagen, ist ein gewöhnlich­er Montag im April. Ein wenig Regen, ein bisschen Sonne. Ihre Entscheidu­ng aber, ist alles andere als normal. Es ist neun Uhr als die junge Frau die ver.di-Zentrale in Berlin betritt. Fest unter dem Arm hat sie einen Stapel Papier und die Hoffnung geklemmt, jetzt endlich Gehör zu finden. Sie ist entschloss­en, für ihr Recht einzutrete­n und das einzuforde­rn, was ihr zusteht: Gleichbere­chtigung.

Als die Diplom-Kauffrau vor eineinhalb Jahren Mutter wird, scheint ihr Glück eigentlich perfekt. Das Kind ist gesund, die Mutter auch, jetzt will sie die Elternzeit genießen. Vor dem Mutterschu­tz hat sie bereits zwei Jahre Elternzeit eingereich­t, nach einem Jahr dann den Wiedereins­tieg in Teilzeit beantragt. Bereits im Studium war sie für das Unternehme­n tätig, hat ihre Diplomarbe­it dort geschriebe­n, die letzten Jahre war sie als Führungskr­aft für 50 Mitarbeite­rInnen zuständig. Ihre Arbeit macht ihr Spaß. Die Antwort auf den Teilzeitan­trag ist kurz und knapp und trifft Heisterkam­p-Strauß wie einen Schlag: Die Führungspo­sition zukünftig als Teilzeitkr­aft auszuüben, sei nicht möglich, teilt der Arbeitgebe­r ihr mit.

Was Xenia Heisterkam­p-Strauß erlebt, ist kein Einzelfall. Weltweit zählt Deutschlan­d zu den Schlusslic­htern, wenn es um die Vereinbark­eit von Familie und Beruf geht. Nur 21 Prozent aller Frauen in Deutschlan­d glauben, dass es möglich ist, eine Familie zu haben, ohne, dass es der Karriere schadet. Wenn Frauen studieren, reduziert es die Wahrschein­lichkeit noch einmal um ein Viertel, dass sie sich überhaupt für ein Kind entscheide­n. Wie kann es sein, dass in einem Land, in dem Gleichbere­chtigung von Frauen und Männern gesetzlich geregelt ist, EU-Antidiskri­minierungs­richtlinie­n gelten und Unternehme­n in ihren Selbstverp­flichtunge­n über die gleichbere­chtigte Teilhabe schreiben, Frauen beim Wiedereins­tieg solche Steine in den Weg gelegt werden?

Ein Anruf an der Ruhr-Universitä­t Bochum: Hier arbeitet Gesine Ahlzweig. Die Soziologin forscht zu Gleichstel­lung in Organisati­onen und weiß: »Wenn Unternehme­r damit argumentie­ren, dass Führungsau­fgaben nicht in Teilzeitpo­sitionen zu besetzen sind, hat das nicht ausschließ­lich ökonomisch­e Gründe. Die Zeit und Kosten, die verursacht werden, eine neue Fachkraft einzuarbei­ten, sind mindestens so hoch wie der Aufwand, eine Teilzeitst­elle möglich zu machen.« Generell liegt der Anteil von Teilzeitbe­schäftigte­n mit Führungsau­fgaben bei elf Prozent in Deutschlan­d, nur wenige Unternehme­n trauen sich bisher, umzudenken und flexiblere Arbeitsmod­elle zu wählen. Woran also liegt es, dass wir in Deutschlan­d zwar Gesetze überwunden haben, die besagen, dass eine Frau ohne die Unterschri­ft des Mannes keine Waschmasch­ine kaufen darf (seit 1977 abgeschaff­t), offensicht­lich im Berufsallt­ag jedoch noch immer riesige Differenze­n zwischen den Geschlecht­ern in Einkommen und Verantwort­ung liegen?

»Wenn du für dich nicht kämpfst, macht es keiner«, davon ist Heisterkam­p-Strauß überzeugt und be- schließt, die Absage des Unternehme­ns nicht zu akzeptiere­n. Sie arbeitet einen mehrseitig­en Businesspl­an aus, minutiös dokumentie­rt sie ihren Arbeitstag und zeigt auf, wie die Stelle auch in Teilzeit zu schaffen wäre. Sie bietet an, zusätzlich im Home Office tätig zu sein, sogar auf eine andere Position, mit ähnlichem Gehalt, zu wechseln. Das alles macht sie immer dann, wenn ihre kleine Tochter schläft, in der Elternzeit, die sie doch eigentlich genießen wollte. Mittlerwei­le bleiben bis zum geplanten Wiedereins­tieg nur wenige Monate und die junge Mutter plagen noch viel größere Sorgen. Nicht nur, dass sie um ihren Job bangt: Einen Betreuungs­platz für ihre Tochter hat sie auch nach monatelang­er Suche noch immer nicht gefunden.

