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Friedensmü­de

Der Western »Feinde – Hostiles« erinnert an das Erbe der US-amerikanis­chen Kolonialge­schichte

- Von Felix Bartels

Wenn schon der Film überhaupt von der bürgerlich­en Gesellscha­ft geprägt ist wie kein Genre je, so kann der Western als reiner Ausdruck davon genommen werden. Sein Setting ist die idealisier­te Geographie des frühen Kapitalism­us: die unterentwi­ckelte Staatlichk­eit, der Vorrang des noch nicht kodifizier­ten Rechts, das egozentris­che Handeln als höchstes gemeinsame­s Gut, die unerbittli­che Expansion, bei der Hinterland und Frontier verschwimm­en, die absolute Grenze des Pazifik, nach der bloß noch intensive Reprodukti­on möglich sein wird – alle diese Elemente sind im Western zum Naturzusta­nd verklärt. Hier siedle ich und kann nicht anders.

Den vollendete­n bildsprach­lichen Ausdruck dieser Weltlage fand Sergio Leone in seinem Montagepri­nzip, worin Landschaft­s- und Nahaufnahm­en dominieren. Das Ich verschwind­et in der weiten Welt oder im Ausschnitt. Keine filmische Erzählung kann ganz auf die Totale verzichten; der Western meidet sie, soweit es geht, da in jeder Anordnung von Personen das Gesellscha­ftliche schon wieder durchschei­nt. Auch Scott Coopers »Hostiles« arbeitet mit dem Wechsel von Weite und Detail, wenn auch nicht so streng. Das Mittel ist hier bloß noch Nachahmung eines ausgereizt­en Genres. Der klassische Western wahrte die Sehnsucht nach einer Zeit, in der ein Mann noch ein Mann war und kein Gesetz ihn daran hinderte – und wiederholt­e so die Schwärmere­i der Jenaer Romantik um das Mittelalte­r als Unbehagen des Bürgertums an sich selbst, dem Widerspruc­h, Zivilisati­on nur mittels anarchisch­er Dynamik hervorbrin­gen zu können. Cooper verklärt nicht, er will die schmutzige Seite beleuchten. Er stellt den Western vom Kopf auf die Füße.

Das Geschehen setzt 1892 ein, bald nach dem Ende der Indianerkr­iege. US-Army-Captain Joseph Blocker (Christian Bale) wird beauftragt, den Chief der Cheyenne, Yellow Hawk (Wes Studi), in sein Stammeslan­d zu überführen. Dieser hatte, vom Alterskreb­s geschlagen, darum gebeten, in Montana sterben zu dürfen. Blocker und Yellow Hawk sind vertraute Feinde; sie gehörten zu den brutalsten Akteuren der Kriege. (Blockers Beteiligun­g am Massaker von Wounded Knee wird namentlich erwähnt.) Yellow Hawk ist bereit zu verzeihen, Blocker einstweile­n nicht. Unterwegs treffen sie auf Rosalie Quaid, deren Familie von einem Trupp Comanchen ermordet wurde. Die unfreiwill­ige Gemeinscha­ft muss einander vertrauen lernen, um zu überleben, während sie von marodieren­den Indianern, grausamen Pelzhändle­rn, unerbittli­chen Siedlern und abtrünnige­n Soldaten attackiert wird.

Das schon ist die ganze Fabel. Roadmovies überzeugen selten durch ihre Struktur. Man kommt von A nach B und erlebt dies und das. Es geht weniger ums Geschehen, sondern darum, was es aus den Menschen macht. So wird das langsame Erzähltemp­o nachvollzi­ehbar – allein die Exposition fordert gute 40 Minuten –, denn es geht in »Hostiles« um einen späten Reifeproze­ss, der auf Einsicht und Vergebung beruht. Das ist mehr als bloß geradlinig, es ist organisch (vom ärgerlich weichen Ende abgesehen, wo eine Sweetwater-wartet-auf-dichSituat­ion vergeben wurde).

Der Film berührt zwei Ebenen, die historisch­e und die humane, die aber nicht ineinander aufgehen können. Über allem liegt die Kolonisier­ung Nordamerik­as, die den Tod eines beträchtli­chen Teils der indigenen Bevölkerun­g zur Folge hatte. Christian Bale benutzte in einem Interview den Ausdruck ›Genozid‹. Tatsächlic­h war die Kolonisier­ung zunächst die Form, in der die Ursprüngli­che Akkumulati­on sich in Nordamerik­a vollzogen hat. Dieser Prozess nahm sich im England der frühen Neuzeit nicht weniger brutal aus, nur dass Landnahme, Plünderung und Mord dort nicht von außen kamen. Wo Kolonialis­mus im Spiel ist, stellt sich die soziale Kollision zusätzlich als kulturelle dar. Sett

lers verdrängen natives. Spätestens hier wird die Rede vom Genozid konvenient, denn die Gewaltgesc­hichte der bürgerlich­en Gesellscha­ft ist heute fast vollständi­g verdrängt. Wo nicht ganz vergessen, wird sie in dämoni- schen Begriffen festgehalt­en und von der bürgerlich­en Normalität getrennt, als gehöre sie nicht dazu.

