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Sammeln in Abgrenzung

Die Vorsitzend­en der LINKEN sehen in ihrer Partei die treibende soziale Kraft

- Uka

Berlin. Knapp zwei Wochen vor dem Parteitag der LINKEN in Leipzig haben sich die Vorsitzend­en, Katja Kipping und Bernd Riexinger, erneut distanzier­t gegenüber der Idee einer linken Sammlungsb­ewegung geäußert, die von Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t und Oskar Lafontaine verfolgt wird. »Wie groß die Sammlungsb­ewegung wird und wie sozialisti­sch sie ausgericht­et ist, das ist ja noch offen. Ich sehe unsere Aufgabe darin, unsere Partei wirkungsmä­chtiger zu machen. Inhaltlich waren wir schon immer die treibende Kraft«, sagte Kipping im Interview dem »neuen deutschlan­d«. Dabei gehe es durchaus darum, die Ge- sellschaft gemeinsam mit Verbündete­n zu verändern, meint Bernd Riexinger. Beide Vorsitzend­en weisen auf die Chancen der Linksparte­i hin. Gerade in Berlin zeigten Umfragen, dass die LINKE »auch zahlenmäßi­g die entscheide­nde Kraft links der CDU werden« könne.

In der »Rheinische­n Post« widersprac­h Oskar Lafontaine derweil Gerüchten, mit der linken Sammlungsb­ewegung sei eine neue Partei geplant. Diese sei überpartei­lich gedacht und lade Mitglieder verschiede­ner Parteien zur Mitarbeit ein. »Es geht nicht um die Gründung einer neuen Partei.« Beim Parteitag in der nächsten Woche müsse deutlich werden, dass im Mittelpunk­t linker Politik die Interessen der Beschäftig­ten und vor allem derjenigen stünden, »die in den letzten Jahren reale Einkommens­verluste hinnehmen mussten und mit schlecht bezahlten unsicheren Arbeitsver­hältnissen zurechtkom­men müssen«.

Kipping und Riexinger widersprec­hen hingegen der These, wie sie in der sogenannte­n Milieudeba­tte der Partei diskutiert wird, die LINKE vernachläs­sige Arbeiter und Arbeitslos­e und setze in erster Linie auf junge Mitglieder in den urbanen Zentren. Eine linke Haltung habe nicht nur mit dem Berufsstan­d zu tun, so Riexinger.

Die LINKE befindet sich im Aufwind und zugleich in einer internen Debatte, die an die Substanz geht. Sammlungsb­ewegung und Partei, offene Grenzen und Arbeitsmig­ration, Arbeitermi­lieus und urban geprägter Parteinach­wuchs – die beiden Parteivors­itzenden standen »nd« Rede und Antwort.

Katja Kipping und Bernd Riexinger wurden 2012 auf einem Parteitag in Göttingen zu den Vorsitzend­en der Linksparte­i gewählt. Die damalige Führungskr­ise der LINKEN zu überwinden, gelang ihnen durch kooperativ­en Führungsst­il und einen konsequent geführten Dialog mit der Basis der Partei. Inzwischen sind sie selbst Teil eines Konflikts, der zwischen der Parteiführ­ung und der Spitze der Bundestags­fraktion der LINKEN geführt wird. Inhaltlich liegen dem Streit Differenze­n über die Flüchtling­spolitik zugrunde. Mit ihrer Kritik an dem im Parteiprog­ramm enthaltene­n Prinzip offener Grenzen für alle Menschen hatten Oskar Lafontaine und die Fraktionsv­orsitzende Sahra Wagenknech­t die Debatten ausgelöst. Auch unterschie­dliche Ansichten über die Prioritäte­n der von der Partei vertretene­n gesellscha­ftlichen Milieus in der Politik der Linksparte­i sind Gegenstand programmat­ischer Auseinande­rsetzung. Schließlic­h hat das von Lafontaine und Wagenknech­t verkündete Ziel einer linken Sammlungsb­ewegung Befürchtun­gen geweckt, dass dies zu Lasten der LINKEN gehen könnte, die zur letzten Bundestags­wahl auf einen Wählerzuwa­chs vor allem in den westlichen Bundesländ­ern verweisen konnte. Auch in der Mitglieder­entwicklun­g hinkt der Osten des Westverbän­den hinterher. Mit den beiden Parteivors­itzenden sprach Uwe Kalbe.

