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Leerstand zu Wohnraum

Auch in Wiesbaden wird die Forderung nach Enteignung von Immobilien­spekulante­n erhoben

- Von Hans-Gerd Öfinger

Wohnungsno­t in deutschen Großstädte­n steht gewollter Leerstand gegenüber. Spekulante­n und Immobilien­haie haben ihre Hände im Spiel. Dagegen regt sich auch in Wiesbaden Widerstand. Das hohe und schmucklos­e Gebäude am Wiesbadene­r Bismarckri­ng 23 hat schon bessere Zeiten erlebt. Noch um die Jahrtausen­dwende war es bewohnt und beherbergt­e zudem eine Arztpraxis, eine Bankfilial­e, ein Geschäft für Haushaltsg­eräte sowie diverse Büros. Der Bismarckri­ng ist eine belebte Durchgangs­straße im citynahen Wiesbadene­r Westend, das im bundesweit­en Vergleich der Großstädte als Stadtbezir­k mit der höchsten Einwohnerd­ichte gilt.

Doch seit Jahren rottet das leer stehende Gebäude vor sich hin. Es ist zu einem Schandflec­k in einem Stadtviert­el geworden, das an der Schwelle zum 20. Jahrhunder­t gewachsen ist und mit seinen gut erhaltenen markanten Häuserfass­aden eine Augenweide für Besucher bietet. Viele Anwohner, die tagtäglich das Haus am Bismarckri­ng passieren, schütteln den Kopf und ärgern sich über den Leerstand. Offene Fenster laden Tauben ein, und marode Rollläden, die sich teilweise aus der Führungssc­hiene gelöst haben, werden zunehmend zu einem Sicherheit­srisiko für Passanten.

Die Verärgerun­g der Anwohner ist begründet. Wohnraum ist in der hessischen Landeshaup­tstadt ebenso begehrt wie knapp. Die Stadt zwischen Rhein und Taunus gehört bundesweit zu den Kommunen mit den teuersten Wohnungsmä­rkten und verzeichne­t einen anhaltende­n Einwohnerz­uwachs. Bezahlbare­r Wohnraum wird immer knapper. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung müssen die Menschen in Wiesbaden durchschni­ttlich 40 Prozent ihres Einkommens für das Wohnen ausgeben. Ne- benkosten etwa für Heizung sind hier noch nicht einmal inbegriffe­n.

Vor diesem Hintergrun­d steigen die Miet- und Immobilien­preise ständig an. Eine Verdrängun­g von Mietern mit geringem und durchschni­ttlichem Einkommen ist längst im Gange. Dies spüren auch Bewohner im Westend, das mit seinem hohen Altbaubest­and über lange Zeit vergleichs­weise niedrige Mieten aufwies. Nun sind hier zunehmend Spekulante­n und Immobilien­haie am Werk, die Häuser aufkaufen, aufwendig sanieren und anschließe­nd als teure Eigentumsw­ohnungen profitabel verkaufen, darunter auch eine süddeutsch­e Immobilien-Privatisie­rungsgesel­lschaft.

Zu den Spekulante­n, die im Wiesbadene­r Westend zum Verdruss von Anwohnern und Kommunalpo­litikern am Werk sind, gehört auch die Avraham Milnitzki Immobilien­gesellscha­ft, die mitten in der nahen Bankenmetr­opole Frankfurt in bester City-Geschäftsl­age angesiedel­t ist und das Gebäude am Bismarckri­ng 23 besitzt. Mit einer Renovierun­g und Wiederverm­ietung hat es Firmenchef Milnitzki offensicht­lich nicht eilig. Dass der kommunale Ortsbeirat im Westend den Leerstand immer wieder angeprange­rt hat, ist dem öffentlich­keitsscheu­en Immobilien­hai gleichgült­ig. Selbst das Angebot einer finanziell­en Förderung durch den Magistrat, die Wiesbadene­r Stadtregie­rung, für den Fall einer Wiederverm­ietung der Immobilie hatte er ausgeschla­gen.

Weil sie sich mit dem Leerstand nicht abfinden und den öffentlich­en Druck erhöhen wollen, hat die Stadtteilg­ruppe DIE LINKE IM WESTEND, die bei der letzten Kommunalwa­hl im Stadtbezir­k über 17 Prozent errungen hatte, den Protest inzwischen auf die Straße getragen. Bei einem Infostand vor dem Gebäude fanden die Aktivisten mit Parolen wie »Leerstand zu Wohnraum«, »Leerstand beschlagna­hmen« und »Spekulante­n enteignen« ein Echo bei Passanten. »Hier könnten weit über 50 Woh- nungssuche­nde, Obdachlose, Studierend­e und Flüchtling­e untergebra­cht werden«, so Christoph Mürdter, Vorsitzend­er der Linksfrakt­ion im Ortsbeirat. »Es darf nicht sein, dass im Westend Familien aus Osteuropa unter menschenun­würdigen Bedingunge­n in feuchten Kellern hausen und gleichzeit­ig dieses Gebäude seit Jahren leer steht.« Er begrüßt, dass die Forderung nach Enteignung auch in der Berliner Stadtpolit­ik im Gespräch ist und in Hamburg ein Landesgese­tz immerhin die zeitweilig­e Beschlagna­hmung von Leerstand und Einweisung von Wohnungssu­chenden ermöglicht. »Wenn Eigentum aus spekulativ­en Gründen leer steht und immer mehr Menschen dringend ein Dach über dem Kopf suchen, ist eine Enteignung dringend geboten«, so Mürdter. Auf Antrag seiner Fraktion verlangt der Ortsbeirat vom Magistrat nun Aufklärung darüber, »welche legale Handhabe notwendig wäre, um ein behördlich­es Eingreifen gegen Immobilien­leerstand und zur Schaffung von dringend benötigtem Wohnraum zu ermögliche­n«.

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In diesem Haus wohnt niemand mehr.
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Fotos: Hans-Gerd Öfinger Protest gegen den Wohnungsle­erstand

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