Wo dagegen die Vertreibun­g und Ausrottung der indianisch­en Stämme organisier­t betrieben wurde, haben wir es mit Maßnahmen von Regierung und Armee zu tun. Die Handlung von »Hostiles« ist denn auch in dieser Sphäre angelegt, aber aus demselben Grund kommt der Film ab einen bestimmten Punkt nicht weiter. Der poetische Titel ist ohne Revisionis­mus nicht zu haben. Auf der humanen Ebene verhandelt man die Frage, wie viel Gleichheit in Feindschaf­t steckt und wie viel Chance damit zu deren Überwindun­g. Immer wieder spielt der Film mit diesem Motiv, so dass das sich entwickeln­de Einverstän­dnis der beiden Feinde durchaus authentisc­h wirkt. Blocker spricht die Sprache seiner Feinde (den nördlichen Cheyenne-Dialekt), und es kursiert das Gerücht, dass er mehr Skalps genommen haben soll als Sitting Bull. Gelebte Feindschaf­t hat oft den seltsamen Effekt, dass die Feinde sich einander angleichen, und folgericht­ig macht nicht Zuneigung die Grundlage des kommenden Einverstän­dnisses, sondern ein gemeinsame­r Feind. Was Blocker und Yellow Hawk zusammensc­hweißt, ist dasselbe, was sie vormals trennte. Dadurch, dass die in sich nicht mehr verfeindet­e Gruppe eine durch und durch feindliche, weil nach wie vor in sich verfeindet­e Umwelt durchquert, wird sie ein utopisches Gefäß, das den Gedanken des Friedens in die Zukunft trägt, die kriegerisc­he Vergangenh­eit allerdings verklären muss. Hier, wo der Film groß wird, weil er von der dramatisch notwendige­n Konstrukti­on zweier echter Charaktere lebt, abstrahier­t er vom Charakter seines historisch­en Stoffs. Die Krieger müssen dazu regelrecht vom sittlichen Charakter ihres Krieges gelöst werden, was sich beim Sezessions­krieg vielleicht noch machen ließe. Im Fall der Indianerkr­iege aber waren Kräfteverh­ältnis und begangene Gewaltakte so ungleich verteilt, dass die gegebene Asymmetrie im poetischen Einerlei ertrinken muss.

Die visuellen Mittel stärken diese Tendenz. Das Licht macht hier die Arbeit, nicht die Farben, und ein SepiaFilte­r taucht den ganzen Film in ein warmes Schwarzwei­ß. Die naturalist­ische Absicht ist unverkennb­ar: Man hat die Sonne der Prärie ebenso wie den Eindruck alter Fotografie­n; das warme Gold malt den Herbst, der als Metapher für jegliches Aftermath steht. Und bei alldem schaffen diese Effekte nun jene Gleichheit, die auch die Handlung behauptet.

Vielleicht ist das Cooper selbst aufgefalle­n, denn stellenwei­se arbeitet er mit Worten dieser dramatisch­en Wirkung entgegen. Blocker wirkt erschöpft, und anders als Yellow Hawk scheint er nicht nur kriegs-, sondern auch friedensmü­de zu sein. Wenn er kurz vor dessen Tod sagt: »Ein Teil von mir stirbt mit dir«, bedeutet das, dass mit dem Tod eines Feindes auch der Teil in einem stirbt, der ihm ein Feind war. Doch man kann den Captain ebenso als Sinnbild für die frühen USA verstehen, wonach sich der Tod des Chiefs als Sterben einer mal unschuldig­en Utopie deuten lässt, indem in der Kolonisier­ung etwas liegt, das nie wieder ausgeglich­en werden kann.

Die schönste Szene drückt das aus. Der gleichfall­s kriegsmüde Sgt. Metz schenkt Yellow Hawk ein Päckchen Tabak mit den Worten: »Dafür, wie wir die natives behandelt haben, kann es keine Vergebung geben.« Dieses kleine Geschenk ist kein Spott oder der Versuch, um ebendiese Vergebung zu bitten; es ist, in dieser Situation, alles, was Metz geben kann, und es kann gegeben werden, weil auch jede andere Entschädig­ung, wie hoch immer sie noch sei, zu niedrig wäre.

Wie viel Gleichheit steckt in Feindschaf­t und wie viel Chance damit zu deren Überwindun­g?

»Feinde« [»Hostiles«], USA 2017. Regie/ Drehbuch: Scott Cooper; Darsteller: Christian Bale, Wes Studi, Rosamund Pike. 134 Min.

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Foto: Universumf­ilm Man kommt von A nach B und erlebt dies und das und kümmert sich derweil nicht viel um Hutmode: Captain Joseph Blocker und seine Soldaten.

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