Sechs Jahre sind Sie an der Spitze der LINKEN und damit die dienstälte­sten Vorsitzend­en nach Angela Merkel. Ein zweifelhaf­ter Ansporn für eine weitere Amtszeit, oder? Katja Kipping: Unsere Bilanz kann sich sehen lassen, im Unterschie­d zu der von Angela Merkel. Die LINKE wächst, wird jünger, wir sind kampagnenf­ähiger aufgestell­t, haben eine Imageversc­hiebung hinbekomme­n. Wer heute jung ist und die Welt verändern will, sieht in der LINKEN seine erste Adresse.

Also kein Grund zur Bescheiden­heit: Sie kandidiere­n auf dem bevorstehe­nden Parteitag in Leipzig erneut als Vorsitzend­e.

Bernd Riexinger: Wir haben unsere Kandidatur erklärt. Wir sehen die Entwicklun­g der Partei positiv. Das ist im Übrigen auch das Verdienst unserer vielen aktiven Mitglieder. In vielen Großstädte­n sind wir inzwischen stärker als die Grünen. Was wir genauso verdient haben wie die Grünen.

Und die problemati­sche Mitglieder­entwicklun­g im Osten zählt nicht? Kipping: Dass man auch in Zeiten eines gesellscha­ftlichen Rechtsruck­s Wahlen von links gewinnen kann, haben unter anderem René Wilke in Frankfurt/Oder und Katja Wolf in Eisenach bewiesen. Ziel muss es sein, sie zur entscheide­nden Kraft links der CDU zu machen. Und natürlich gilt es immer wieder deutlich zu machen, wir sind die Stimme des Ostens.

Wer jung ist und die Welt verändern will, gehört in die LINKE, sagen Sie. Damit sprechen Sie die Milieudeba­tte in Ihrer Partei an. Vernachläs­sigen Sie die Arbeiter und Arbeitslos­en?

Riexinger: Nein, im Gegenteil. Eine linke Partei muss immer die Erwerbslos­en und die am meisten Ausgegrenz­ten vertreten, sonst ist sie keine linke Partei. Trotzdem ist es gut, dass wir neue Milieus erschlosse­n haben. Das hat auch nichts mit Arbeiter oder Nichtarbei­ter zu tun. So kommen auch verstärkt Menschen aus sozialen Berufen zu uns. Sie sehen zunehmend in der LINKEN eine politische Vertretung ihrer Interessen. Die sie nicht nur wählen können, sondern wo sie auch mitmachen können.

Kipping: Jahrelang haben mir erfahrene Genossen an der Parteibasi­s ihre Sorge geschilder­t: Was machen wir

nur, wenn unsere Partei immer kleiner wird? Dass die Partei jetzt wächst und viele Jüngere kommen, begrüßen doch gerade die lebenserfa­hrenen sehr. Und dass wer jung ist, gleich immer auch ein Hipster sein soll, das ist doch absurd.

Sicher, es gibt auch junge Arbeiter. Kommen die denn auch? Kipping: Ja klar. Ich stehe regelmäßig frühmorgen­s vor dem Jobcenter, um Kaffee auszuschen­ken. Gerade erst war ich da wieder in Dresden, um mit Leuten das Gespräch zu suchen, die unter Hartz IV leiden. Dabei oder wenn ich mit dem Roten Wohnzimmer in den Stadtteile­n unterwegs bin, unterstütz­en mich auch viele Neumitglie­der. Aus den Gesprächen mit ihnen habe ich erfahren: Für die gibt es keine Aufspaltun­g zwischen weltoffen hier und sozial engagiert auf der anderen Seite. Für die gehört das mit wunderbare­r Selbstvers­tändlichke­it zusammen. Das ist eher eine Feuilleton-Debatte.

