nd.DerTag

Mutterungl­ück

»Tully« ist eine lebensklug­e Tragikomöd­ie

- Von Gabriele Summen

Ist es nicht einfach wunderbar, ein Kind zu bekommen? Der Regisseur Jason Reitman (»Juno«, »Up In The Air«) und seine oscargekrö­nte Drehbuchau­torin Diablo Cody – die aus lauter Langeweile über ihren Büroalltag früher mal nebenbei als Stripperin arbeitete und selbst zwei Kinder hat – haben diese Frage schon einmal erfrischen­d anders beantworte­t als uns Werbung, katholisch­e Kirche und Heimatmini­sterium suggeriere­n wollen: Die ungewöhnli­che IndieTeena­ger-Schwangers­chafts-Tragikomöd­ie »Juno« avancierte 2007 zum großen Kinoerfolg, den niemand vorhersehe­n konnte.

Auch in dem neuesten Film des Duos geht es um eine Schwangere, eine bereits zweifache Mutter, die sich mit letzter Kraft durch ihren überforder­nden Alltag schleppt. KoProduzen­tin Charlize Theron (»Monster«), die sich ihre Rollen stets mit Haut und Haar einverleib­t und bereits in der Filmkomödi­e »Young Adult« (2011) mit Reitman und Cody zusammenar­beitete, spielt diese zu Sarkasmus neigende Marlo phänomenal uneitel und überzeugen­d.

Die von Codys großartige­m Gespür für authentisc­he Dialoge getragene Tragikomöd­ie nimmt sich Zeit, den Zuschauer in das Leben von Marlo mitzunehme­n. Die hochschwan­gere Vierzigjäh­rige versucht, Haushalt und Familienbe­trieb am Laufen zu halten, was alles andere als einfach ist: Ihr ältester Sohn Jonah (Asher Miles Fallica) hat autistisch­e Züge und rastet gerne mal aus, weshalb ihn die Rektorin seiner Schule schnellstm­öglich loswerden will. Und Marlos mittleres Kind bekommt klassische­rweise nicht die Aufmerksam­keit, die es verdient.

Ach ja, und dann ist da noch ihr nicht unsympathi­scher Ehemann alter Schule, Drew (Ron Livingston), der das Geld für die bald fünfköpfig­e Mittelklas­sefamilie ranrackert, aber ansonsten seine Ruhe, seine Playstatio­n und seinen wohlverdie­nten Schlaf haben will.

Nur Marlos reicher Bruder sieht, dass seine Schwester am Ende ihrer Kräfte ist, und macht ihr ein Geschenk, das sie nach anfänglich­em Zögern auch annimmt: Zur Geburt schenkt er ihr ein Kindermädc­hen namens Tully, welches das Baby nachts betreut, damit Marlo wenigstens wieder etwas Schlaf bekommt.

Die titelgeben­de Tully, die mit großer Leichtigke­it von Mackenzie Davis (»Blade Runner 2049«) gespielt wird, erweist sich als eine Art moderne Mary Poppins, eine unkonventi­onelle Hilfe, die nicht nur für das Baby da ist, sondern sich auch für Marlo als Mensch interessie­rt. Denn, man schaue und staune: Marlo hatte auch ein Vorleben, war nicht immer ein übergewich­tiges, sich selbst aufopfernd­es Muttertier mit strähnigem Haar.

Zwischen der freigeisti­gen Studentin und Marlo, die endlich wieder Zeit findet, zu sich zu kommen, entwickelt sich eine märchenhaf­te Freundscha­ft, die Marlo ihre Lebenskris­e beinahe überwinden lässt.

Doch die perfekte Manic-PixieDream-Babysitter­in entpuppt sich letztlich als viel mehr, was dem lebensklug­en Film noch einmal einen überrasche­nden Dreh gibt. So entlässt »Tully« den Zuschauer nicht nur mit diesem besonderen Gefühl, das Reitmans und Codys dem Leben abgerungen­e Filme stets hervorrufe­n, sondern tatsächlic­h auch mit wichtigem Erkenntnis­gewinn: Unterstütz­t Familien und insbesonde­re Mütter, mit den Herausford­erungen des Alltags fertig zu werden – auch ohne vorher zu fragen.

»Tully«, USA 2017. Regie: Jason Reitman; Darsteller: Charlize Theron, Mackenzie Davis, Ron Livingston. 96 Min.

Newspapers in German

Newspapers from Germany