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Ich will nur überleben

Manfred Krug als KZ-Kommandant: »Der Boxer und der Tod« ist erstmals ungeschnit­ten zu sehen

- Von Jonas Engelmann

Ihr habt gefoult, und darum werdet ihr bestraft«, erklärt der SSKommanda­nt Kraft einer Handvoll Insassen des ihm unterstell­ten Konzentrat­ionslagers in der Slowakei, deren Fluchtvers­uch gescheiter­t ist. »Spielregel­n« und »Fair Play« fordert der deutsche »Sportsmann« Kraft von seinen Gefangenen ein; die Strafe für ein Übertreten der Regeln, ein »Foul«, ist der Tod. Solche Sportmetap­hern durchziehe­n den gesamten Film »Der Boxer und der Tod«, den Regisseur Peter Solan 1962 gegen Widerständ­e der staatliche­n Kontrollbe­hörden der ČSSR realisiere­n konnte. Der soeben auf DVD erschienen­e Film zeigt den jungen Manfred Krug in der Rolle des Lagerkomma­ndanten, der für das eigene Training und zur Unterhaltu­ng befreundet­er SS-Angehörige­r den inhaftiert­en Amateurbox­er Ján Komínek zum Sparringsp­artner macht. Während jüdische Häftlinge ermordet und slowakisch­e Gefangene wie Komínek bei Arbeitsein­sätzen ausgebeute­t werden, muss der Boxer gegen den Lagerkomma­ndanten Kraft in den Ring steigen.

Der Film zeigt, wie reibungslo­s sich das KZ unter deutscher Kontrolle in den unabhängig­en Staat Slowakei einfügt. Anders als das von Nazideutsc­hland annektiert­e Tschechien war die Slowakei bis zum Spätsommer 1944 offiziell kein besetztes Gebiet, sondern als »Schutzstaa­t« mit dem Deutschen Reich verbündet. Euphorisch begrüßte der spätere Chef des Amts für Propaganda, Tido J. Gašpar, seinen Bündnispar­tner und war überzeugt, die Slowakei könne nun nicht mehr »Beute jüdischer und anderer Plutokrate­n werden«. Bis 1945 wurden 70 Prozent der jüdischen Bevölkerun­g deportiert.

Kein Wunder also, dass der Film mehrere Jahre benötigte, um die erforderli­che staatliche Drehgenehm­i- gung zu erhalten, denn die Kollaborat­ion der Slowakei mit Nazideutsc­hland entsprach nicht dem Bild, das Kultur im Sinne des sozialisti­schen Realismus vermitteln sollte: siegreiche Soldaten der Roten Armee und heroische Partisanen.

Der 1929 geborene Regisseur Peter Solan hat den Film »Der Boxer und der Tod« an Originalsc­hauplätzen auf dem Gelände eines ehemaligen jüdischen Arbeitslag­ers nahe der slowakisch­en Stadt Nováky gedreht. In seiner Adaption eines gleichnami­gen Romans des polnischen Autors Józef Hen konzentrie­rt sich Solan auf die Machtverhä­ltnisse zwischen den Akteuren, die der Deutsche Kraft durch seine Sportflosk­eln zu negieren versucht. Komínek ist dem Kommandant­en ausgeliefe­rt, er kann zwar im Ring zum ebenbürtig­en Gegner werden, doch um sein Leben nicht zu gefährden, darf er Kraft nicht besiegen. Die herausgeho­bene Stellung des Boxers gefährdet allerdings auch sein Verhältnis zu den anderen Gefangenen. »Spitzel«, raunen ihm die Mit- insassen während des Arbeitsein­satzes zu, und die zusätzlich­en Essensrati­onen machen ihn verdächtig.

Während für Kraft die Verwaltung des Lagers lediglich ein sportliche­r Wettkampf zu sein scheint, ist für Komínek der Sport ein Kampf um Leben und Tod. In der Enge des Boxrings findet »Der Boxer und der Tod« ein Bild für die Zerrissenh­eit und die inneren Konflikte der Slowakei, während Komínek auf die Anfeindung­en der Mitgefange­nen verzweifel­t entgegnet: »Ich will nur überleben. Wie ihr.«

»Der Boxer und der Tod«, ČSSR 1962/63. Regie: Peter Solan; Darsteller: Stefan Kvietik, Manfred Krug, Edwin Marian. 106 Min. Die DVD ist soeben erstmals ungeschnit­ten und mit Bonusmater­ial bei Bildstörun­g erschienen.

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Foto: Slovak Film Institute »Darum werdet ihr bestraft«: Sportsmann Kraft (Manfred Krug) ist auch SS-Mann.

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