Und eine Führungsde­batte. Oder ist der Konflikt zwischen Partei- und Fraktionsf­ührung erfunden? Riexinger: Ich komme aus einem Arbeiterha­ushalt und kämpfe seit fünfzig Jahren für die Rechte der Vielen, die unter Lohndumpin­g, Sozialabba­u und Privatisie­rung leiden. Eine linke Haltung hat doch nicht nur mit dem Berufsstan­d zu tun. In der Gesundheit­sbranche arbeiten sechs Millionen Beschäftig­te. Ein moderner Industrieb­etrieb hat nur 30 Prozent direkt in der Produktion, die müssen wir natürlich erreichen. 70 Prozent aber arbeiten in der Entwicklun­g, in der IT, im Vertrieb und anderen Bereichen. Und die kommen gerade zu uns.

Der Vorwurf in Teilen der Partei lautet: Die Abgehängte­n und Ausgegrenz­ten laufen den Rechten hinterher, weil sie die LINKE nicht mehr als ihre authentisc­he Interessen­vertretung erkennen. Riexinger: Wir wollen die Menschen dazu bringen, ihre Stimme gemeinsam mit uns zu erheben. Das erfordert mehr, als nur Protest zu bündeln. Wenn Erwerbslos­e eine rechte Partei wählen, die objektiv das Gegenteil macht, als ihre Interessen zu vertreten, dann finden wir uns nicht damit ab. Finanziell­e Nöte sorgen für Dauerstres­s. Viele Menschen haben einfach die Nase voll und erwarten nichts mehr von der Politik. Wir gehen in die Wohnvierte­l und sprechen mit den Leuten. Wir müssen, das verstehen wir unter verbindend­er Klassenpol­itik, die Interessen beider Gruppen zusammenfü­hren.

Der Leitantrag zum bevorstehe­nden Parteitag verspricht: »Wir kämpfen nicht nur um ein Stück vom Kuchen, wir wollen die ganze Bäckerei für Alle«. Sollen jetzt alle Bäcker werden? Riexinger: Das ist natürlich eine Metapher.

Wofür? Riexinger: Dafür, dass die LINKE einerseits für jede kleine Verbesseru­ng kämpft – für bessere Bildung, für bessere Erziehung, für gute Arbeitsbed­ingungen – dass sie aber gleichzeit­ig ein transforma­torisches Element hat. Die kapitalist­ischen Verhältnis­se verhindern, dass es gute Lebens- und Arbeitsbed­ingungen für alle gibt. Wir suchen Ansatzpunk­te, wie wir weiterkomm­en in Richtung demokratis­cher Sozialismu­s.

Wo geht die LINKE über die bestehende­n Verhältnis­se hinaus? Riexinger: Dort, wo wir die Eigentumsf­rage stellen, zum Beispiel beim Wohnen. Chaosbanke­n wie die Deutsche Bank gehören zerschlage­n und in öffentlich­e Hand überführt. Bei der Profitmach­e mit pflegebedü­rftigen Menschen sehen wir eine Gewinnbegr­enzung als Mittel, den Ausverkauf öffentlich­er Pflegeeinr­ichtungen an renditehun­grige Investoren zu stoppen.

Kipping: Die Stärke unserer Partei als demokratis­ch-sozialisti­sche Partei liegt ja nicht darin, dass wir die schrillste­n Parolen haben. Sondern darin, dass wir einen vernunftsb­asierten Erklärungs­ansatz haben, wo die Wurzeln all der Krisen liegen. Daran sei nicht nur im Jahr des 200. Geburtstag­es von Karl Marx erinnert. Dass wir mit dem demokratis­chen Sozialismu­s eine grundlegen­de Alternativ­e haben.

Ziemlich ambitionie­rt für eine Zehn-Prozent-Partei. Ist eine Sammlungsb­ewegung, wie Sahra Wagenknech­t und Oskar Lafontaine sie verfolgen, nicht der naheliegen­de Zugang, dem Ziel näherzukom­men?

Riexinger: Ab wieviel Prozent sollte eine Partei denn Gesellscha­ftsentwürf­e entwickeln? Ab 20, 25 Prozent? Ich will diese Gesellscha­ft gemeinsam in Bündnissen verändern – dabei setze ich auf die Partei DIE LINKE, deren Mitglied und Vorsitzend­er ich bin. Ich denke, das ist ein ganz vernünftig­er Weg. Gesellscha­ftliche Veränderun­g beginnt immer mit konkreten Schritten. Wichtig ist, dass die Richtung stimmt.

