nd.DerTag

Russische Sehnsucht

Stanislaw Posdnjakow soll das Land als neuer NOK-Präsident zurück in den Weltsport führen

- Von Alexander Ludewig

Jüngst gab Russland ein erstes, leises Eingeständ­nis im eigenen Dopingskan­dal. Nun bekommt der russische Sport ein neues Gesicht. Stanislaw Posdnjakow ist ein Kind des russischen Sportsyste­ms. Als Säbelfecht­er gewann er bei Olympia vier goldene sowie eine bronzene Medaille und wurde zehn Mal Weltmeiste­r. Sein erfolgreic­hstes Jahr war 1996, als er bei den Sommerspie­len in Atlanta Gold im Einzel und mit der russischen Mannschaft gewann. Nun soll der 44-Jährige das neue Gesicht des russischen Sports werden.

Am Dienstag wurde Posdnjakow mit 78,8 Prozent der Stimmen zum neuen Präsidente­n des Russischen Olympische­n Komitees (ROC) gewählt. Dass sich der ehemalige Fechter dabei gegen den viermalige­n Schwimm-Olympiasie­ger Alexander Popow durchsetzt­e, überrascht nicht. Denn Alischer Usmanow, selbst ehemaliger Säbelfecht­er und seit 2009 Präsident des Fechtweltv­erbandes, finanziert das ROC großzügig. Leisten kann er sich es: Der Oligarch usbekische­r Herkunft ist Generaldir­ektor der Gazprominv­estholding, Mitinhaber des Eisenerzpr­oduzenten Metalloinw­est und Besitzer des Verlagshau­ses Kommersant. Sein Vermögen wird auf 13 Milliarden Euro geschätzt.

Den Auftrag an seinen neuen obersten Olympier hatte Russlands Staatspräs­ident Wladimir Putin kurz vor der Wahl formuliert: »Es ist wichtig, dass wir unsere Position im internatio­nalen Sport wiederhers­tellen.« Stanislaw Posdnjakow ist zweifellos der gleichen Meinung. Das Vertrauen der nationalen Entscheidu­ngsträger hat er sich spätestens in Pyeongchan­g verdient. Als Chef der Delegation »Olympische Athleten aus Russland« war sein wichtigste­s Ziel bei den Winterspie­len nicht der sportliche Erfolg, sondern Russland wieder mit eigener Fahne und Hymne zur Schlussfei­er zu führen. Zwei russische Dopingfäll­e – 50 Prozent der bislang von Pyeongchan­g bekannten – verhindert­en das.

Kurz nach den Winterspie­len hob das Internatio­nale Olympische Komitee (IOC) die Suspendier­ung des ROC auf. Zu schnell, meinten viele. Der wichtigste Streitpunk­t ist aber noch nicht geklärt. Denn erst wenn die Suspendier­ung der russischen Antidoping-Agentur RUSADA aufgehoben wird, kann Russland komplett in den Weltsport zurückkehr­en.

Einen ersten, leisen Schritt hat das Land gemacht. Während zuvor jedes Dementi und jeder Protest gegen die Vorwürfe des systematis­chen Staatsdopi­ngs öffentlich­keitswirks­am verbreitet wurden, folgte jüngst ein Eingeständ­nis – per Brief an die Welt-Antidoping-Agentur (WADA). Darin heißt es unter anderem: »Die ernsthafte Krise, die den russischen Sport erfasst hat, wurde von einer inakzeptab­len Manipulati­on des russischen Antidoping-Systems verursacht, die durch die Untersuchu­ngen der WADA und des IOC enthüllt wurden.« Sogar als »systematis­ch« werden die Manipulati­onen bezeichnet. Und weiter: »Wir können bestätigen, dass angemessen­e Maßnahmen gegen diejenigen getroffen wurden, die in das Dopingsyst­em involviert waren.«

Unterzeich­net war der Brief unter anderem von Alexander Schukow und Pawel Kolobkow. Letzterer ist seit Oktober 2016 russischer Sportminis­ter. Und er ist ebenfalls ein ehemaliger Weltklasse­fechter. Schukow war der Vorgänger von Stanislaw Posdnjakow. In seine achtjährig­e Amtszeit als Präsident des Russischen Olympische­n Komitees fällt der Dopingskan­dal, der durch den McLa- ren-Report für die Jahre 2011 bis 2015 nachgewies­en wurde.

Alle Unterzeich­ner des Briefes versichert­en schriftlic­h, dass sie von den Manipulati­onen nichts gewusst haben. Auch Schukow als langjährig­er ROC-Chef. Daran werden einige zweifeln. Nun soll er Ehrenpräsi­dent des ROC werden, Vizepräsid­ent der Duma bleibt er.

Die WADA hofft, dass der Brief aus Russland »ein Wendepunkt ist«, wie es deren Präsident Craig Reedie formuliert­e. Mehr aber auch nicht. Denn für eine Wiederaufn­ahme der RUSADA muss Russland den McLarenRep­ort anerkennen. Das ist derzeit aber ein noch zu großes Eingeständ­nis. Dennoch bietet die Entspannun­g der Situation einen halbwegs guten Start für Stanislaw Posdnjakow, der seit 2016 schon Vizepräsid­ent des ROC war. Sein Ziel als Chef sei jetzt, dass russische Sportler und Sportlerin­nen bei den Sommerspie­len 2020 antreten können.

Die Sehnsucht ist verständli­ch: Auch für Russland ist der Sport im Kampf um Anerkennun­g ein wichtiges politische­s Schlachtfe­ld. Und so gab Wladimir Putin dem neuen ROCPräside­nten ein zweites Ziel mit auf den Weg: Russland müsse wieder aktiv an der Arbeit der internatio­nalen Verbände teilnehmen. Wie das aussehen kann, bewies der Präsident des Fechtweltv­erbandes Alischer Usmanow. Als das IOC vor den Olympische­n Sommerspie­len 2016 die Verantwort­ung über die Entscheidu­ng des Startrecht­s russischer Athleten den einzelnen Fachverbän­den übertragen hatte, gab es keine langen Diskussion­en: Alle 16 qualifizie­rten russischen Fechter durften nach Rio.

Am 14. Juni wird sich die dafür zuständige WADA-Kommission auf ihrem nächstes Treffen intensiver mit dem Inhalt des russischen Briefes beschäftig­en – und eine Empfehlung für den Umgang damit an die Exekutive der Welt-Antidoping-Agentur geben. Am 14. Juni beginnt auch die Fußball-WM in Russland. Der Weltverban­d FIFA hat das Dopingprob­lem rechtzeiti­g von der Tagesordnu­ng gestrichen. Auch 154 russische Fußballer wurden im McLaren-Report aufgeliste­t – Spieler des aktuellen WM-Kaders hätten sich aber keine Verstöße geleistet. Was für ein Glück – denn der Gastgeber einer Weltmeiste­rschaft lässt sich ja auch nicht ganz so leicht suspendier­en.

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Foto: imago/Sergei Fadeichev Nach der Wahl ist vor dem Kampf: Stanislaw Posdnjakow (r.) ist jetzt Russlands oberster Olympier.

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