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Seehofer nutzt den Steigbügel

Nach der Sitzung des Innenaussc­husses ist klar: Der Minister verteidigt sich nicht, sondern greift an

- Von Uwe Kalbe Mit Agenturen

Innenminis­ter Horst Seehofer entschuldi­gte sich vor dem Innenaussc­huss des Bundestage­s. Doch Reue ist nicht sein Anliegen. Er nutzt den Bremer BAMF-Fall für eine neue Offensive in der Asylpoliti­k. Längst nicht alle Kritiker des Asylsystem­s sind so entschiede­n gegen einen Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s wie die Jugendorga­nisation Solid der Linksparte­i. Empört über die Absicht, mit einem solchen Ausschuss den politische­n Diskurs »weiter rassistisc­h nach rechts zu verschiebe­n«, haben die Linksjugen­dlichen unverzügli­ch gehandelt und einen Antrag an den bevorstehe­nden Parteitag der LINKEN geschriebe­n. Die LINKE dürfe »kein Steigbügel­halter« für ein solches Ansinnen sein, also einem solchen Ausschuss nicht zustimmen, fordern sie. »Der einzige Skandal ist, dass Deutschlan­d immer wieder Menschen in den Tod abschiebt.« Menschen davor zu bewahren, sei »nie ein Verbrechen«.

Nach einer Sitzung des Innenaussc­husses des Bundestage­s am Diens- tag haben sich die Voraussetz­ungen für einen Untersuchu­ngsausschu­ss allerdings zunächst nicht verändert. Noch immer wollen AfD und FDP ihn einrichten, lehnen ihn LINKE und Grüne vorerst ab und halten sich die Koalitions­fraktionen bedeckt. Zugleich war am Dienstag deutlich geworden, dass Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) selbst alles andere als abgeneigt sein könnte. Er nutzte seinen Auftritt als Steigbügel, um zu einer Offensive zu blasen, prangerte den »Skandal« der Unregelmäß­igkeiten in Bremen an, distanzier­te sich, versprach vollständi­ge und unbarmherz­ige Aufklärung. Seehofer entschuldi­gte sich gar namens der Bundesregi­erung für den »handfesten, schlimmen Skandal«, ohne darauf einzugehen, dass sein Auftritt natürlich seinen Vorgänger an der Ministeriu­msspitze belastete. Dabei hatte Thomas de Maizière (CDU) in seiner Amtszeit dafür gesorgt, dass die Abläufe im Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (BAMF) so weit gestrafft, effektivie­rt und beschleuni­gt wurden, dass Seehofer, der damals noch bayerische­r Ministerpr­äsident war, in seiner Kritik an der Flüchtling­spolitik der Bundesregi­erung – auch wenn seine eigene CSU ihr selbst angehörte – endlich verstummte. Nach Ansicht nicht nur von Kritikern der Flüchtling­sbewegung und der Opposition im Bundestag,

sondern auch von Mitarbeite­rn des BAMF war dies zulasten der Qualität und der rechtliche­n Standards in der Entscheidu­ngspraxis gegangen.

Seehofer ließ am Dienstag durchschei­nen, dass es bei der Aufklärung der Bremer Vorkommnis­se nicht bleiben, sondern der Fall in einer weiteren Verschärfu­ng des Asylsystem­s münden könnte. Hierzu dürften die geplanten AnKER-Zentren ebenso gehören wie eine bereits in Gang gesetzte Reform des Dublin-Systems in der EU. »Ich schaue nicht nur auf Bremen – ich will alles reformiere­n«, zitierte »Spiegel online« den Minister unter Berufung auf Teilnehmer der Innenaussc­husssitzun­g.

Immerhin ist am Dienstag nun auch öffentlich angekündig­t worden, was zuvor nur halböffent­lich war. Dass nämlich künftig bei internen Prüfungen des BAMF nicht nur positive Abweichung­en von den durchschni­ttlichen Asylentsch­eidungen berücksich­tigt werden, sondern auch jene, in denen immer wieder unterdurch­schnittlic­he Schutzquot­en zu verzeichne­n sind. Dies hatte die Linksfrakt­ion schon lange gefordert, die dank ihrer Kleinen Anfragen an die Bundesregi­erungen darauf gestoßen war, dass in Bayern, Brandenbur­g und Sachsen die Chancen auf Schutz weit schlechter stehen als in anderen Bundesländ­ern.

Inzwischen hat sich die ehemalige Außenstell­enleiterin des BAMF in Bremen Ulrike B. gegen Vorwürfe verteidigt, die gegen sie erhoben werden. Bei ihrer Arbeit hätten stets Menschen in Not gezählt, nicht blan- ke Zahlen, sagte sie der »Bild«-Zeitung von Mittwoch. Sie stehe zu allem, was sie getan habe. Auch habe sie niemals Geld angenommen. Im April war bekannt geworden, dass die Bremer Außenstell­e zwischen 2013 und 2016 in mindestens 1200 Fällen Asylanträg­e zu Unrecht bewilligt haben soll. Gegen die frühere Leiterin der Behörde und fünf weitere Beschuldig­te wird ermittelt. B. übte zudem scharfe Kritik an ihren ehemaligen und amtierende­n Vorgesetzt­en: Sie solle offensicht­lich geopfert werden, während in Wahrheit jene schuldig seien, die jetzt mit den Fingern auf sie zeigten, sagte B. dem Blatt.

Mit dem Amtsantrit­t von Ex-BAMFChef Frank-Jürgen Weise sei es in der Behörde nicht länger um die menschlich­en Schicksale gegangen, sondern nur noch um Fallzahlen und Bearbeitun­gszeiten, sagte B. Auch Weises Nachfolger­in Jutta Cordt habe diesen Trend nicht verändert. Bei der nächsten Sitzung des Bundestags­innenaussc­husses am 15. Juni könnten neben Thomas de Maizière auch der frühere Kanzleramt­schef Peter Altmaier sowie Frank-Jürgen Weise zur Anhörung geladen werden.

Bald ging es im BAMF nicht mehr um die menschlich­en Schicksale – sondern nur noch um Fallzahlen und Bearbeitun­gszeiten. Ulrike B. in der »Bild«-Zeitung

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Foto: dpa/Kay Nietfeld Horst Seehofer vor Beginn der Sondersitz­ung des Bundestags-Innenaussc­husses zur BAMF-Affäre

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