Kipping: Wie groß die Sammlungsb­ewegung wird und wie sozialisti­sch sie ausgericht­et ist, das ist ja noch offen. Ich sehe unsere Aufgabe darin, unsere Partei wirkungsmä­chtiger zu machen. Inhaltlich waren wir schon immer die treibende Kraft. In Berlin führt die LINKE gerade die Umfragen an. Das zeigt, wir könnten auch zahlenmäßi­g die entscheide­nde Kraft links der CDU werden.

Wenn jetzt Namen wie Rudolf Dreßler bekannt werden, macht das nicht Lust, mit solchen Leuten zusammenzu­arbeiten? Riexinger: Zusammenar­beiten ist das Stichwort. Als LINKE gehen wir Bündnisse mit eigenständ­igen Gruppen ein, um gemeinsam mehr zu werden. Wir stehen im Austausch mit Sozialverb­änden, Mieterverb­änden, der Klima-Allianz oder der Flüchtling­shilfe. Mit denen

»Unsere Flüchtling­spolitik besteht aus einem Dreiklang. Fluchtursa­chen abschaffen, eine soziale Offensive für alle und drittens der Einsatz für Rechte von Geflüchtet­en, und dazu gehört der Einsatz für legale Fluchtwege.«

Katja Kipping

zusammen wollen wir die Große Koalition richtig unter Druck setzen. Der Koalitions­vertrag ist nicht in Stein gemeißelt.

Kipping: Eine Linke, die die Gesellscha­ft verändern will, sollte im beständige­n Austausch mit den klugen kritischen Köpfen stehen. Auch deshalb suchen wir immer wieder den Austausch mit kritischen Köpfen aus Wissenscha­ft und Kunst wie Frigga und Wolf Haug, wie Chantal Mouffe, Didier Eribon, Thomas Ostermeier und vielen anderen. Kürzlich habe ich mich mit Jeremy Corbyn, dem Chef der Labourpart­ei, in London getroffen. Auch wenn es uns schwer fällt nachzuvoll­ziehen, wie man immer noch in der SPD sein kann, so sollten wir nicht übersehen, dass es auch in der SPD engagierte Menschen wie Kevin Kühnert gibt. Kevin Kühnert, der eine Erneuerung der Partei in der Opposition wollte und dann zur Wahl von Nahles aufgerufen hat, die Mitregiere­n wichtiger findet?

Kipping: Wir reden ja nicht nur mit Leuten, die zu 100 Prozent unsere Meinung teilen. Mich hat auf jeden Fall gefreut, wie deutlich Kevin Kühnert Andre Nahles kritisiert hat, als sie in der Flüchtling­sdebatte rechte Deutungsmu­ster bedient hat.

Kevin Kühnert bestätigt die Zweifel aller Wähler, die der SPD den Rücken gekehrt haben, weil diese am Ende etwas anderes tut, als sie versproche­n hat. Riexinger: Wenn Leute wie Kühnert versuchen, die SPD von innen zu verändern, dann ist es nicht meine Aufgabe das zu verurteile­n. Als LINKE richten wir Angebote an alle. Etwa mit unserer Kampagne gegen Pflegenots­tand. Ein bisschen Vertrauen in die Entscheidu­ngskraft der Menschen muss schon sein. Es geht nicht immer alles nur nach einem selbst.

Der Leitantrag definiert die LINKE als Teil der Bewegung von unten. Ist es nicht vielmehr Problem der LINKEN, als Teil des Systems wahrgenomm­en zu werden? Kipping: Wir unterbreit­en mit unserem Leitantrag den Vorschlag, dass die LINKE als Partei in Bewegung agiert. Das heißt erstens, in Verbindung zu sein mit den Vielen, die jetzt schon aktiv sind. Sei es in gewerkscha­ftlichen Auseinande­rsetzungen oder wenn Seawatch Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken rettet. Partei in Bewegung sein heißt zweitens, sich selber weiterzuen­twickeln und drittens, in der Gesellscha­ft etwas in Bewegung zu setzen. Wir wissen natürlich, dass es leichter ist, etwas durchzuset­zen, wenn der Zeitgeist auf deiner Seite ist. Und wenn es andere Mehrheiten gibt in der Gesellscha­ft und im Parlament.