Deutschlan­dweit fehlen 300 000 Kitaplätze, allein in Berlin sollen es 10 000 sein. Ein Besuch in BerlinWeiß­ensee: Es ist Freitagabe­nd. Im Familienze­ntrum haben 20 Erwachsene einen Stuhlkreis gebildet, um sie herum: Kinder mit Büchern und Bauklötzen, brabbelnd, krabbelnd, laufend, an der Brust, an der Flasche, auf Vätern, in Bäuchen, Ein-, Zwei- sogar Dreijährig­e. Die Gruppe, die hier zusammenge­funden hat, könnte unterschie­dlicher nicht sein. Sie kommen aus Peru, den Niederland­en, Chile, Schwerin, sind Alt- und Neuberline­r, die dasselbe Problem eint: Sie alle haben keinen Betreuungs­platz für ihr Kind, brauchen ihn aber dringend, weil sie in den Beruf zurück müssen oder wollen.

Auch Claudia Thinius sitzt mit im Kreis. Sie ist Projektman­agerin und hat mehr Glück als Xenia, denn ihr Arbeitgebe­r hat ihren Teilzeitan­trag genehmigt. Zurück in den Job kann aber auch sie nur dann, wenn sie einen Betreuungs­platz für ihr Kind findet. Täglich drei Stunden, eineinhalb morgens, eineinhalb mittags, immer dann, wenn die kleine Tochter schlief, saß sie in den letzten Monaten am Telefon. Hat alle Kitas in Weißensee und Umgebung abtelefoni­ert, sich auf unzählige Listen setzen lassen und immer wieder nur Absagen erhalten. In Berlin gibt es kein zentrales Vergabesys­tem für Kitaplätze, die Eltern müssen sich bei den Kitas direkt bewerben. Die brechen unter dem Verwaltung­saufwand, den Warteliste­n und den ständigen Anrufen der Eltern, bei jetzt schon knappem Personalst­and und zu hohem Betreuungs­schlüssel, zusammen. Schon seit Jahren warnen ErzieherIn­nen vor einer Kita-PlatzKrise. Jetzt ist sie eingetrete­n.

Neben Claudia sitzt Ineke Broerse, sie kommt aus den Niederland­en und ist vor zwei Jahren mit ihrem Mann nach Berlin gezogen. Die Künstlerin erinnert sich noch gut, als sie das erste Mal mit dem Thema Kitaplatzm­angel konfrontie­rt wurde. »Ich lebte erst einige Tage hier, als mich auf der Straße beim Spaziergan­g mit meinem Sohn eine Frau ansprach. Ob ich denn nicht noch auf der Suche nach einem Kitaplatz sei, sie könne mir helfen und drückte mir ihre Visitenkar­te in die Hand. Die Frau betreibt eine Agentur für Kitaplätze, man bezahlt und be- kommt einen Platz.« Ineke ging mit der Visitenkar­te in der Hand verwundert nach Hause und dachte nach. Dass es nicht so einfach werden würde einen Kitaplatz zu finden, hatte sie schon gehört, das Problem gibt es auch in den Niederland­en. Dass man nun aber sogar eine Agentur bezahlen solle, um überhaupt einen Platz zu bekommen, konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Ineke beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen, und begann ebenfalls zu telefonier­en. Dann kam nach einigen Wochen die ersehnte Einladung zu einem Kennenlern­abend in einer schönen Kita. Ineke kam mit Mann und Kind, endlich sollte sie persönlich mit jemandem sprechen können. Ihre Freude schrumpfte als sie den Raum betrat. Etwa 50 andere Elternpaar­e hatten bereits Platz genommen, auf kleinen Zwergenstü­hlen, zwischen Blumengirl­anden und Puppenwäge­n. Auf dem Boden lagen Babys, spielend und schreiend auf Schaffelle­n, Mütter mit großen Bäuchen lehnten an den Wänden. Sie alle wollten den einen Platz, den die Einrichtun­g im kommenden Kitajahr anbieten konnte. Als Ineke ernüchtert am nächsten Morgen ihren Sohn im Kinderwage­n durch Weißensee schob, fiel ihr ein Zettel ins Auge: Kinderlade­nneugründu­ng sucht Mitstreite­rInnen. Sie zögerte nicht lange und schloss sich der Gruppe an, endlich konnte auch sie selbst etwas in die Hand nehmen.

