nd.DerTag

Dicke Luft um reine Luft

Noch-Umweltmini­ster Habeck fordert für Schleswig-Holsteins Hauptstadt Kiel ein Fahrverbot für alte Diesel-Autos

- Von Dieter Hanisch, Kiel

In Kiel rückt ein Diesel-Fahrverbot wie in Hamburg näher. Es geht um ein 600 Meter langes Stück der B 76. Zudem fordert Umweltmini­ster Habeck den Bau einer Schutzwand. Kiels OB lehnt die Pläne ab. Allein die Ankündigun­g von Schleswig-Holsteins Umweltmini­ster Robert Habeck (Grüne), dass für die Stadt Kiel ein Fahrverbot für alte Diesel-Pkw in Betracht kommen könnte, um die Luftreinha­ltung zu verbessern, löst einen Aufschrei der Empörung bei CDU, FDP und SPD hervor.

Die Grünen gehen damit in einen parteipoli­tischen Streitmodu­s, packen ein heikles Thema an, bei dem andere sich noch wegducken, es aussitzen oder auf den Faktor Zeit setzen, die eigentlich gar nicht mehr vorhanden ist. Und wenn die verantwort­liche Politik nicht handelt, dürften in Kürze Klagen ins Haus stehen, die die Deutsche Umwelthilf­e bereits angekündig­t hat.

Das Problem trifft Kiels Innenstadt grundsätzl­ich, auch wenn es sich auf einen viel befahrenen Streckenab­schnitt der durch die Stadt verlaufend­en Bundesstra­ße 76 fokussiert. Am Theodor-Heuss-Ring gibt es seit 2011 eine Luftmessst­ation. Der zulässige Grenzwert an Stickoxide­n beträgt 40 Milligramm je Kubikmeter Luft. Die Kieler Werte liegen bei 56 Milligramm und sie lagen bereits noch höher. Damit reiht sich Kiel ein in die Liste der am stärksten von Stickoxid belasteten Städte Deutschlan­ds. Im Vorjahr nahm man einen unrühmlich­en vierten Platz ein.

In einem Vorentwurf eines Luftreinha­lteplans hat Habeck nun für einen 600 Meter langen Abschnitt der B 76 in Richtung Eckernförd­e ein Fahrverbot für Diesel-Pkw vorgeschla­gen, die die Abgasnorm Euro 6 nicht einhalten. Der Theodor-HeussRing müsste von dieser speziellen Fahrzeuggr­uppe dann in Richtung Westen umfahren werden. Zudem greift Habeck den bereits seitens der Stadt Kiel ins Spiel gebrachten Bau einer Immissions­schutzwand auf. Kritiker werfen dem in drei Monaten scheidende­n Minister damit Aktionismu­s und reine Symbolpoli­tik vor.

»Das vorgeschla­gene Fahrverbot greift zu kurz. Würde man das umsetzen, wird nur Verkehr verlagert. Am Theodor-Heuss-Ring mögen dann die Schadstoff­werte etwas sinken, dafür steigen sie an anderer Stelle«, so Claudia Bielfeldt, Landesvors­itzende des Bundes für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND). »Wenn schon Fahrverbot­e, dann richtig! Wirkung erzielt man mit einer echten Umweltzone in Kombinatio­n mit einer Blauen Plakette – notfalls als Kieler Sonderlösu­ng. Das Ziel muss sein: Weniger Fahrzeugve­rkehr.«

Habeck hat auch einen Parteienst­reit auf Landeseben­e und in der Kieler Kommunalpo­litik ausgelöst. CDU und FDP, Jamaika-Partner in der Koalitions­regierung des Landes, lehnen Fahrverbot­e kategorisc­h ab. Dies tut auch die Kieler FDP, die gerade angekündig­t hat, nach den Kommunalwa­hlen im Kieler Rathaus bereit für eine Ampelkoali­tion mit SPD und Grünen zu sein. Die Verhandlun­gen über eine Mehrheitsb­ildung laufen.

Kiels Oberbürger­meister Ulf Kämpfer (SPD), vor Amtsantrit­t 2014 Staatssekr­etär unter Habeck, ist gar nicht einverstan­den mit Habecks Vorstoß. Dieser möge doch erst einmal von der Stadt Kiel in Auftrag gegebene Gutachten abwarten. So soll geprüft werden, inwieweit die Umleitungs­route zum Theodor-Heuss-Ring nicht größere Immissions­belastunge­n für die Anwohner mit sich bringen würde. Andreas Halle, Ratsherr von der Piratenpar­tei, mahnt, dass es Zeit zum Handeln ist: »Wer jetzt weiterhin freie Fahrt für jeden zulassen will, der spielt mit der Gesundheit aller anderen.« Halle sieht kurzfristi­g keine andere Möglichkei­t als Fahrbeschr­änkungen. Langfristi­g fordert er eine konzeption­elle Verkehrswe­nde.

Kämpfer hat in diese Richtung bereits Besserung gelobt. Der ÖPNV soll ausgeweite­t werden, Busse sollen künftig nur noch mit umweltfreu­ndlicheren Antrieben unterwegs sein. Zum angekündig­ten Maßnahmenk­a- talog zählen auch eine geplante digitale Verkehrsst­euerung und eine Aufrüstung in Sachen Elektromob­ilität.

Bei einem weiteren Sorgenkind agiert man in Kiel vergleichs­weise hilflos: Der Abgas-Ausstoß der die Stadt anlaufende­n Kreuz- und Fährschiff­e ist gewaltig. Einerseits will die Stadt ökonomisch von diesem Passagierb­oom profitiere­n, anderersei­ts sieht die Ökobilanz total negativ aus. Bislang kann sich in der Landeshaup­tstadt noch kein einziges Passagiers­chiff an Landstrom andocken. Kreuzfahre­r und Fährliner verfügen zudem meist noch nicht über einen passenden Landstroma­nschluss oder meiden diese umweltvert­räglichere Stromverso­rgung, weil sie die EEG-Umlage zu zahlen haben. Da lassen sie lieber ihre eigenen mit Schweröl betriebene­n Schiffsmot­oren im Kieler Hafen laufen. Umweltfreu­ndlicheres Flüssiggas als Antriebsst­off wäre ebenfalls eine Verbesseru­ng. Insgesamt 166 Anlandunge­n von Luxusliner­n sind dieses Jahr geplant. Allein zwischen dem 16. und 24. Juni während der Kieler Woche haben sich 14 »große Pötte« angekündig­t. In Kiel hat sich inzwischen das Bündnis »Kreuzfahrt nirgendwo« formiert.

Allein zwischen dem 16. und 24. Juni haben sich 14 »große Pötte« in Kiel angekündig­t.

 ?? Foto: dpa/Frank Molter ?? Die Luftmessst­ation an der B 76 in Kiel im Straßenabs­chnitt Theodor-Heuss-Ring
Foto: dpa/Frank Molter Die Luftmessst­ation an der B 76 in Kiel im Straßenabs­chnitt Theodor-Heuss-Ring

Newspapers in German

Newspapers from Germany