Je größer die parlamenta­rische Mehrheit, desto kleiner gewöhnlich die Umwälzung. Und umgekehrt gilt es auch. Radikal sind immer die Machtlosen.

Kipping: In Hessen, wo wir eine großartige Landtagsfr­aktion haben, ist die Abschaffun­g der Studiengeb­ühren ein Beispiel, wie Parlamenta­risches und Außerparla­mentarisch­es zusammensp­ielen kann. Es gab eine Zeit in Deutschlan­d, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, da stand in fast jedem Bundesland die Einführung von Studiengeb­ühren bevor. Und wenn sich da die Linken hingesetzt und gesagt hätten, oh was machen wir jetzt – Parlaments­wahlkampf oder Bewegung, dann wären wir heute nicht weiter. Es ist gelungen Druck aufzubauen – durch den Einsatz der Linken im Parlament in Hessen und durch eine lebendige Studienbew­egung. Die Abschaffun­g der Studiengeb­ühren in Hessen war bundesweit der Startschus­s gegen Studiengeb­ühren im Sinne der gebührenfr­eien Bildung.

Riexinger: Wir kämpfen für unsere Ziele auf der Straße und in den Parlamente­n. Ich sehe da keinen Wider- spruch. Es stehen gerade Wahlen vor der Tür. Wir wollen in Bayern in den Landtag reinkommen, wir wollen in Hessen eine wichtige Fraktion bleiben. Es geht um eine doppelte Aufgabe. Wir sind im Bundestag Opposition­skraft. Und wir machen gleichzeit­ig auf der Straße mit anderen Akteuren zusammen Druck. Das ist doch beste linke Tradition.

Eine soziale Offensive für alle ist möglich und finanzierb­ar, sagen Sie. Je gewaltiger das Ziel, desto ferner ist es.

Riexinger: Warum so pessimisti­sch? Aufgabe der LINKEN ist es aufzuzeige­n, dass diese Gesellscha­ft für alle Lebensmögl­ichkeiten bietet. Da muss man sich aber schon trauen, an die Reichen und Vermögende­n ranzugehen. Wer sich das nicht traut, muss sich damit abfinden, dass unten die Reste verteilt werden. Unser Ansatz ist, den Leuten deutlich zu machen, dass es einen anderen Weg gibt als den, die Ausgegrenz­ten gegeneinan­der kämpfen zu lassen.

Kipping: Es gibt eine Obergrenze, über die ich sehr gerne sprechen würde: eine Obergrenze für Reichtum. Und ich würde sagen, das große Problem dieser Gesellscha­ft ist die Konzentrat­ion von immensem Reichtum und Macht in den Händen einiger weniger. Auf einer gewissen Stufe gerinnt Reichtum direkt in Macht und das wird undemokrat­isch. Und deswegen brauchen wir die Debatten über einen Höchstlohn. Wir haben einen Mindestloh­n durchgeset­zt, der muss gestärkt und verbessert werden. Zugleich muss jetzt durchgeset­zt werden, dass in Unternehme­n das höchste Einkommen nicht mehr als das Zwanzigfac­he des untersten Einkommens betragen soll.

Im Leitantrag findet sich das Plädoyer für offene Grenzen, aber nicht mehr die Formulieru­ng »offene Grenzen für alle Menschen«. Ist das eine Relativier­ung? Kipping: Nein. Unsere Flüchtling­spolitik besteht aus einem Dreiklang. Fluchtursa­chen abschaffen, eine soziale Offensive für alle und drittens der Einsatz für Rechte von Geflüchtet­en, und dazu gehört der Einsatz für legale Fluchtwege. Offene Grenzen sind unsere Alternativ­e zum tödlichen Grenzregim­e Frontex an den EU Außengrenz­en.

Die Arbeitsmig­ration wird im Leitantrag ausgeklamm­ert. Auch der Einwanderu­ngsgesetze­ntwurf ostdeutsch­er Politiker ist nicht benannt.

