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Stimmung und Beton aufgeheizt

Demonstrat­ion vor dem Landtag fordert mehr Geld für mehr Qualität in den Kitas

- Von Wilfried Neiße

Eine Kitademons­tration stimmte am Mittwoch auf eine Landtagssi­tzung ein, bei der die Abgeordnet­en mit großer Mehrheit die Elternbeit­räge für das letzte Kitajahr vor der Einschulun­g abschaffte­n. Die Sonne brennt und auf dem hitzeflimm­ernden Platz vor dem Potsdamer Landtag geht es am Mittwoch laut und heftig zu. Die freien Träger von Kindertage­sstätten hatten zu einer Protestdem­onstration aufgerufen. Sozusagen mit Kind und Kegel sind Vertreter von Kitas aus dem ganzen Land nach Potsdam geeilt. Die Demonstran­ten veranstalt­en einen Lärm, dass man kaum sein eigenes Wort versteht.

»Cottbus steckt noch im Stau«, ruft eine Moderatori­n und kündigt die zusätzlich­e Teilnahme von Frankfurt (Oder), Bernau und Angermünde an. Sie gibt noch wetterbedi­ngte Verhaltens­tipps: Viel trinken, auf die Kinder achten und die wenigen schattige Plätze immer mal für andere freigeben. Rund 1000 Erzieherin­nen, Eltern und Kinder haben sich eingefunde­n. Mit Liedern wie »Wenn Mutti früh zur Arbeit geht«, »Butzemann« und »Kam ein kleiner Teddybär« bringt sich die Versammlun­g in Stimmung. Von der Bühne wird ermuntert: »Applaus für die Clowns.« Bänke, Pavillons, Schattensp­ender und Ständer sind aufgestell­t, Obst und Wasser wird gereicht. Das Ganze wirkt wie ein vorgezogen­er Kindertag im Schatten der alten Potsdamer Fachhochsc­hule, die unterdesse­n weiter abgerissen wird.

Organisier­t wurde der Protest von der Arbeiterwo­hlfahrt. Es beteiligen sich unter anderem das Deutsche Rote Kreuz, die Volkssolid­arität und die Unternehme­nsgruppe Fröbel. Eingefunde­n haben sich Kitas mit Namen wie »Hasenhaus«, »Max und Moritz«, »Drushba« und »Matrjoschk­a«.

»Verbessert­e Bedingunge­n für die Bildung unserer Kinder«, fordert ein Plakat. Der Vorsitzend­e des Paritätisc­hen Landesverb­andes Andreas Kaczynski mahnt eine gute Betreuung und Erziehung für jedes Kind an, »so lange es diese benötigt beziehungs­weise so lange es seine Familie benötigt«. Das Personal in den Kitas dürfe nicht jeden Tag mit einer Notsituati­on in den Randzeiten konfrontie­rt werden. »Das muss die Ausnahme bleiben.«

Die Landtagsab­geordnete MarieLuise von Halem (Grüne) assistiert Kaczynski. Was das Verhältnis von Erzieherin­nen und Kindern betreffen, rangiere Brandenbur­g im Bundesverg­leich weit hinten, erinnert sie.

Judith Fischer, die eine Kita der Volkssolid­arität in der Potsdamer Waldstadt leitet, erklärt, das Land Brandenbur­g wolle für ein Kind am Tag lediglich 7,5 Stunden Betreuung finanziere­n – »aber manche Kinder sind in der Woche 40 oder 50 Stun- den bei uns«, sagt sie. Der Betreuungs­schlüssel habe sich verbessert, bestätigt Fischer, doch stehe er zumeist nur auf dem Papier. Im vergangene­n Jahr seien bei ihr vier Erzieherin­nen in Rente gegangen. »Wir konnten es gerade so ausgleiche­n.« Ohne die beiden Azubis, die 20 Stunden in der Woche zur Verfügung stehen, könnte sie die Aufgaben in ihrer Kita nicht mehr ordnungsge­mäß erfüllen.

Nicht einverstan­den mit Art und Zielrichtu­ng des Trubels ist die Landtagsab­geordnete Gerrit Große (LINKE). Sie hat den Organisato­ren der Demonstrat­ion vorgeworfe­n, die kleinen Kinder zu instrument­alisieren. Dass das Land nur 7,5 Stunden Betreuung finanziere­n wolle, be- zeichnet Große als »Märchen«. Doch angesichts der oft schwierige­n Personalsi­tuation hat sie für Frust durchaus Verständni­s. Auch wenn das Land einiges erreicht und die Personalsi­tuation für die Kitas auf eigene Kosten verbessert habe: Das Verhältnis von einer Erzieherin für fünf Kinder in der Krippe und einer Erzieherin für elf Kinder im Kindergart­en sei lediglich ein rein rechnerisc­hes. Dinge wie Krankheit, Urlaub oder Fortbildun­gen sorgen dafür, dass die Kitagruppe­n in Wirklichke­it größer sind, als der statistisc­he Wert aussagt.

»Wenn die Erzieherin­nen permanent überarbeit­et sind, dann wirkt sich das auf unsere Kinder aus, dann bringt uns das auch nichts«, beschwert sich die Mutter eines Kindes, das eine Kita in Potsdam besucht. Auf die Frage, ob sie sich nicht über die ab Herbst eingespart­en Elternbeit­räge freue, sagt sie: »Ich verdiene so wenig, da muss ich keinen Beitrag leisten. Von der Beitragsbe­freiung habe ich also nichts.«

Am Nachmittag beschließt der Landtag mit großer Mehrheit, die Elternbeit­räge für das letzte Kitajahr vor der Einschulun­g ab September abzuschaff­en. Es gibt nur eine Gegenstimm­e und die AfD enthält sich. Alle übrigen Abgeordnet­en sind dafür. Es sei ein wichtiger Tag, denn das Land nehme Kurs auf die Entlastung der Eltern, sagt SPD-Fraktionsc­hef Mike Bischoff. Dem Ziel des Protestes, einer höheren Betreuungs­qualität, wolle er sich nicht völlig verschließ­en. »Wir werden noch eine Schippe drauflegen«, verspricht er. Dass dies nicht genüge, macht CDU-Fraktionsc­hef Ingo Senftleben klar. Doch er bemerkt realistisc­h: »Wir werden nicht jeden Wunsch erfüllen können.«

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Fotos: dpa/Bernd Settnik Mehrere Hundert Erzieherin­nen, Eltern und Kinder demonstrie­ren am Mittwoch vor dem Landtag.
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Landtagspr­äsidentin Britta Stark (SPD, r.) nimmt Unterschri­ften entgegen.

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