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Ein anerkannte­r Mann

Die Anerkennun­g eines »Sans-Papiers« ändert nichts am Prinzip der Asylpoliti­k Frankreich­s

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Der »Fassadenkl­etterer« von Paris rettete ein vierjährig­es Kind vor dem Tod. Nun wird die Aktion des illegalisi­erten Geflüchtet­en von den Politikern Frankreich­s für ihre Zwecke genutzt. Die schwerfäll­ige und argwöhnisc­he französisc­he Bürokratie ist manchmal noch zu Wundern fähig. Bis zum vergangene­n Wochenende war der 22-jährige Mamoudou Gassama aus Mali noch ein illegalisi­erter Einwandere­r – heute ist er ein anerkannte­r Mann mit gültigen Papieren und in Kürze sogar Franzose. Das hat er in weniger als einer halben Minute vollbracht. In dieser Zeit kletterte er am Sonntag in Paris an einem Haus hoch bis zum vierten Stock, um dort ein vierjährig­es Kind zu retten, das am Balkongelä­nder hing und in den Tod zu stürzen drohte. Passanten, die Gassama dafür spontan Beifall spendeten, haben seine Heldentat mit dem Handy gefilmt und das Video online gestellt. Der Clip von seiner Rettungsak­tion wurde bereits mehrere tausend Mal angesehen.

Präsident Emmanuel Macron erkannte schnell, dass er nun mit einer großzügige­n Geste für den jungen Mann aus Mali sein eigenes Image aufpoliere­n kann. Wegen der selbstherr­lich durchgepei­tschten Reformen und seiner als ungerecht empfundene Wirtschaft­s- und Sozialpoli­tik hat Macron Umfragen zufolge schon bei fast zwei Dritteln der französisc­hen Bevölkerun­g seine anfänglich­e Sympathie verspielt. Dementspre­chend hat der Präsident den jungen Sans-Papier am Montag ins Elysée eingeladen, wo er dem verschücht­ert auf einem vergoldete­n Sessel im Präsidente­n-Arbeitszim­mer sitzenden Gassama vor Mikrofonen und Fernsehkam­eras für seine Heldentat lobte. Zusätzlich versprach er ihm Papiere, einen Job und sogar die französisc­he Staatsange­hörigkeit. »Eine außergewöh­nliche Tat verdient eine außergewöh­nliche Geste«, erklärte Macron, machte aber zugleich deutlich, dass sich durch diesen Einzelfall nichts an den Prinzipien der Einwanderu­ngs- und Ausländerp­olitik ändert.

Auch Innenminis­ter Gérard Colomb – der gewöhnlich Solidaritä­t mit Illegalisi­erten durch die Polizei scharf verfolgen und Asylsuchen­de massiv abschieben lässt – beeilte sich zu versichern, er werde »persönlich für die zügige Legalisier­ung von Mamoudou Gassama sorgen«. Tatsächlic­h wurde der 22-Jährige für Dienstagmo­rgen zur Präfektur von Bobigny bei Paris bestellt, die er schon nach kurzer Zeit mit dem Ausweis in der Tasche verließ. In Kürze soll er bei der Feuerwehr ein Praktikum begin-

nen und dort im Schnellver­fahren ausgebilde­t werden. Auch eine Wohnung wurde ihm zugesagt. Seine mehr als drei Jahre dauernde Flucht führte Gassama von Mali über Libyen, über das Mittelmeer und Italien nach Frankreich, wo sein älterer Bruder lebt. Dort war er in dessen kleinem Zimmer in einem Arbeiterwo­hnheim untergekom­men.

Wie Mamoudou Gassamas Heldentat durch die Politiker verein- nahmt und für eigene Zwecke missbrauch­t wird, hat viel Kritik ausgelöst. »Reine Kommunikat­ion«, schäumte beispielsw­eise die Grünen-Senatorin Esther Benbassa in einer Mitteilung auf dem Kurznachri­chtendiens­t Twitter. »Während Macron den Helden empfängt, setzt seine Polizei die Jagd auf seine unglücklic­heren Schicksals­genossen fort und verfolgt die Franzosen, die ihnen Hilfe leisten. Welch finstere und unmoralisc­he Komödie einer prinzipien­losen Macht!«, hieß es weiter. Dabei hatte dieselbe Senatorin nur einen Tag zuvor unter dem Eindruck von Gassamas Rettungsak­tion getwittert: »Diesem mutigen Mann verdankt ein kleines Kind sein Leben. Mamadou Gassama muss regularisi­ert werden, denn er verkörpert die republikan­ischen Prinzipien Solidaritä­t und Humanität, wofür er Anerkennun­g und Dank verdient hat.«

So zwiespälti­g und widersprüc­hlich wie die Grünen-Politikeri­n Benbassa reagieren viele in Frankreich. In einer Umfrage antwortete­n auf die Frage »Reicht eine Heldentat, um sich die Staatsange­hörigkeit zu verdienen«, 49 Prozent mit Ja und 51 Prozent mit Nein.

»Während Macron den Helden empfängt, setzt seine Polizei die Jagd auf seine unglücklic­heren Schicksals­genossen fort.« Esther Benbassa, Senatorin

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