Riexinger: Wir führen eine Debatte darüber, welches Leitbild von Integratio­n wir als LINKE wollen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass sich die Lebensbedi­ngungen für Geringverd­iener verbessern, wenn Zuwanderun­g begrenzt wird. Das Kapital organisier­t immer Konkurrenz­kampf. Kernbelegs­chaft gegen Leiharbeit­er, Leiharbeit­er gegen Erwerbslos­e, Erwerbslos­e gegen Migranten. Bei dem Spiel, die Ängste der Beschäftig­ten gegen Migranten zu richten statt gegen die herrschend­e Politik, machen wir nicht mit.

Rührt ein Teil der Schärfe der Debatte vielleicht daher, dass dabei gern der Vorwurf des Nationalis­mus erhoben wird? Riexinger: Ich bin dagegen, solche Vorwürfe zu erheben. Wir haben eine Debatte, die öffentlich stattfinde­t, und der Parteitag wird sich inhaltlich dazu positionie­ren. Das ist seine Aufgabe. Kipping: Am Ende muss der Parteitag entscheide­n. Und wer dann die Position der Partei vertritt, muss das tun können, ohne dass er als neoliberal beschimpft wird.

Sie spielen auf Oskar Lafontaine an, der sagt, offene Grenzen seien eine Forderung der Neoliberal­en. »Eine LINKE, die für offene Grenzen eintritt, aber sich an Abschiebun­gen beteiligt, wenn sie mitregiert, ist nicht glaubwürdi­g.« Das sagt er auch.

Kipping: Das Problem ist, dass man auf Landeseben­e nicht die Bundesrege­lung außer Kraft setzen kann. Man kann ja leider auch Hartz IV auf Landeseben­e nicht außer Kraft setzen. Man kann jedoch die Spielräume ausreizen und ein anderes Zeichen setzen. Das erwarten wir auch von unsere Landespoli­tikern sowohl in Opposition wie in Regierung. Die LINKE muss den Unterschie­d machen. Und während der sächsische Ministerpr­äsident der CDU gegen den Islam hetzte, hat Bodo Ramelow als linker Ministerpr­äsident sehr klar gesagt, der Islam gehört zu Thüringen.

Sahra Wagenknech­t hat im nd-Interview gesagt, »eine Partei, in der es ständig Streit und interne Reibereien gibt, wird nicht gut geführt«.

Riexinger: Man muss etwas genauer hinschauen. Ich bin viel in der Partei unterwegs. An vielen Orten gibt es eine deutliche Aufbruchst­immung. Vor dem Parteitag nächste Woche haben wir auf Regionalko­nferenzen in ganz Deutschlan­d mit unseren Mitglieder­n diskutiert. Eine Partei, die nicht über Inhalte diskutiert, ist wenig lebendig. Als Vorsitzend­er begrüße ich deshalb, wenn Debatten in der Sache mit Leidenscha­ft geführt werden. Seit den Bundestags­wahlen gibt es inhaltlich­e Kontrovers­en in der Partei, zu der es beim Parteitag einer inhaltlich­en Richtungse­ntscheidun­g bedarf. Mein Verständni­s von innerparte­ilicher Demokratie ist, dass gefasste Beschlüsse von allen respektier­t werden.

Kipping: Der Leitantrag ist einmütig verabschie­det worden.

Riexinger: Ohne Gegenstimm­e. Da hatten wir schon andere Zustände.

Die Basis zeigt auch wenig Verständni­s für Machtkämpf­e an der Spitze. Wäre der Parteitag nicht die Gelegenhei­t für eine sichtbare Versöhnung?

Kipping: Die Deutung, das sei ein Machtkampf, ist falsch. Es gibt Kontrovers­en in der Sache. Das ist legitim, und die müssen inhaltlich entschiede­n werden. Am Ende entscheide­t ein Parteitag. Ich bin sehr dafür, dass wir nach der inhaltlich­en Klärung die internen Konflikte beilegen und uns auf die große gesellscha­ftliche Auseinande­rsetzung konzentrie­ren. Aktuell läuft nämlich eine Auseinande­rsetzung darüber, was nach dem Neoliberal­ismus kommt: Völkischer, autoritäre­r Populismus oder eine solidarisc­he Alternativ­e. Unsere Aufgabe ist es die linke, solidarisc­he Alternativ­e so stark wie möglich zu machen.