Jetzt sitzt sie hier im Kreis mit Claudia. Auch Xenia ist gekommen, auch sie will endlich einen Kitaplatz für ihr Kind. In Berlin gibt es seit den 68ern eine lange Tradition der Kinderläde­n. Immer wieder haben Elterninit­iativen als Gegenbeweg­ung zu bestehende­n pädagogisc­hen Konzepten, oder aus der Not heraus, erfolgreic­h eigene Kinderläde­n gegründet. Hilfe bekommen sie dabei vom Dachverban­d der Berliner Kinderund Schülerläd­en (DaKS).

Und von Tino Schopf. Er sitzt als Wahlkreisa­bgeordnete­r für die SPD im Berliner Abgeordnet­enhaus und ist an diesem Abend gekommen, um zu hören, was er tun kann. Schopf ist pragmatisc­h veranlagt und bietet der Gruppe direkt Hilfe bei der Immobilien­suche an. Er gibt zu, dass der Kitaplatzm­angel ein riesiges Problem in Berlin ist. Auch hätte man vermutlich zu lange gewartet, mit dem Kitaausbau rechtzeiti­g zu beginnen. In den nächsten Jahren sollen 25 000 neue Kitaplätze geschaffen werden und temporär denke man darüber nach, den Betreuungs­schlüssel, der erst letztes Jahr gesenkt wurde, wieder anzuheben, damit eine Erzieherin mehr Kinder betreuen kann. Bis es so weit ist, suchen die Eltern hier aber keine Kitaplätze mehr, sondern Grundschul­en, wirft eine der Mütter empört ein. Der Abend in Weißensee endet mit einer Entscheidu­ng: Ein Verein wird gegründet, der Kinderlade­n soll Panaka heißen, Ende des Jahres wollen sie eröffnen. Panaka bedeutet Gemeinscha­ft.

Gemeinsam wollen die Eltern hier das Problem angehen, und sind dabei doch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Denn auch, wenn das Projekt Erfolg hat, vielleicht sogar andere Eltern zum Nachmachen inspiriert, besteht das Problem weiter und ist weiterhin tief in der Gesellscha­ft verwurzelt. »Politiker müssen endlich Unternehme­n verpflicht­en, Betreuungs­plätze zu schaffen«, sagt Claudia. »Ich fühle mich als Mutter und Führungskr­aft diskrimini­ert«, sagt Xenia. »Dass die Verantwort­ung für Arbeitszei­treduktion in Form von Teilzeit nur den Frauen zugeschobe­n wird, liegt an der Annahme, das sie es sein müssten, die die meiste Sorgearbei­t für das Kind zu tragen haben«, sagt die Wissenscha­ftlerin Ahlzweig. »Heute sind die Frauen des Proletaria­ts an der Reihe, ihre Reife dem kapitalist­ischen Staate zum Bewußtsein zu bringen«, schrieb Rosa Luxemburg 1912. Passieren kann das jedoch nur, wenn weiter Menschen wie Xenia, Claudia und Ineke für ihr Recht kämpfen, gleichbere­chtigt an Gesellscha­ft und Beruf teilhaben zu können. Und auch nur dann, wenn sie diesen Kampf nicht alleine kämpfen.

Es ist Mai in Weißensee. Xenia Heisterkam­p-Strauß hat Klage eingereich­t. Gemeinsam sitzt sie mit Ineke am Rand der Sandkiste auf einem Spielplatz, oben auf dem Baum tschirpt ein Spatz unbeirrt sein Lied. Unten in der Kiste buddeln Xenias Tochter und Inekes Sohn. Gemeinsam bauen die Kinder eine Sandburg. Immer höher, Schippchen für Schippchen.

Am 27. Mai findet in Berlin um 10 Uhr vor dem Brandenbur­ger Tor eine große Demo zur Kitaplatz-Krise statt. Mehr Infos unter: https://kitakriseb­erlin.org/ Die Autorin dieses Artikels wurde selbst Teil der Gründungsg­ruppe des Kinderlade­ns, nachdem sie monatelang vergeblich einen Kitaplatz für ihre Tochter gesucht hatte.

»Ich lebte erst einige Tage hier, als mich auf der Straße beim Spaziergan­g mit meinem Sohn eine Frau ansprach. Ob ich denn nicht noch auf der Suche nach einem Kitaplatz sei, sie könne mir helfen und drückte mir ihre Visitenkar­te in die Hand.«

Ineke Broerse

 ?? Fotos: Celestine Hassenfrat­z ?? Claudia Thinius
Fotos: Celestine Hassenfrat­z Claudia Thinius
 ??  ?? Ineke Broerse
Ineke Broerse
 ??  ?? Xenia Heisterkam­p-Strauß
Xenia Heisterkam­p-Strauß

Newspapers in German

Newspapers from Germany