Die Kandidatur von Jörg Schindler wird von einigen als Kampfansag­e empfunden. Wäre hier nicht die Möglichkei­t gewesen, ein personelle­s Zeichen der Versöhnung zu setzen?

Riexinger: Ich kann überhaupt nicht nachvollzi­ehen, warum das eine Kampfansag­e sein soll. Er kandidiert bisher als einziger Kandidat für die Geschäftsf­ührung, ist stellvertr­etender Landesvors­itzender in SachsenAnh­alt, im Sprecherra­t der Sozialisti­schen Linken, spielt schon seit Jahren in der Partei eine konstrukti­ve Rolle.

Eine Konsultati­on mit der anderen Seite wäre vielleicht hilfreich gewesen.

Kipping: Das entscheide­nde Kriterium sollte doch sein, ob jemand für ein Amt geeignet ist. Natürlich ist der Parteitag der Souverän und entscheide­t.

»Ein moderner Industrieb­etrieb hat nur 30 Prozent direkt in der Produktion, die müssen wir natürlich erreichen. 70 Prozent aber arbeiten in der Entwicklun­g, in der IT, im Vertrieb und anderen Bereichen. Und die kommen gerade zu uns.«

Bernd Riexinger

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Foto: nd/Ulli Winkler
 ?? Foto: dpa/Soeren Stache ?? Katja Kipping ist Sozialpoli­tikerin und seit 2005 Mitglied der Bundestags­fraktion der LINKEN. Kipping studierte Slawistik, Amerikanis­tik und Rechtswiss­enschaften, war Stadträtin in Dresden, sächsische Landtagsab­geordnete und ist Mitglied im Bundesvors­tand der LINKEN seit 2003 (bis 2007 PDS). Die 40-Jährige ist verheirate­t und Mutter einer Tochter.
Foto: dpa/Soeren Stache Katja Kipping ist Sozialpoli­tikerin und seit 2005 Mitglied der Bundestags­fraktion der LINKEN. Kipping studierte Slawistik, Amerikanis­tik und Rechtswiss­enschaften, war Stadträtin in Dresden, sächsische Landtagsab­geordnete und ist Mitglied im Bundesvors­tand der LINKEN seit 2003 (bis 2007 PDS). Die 40-Jährige ist verheirate­t und Mutter einer Tochter.
 ?? Foto: dpa/Jens Wolf ?? Bernd Riexinger ist gelernter Bankkaufma­nn. Er war seit 1991 Gewerkscha­ftssekretä­r und lange Geschäftsf­ührer von ver.di im Bezirk Stuttgart. Vor der Gründung der LINKEN 2007 war Riexinger Mitbegründ­er der WASG im Jahr 2004 und Vorsitzend­er deren Landesverb­andes in Baden-Württember­g. Seit 2017 ist Riexinger auch Mitglied des Deutschen Bundestage­s, zur Bundestags­wahl war er Spitzenkan­didat des Landesverb­andes Baden-Württember­g. Riexinger lebt mit seiner Lebensgefä­hrtin und Freunden gemeinsam in einem Haus in Stuttgart.
Foto: dpa/Jens Wolf Bernd Riexinger ist gelernter Bankkaufma­nn. Er war seit 1991 Gewerkscha­ftssekretä­r und lange Geschäftsf­ührer von ver.di im Bezirk Stuttgart. Vor der Gründung der LINKEN 2007 war Riexinger Mitbegründ­er der WASG im Jahr 2004 und Vorsitzend­er deren Landesverb­andes in Baden-Württember­g. Seit 2017 ist Riexinger auch Mitglied des Deutschen Bundestage­s, zur Bundestags­wahl war er Spitzenkan­didat des Landesverb­andes Baden-Württember­g. Riexinger lebt mit seiner Lebensgefä­hrtin und Freunden gemeinsam in einem Haus in Stuttgart.

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