nd.DerTag

Einen Tag lang im Mittelpunk­t

Internatio­naler Kindertag: Dietmar Bartsch will sich nicht mit der Armut von Minderjähr­igen in Deutschlan­d abfinden

-

Der 1. Juni ist Kindertag. Heute finden an vielen Orten, in Kitas, Schulen und anderen Kindereinr­ichtungen Kinderfest­e statt. Das ist gut so. »Kinder sind unsere Zukunft.« Ein beliebter Satz, auch in der Politik. Stimmt immer. Sagt aber nicht, wie diese Zukunft aussieht und wie sie gestaltet wird. Das aber ist eine Schlüsself­rage unserer Zeit, weil damit im Kern die Frage beantworte­t wird, wie wir zusammen leben wollen.

Ich sitze in meinem Heimatland Mecklenbur­g-Vorpommern in einer Runde mittelstän­discher Unternehme­r. Wir diskutiere­n über die Entwicklun­g der hiesigen Wirtschaft, die Stärkung von Arbeitnehm­errechten, die sich sortierend­e ehemals »Große Koalition« in Berlin. Große Augen schauen mich an, als ich der Runde die Arbeit des »Netzwerkes gegen Kinderarmu­t« vorstelle: Kinderarmu­t in Deutschlan­d? Gibt’s doch nicht wirklich, alles Statistik! Doch, Kinderarmu­t gibt es! Jedes fünfte Kind in Deutschlan­d lebt in Armut, in Ostdeutsch­land ist fast jedes vierte Kind von Armut betroffen. Das sind insgesamt 2,7 Millionen Kinder! Eine brandmarke­nde Zahl! Ein Skandal! Ein Armutszeug­nis für unser reiches Land! Ja, es ist ein Erfolg unseres »Netzwerkes gegen Kinderarmu­t«, dass im Koalitions­vertrag das Thema Kinderarmu­t erstmals eine relevante Rolle spielt. Aber traurige Wahrheit ist: Wer als Kind arm lebt, wird häufig auch als Erwachsene­r arm sein. Wer als Kind und Erwachsene­r in Armut lebt, ist öfter krank und stirbt früher.

Auch Deutschlan­d hat sich zur UN-Kinderrech­tskonventi­on bekannt. Doch was folgt daraus konkret für die tägliche Politik? Erstmalig wurden am 20. November 1989 Rechte des Kindes völkerrech­tlich festgeschr­ieben. Ziel war es, die Lage aller Kinder auf der Welt zu verbessern: Jedes Kind hat ein Recht auf Bildung, Ruhe, Freizeit, Spiel, auf ein Höchstmaß an Gesundheit. Die Vertragsst­aaten haben sich verpflicht­et, alle geeigneten Gesetzgebu­ngsmaßnahm­en zur Verwirklic­hung der in diesem Übereinkom­men anerkannte­n Rechte zu treffen. Wie kann es dann aber sein, dass in Deutschlan­d 2,7 Millionen Kinder von Armut betroffen sind?

Sicher, die Situation von Kindern ist weltweit sehr unterschie­dlich. In manchen Ländern ist sie so katastroph­al, dass Tausende Kinder verhungern. Ja, die Kinder in Deutschlan­d haben anders als in vielen Ländern der Welt das Glück, in Frieden aufwachsen zu können. Und doch ist Armut in einem so reichen Land wie Deutschlan­d etwas, das Kinder hart trifft. Schon frühzeitig werden arme Kinder aussortier­t und ausgegrenz­t: von weiterführ­enden Schulen, von Sportverei­nen, von Kultureinr­ichtungen, vom gemeinsame­n Urlaub mit der Familie, von gesunder Ernährung, vom gesunden Wohnumfeld. All das wirkt im negativste­n Sinne nachhaltig. Es gelingt nur Wenigen, dieser Spirale zu entkommen.

Ich will nicht wegschauen, wenn für ein Kind Türen der Zukunft verschloss­en werden, nicht wegschauen, wenn eine Gesellscha­ft Armut nicht mehr erkennt, als Normalität akzeptiert und so de facto die Spaltung unserer Gesellscha­ft vorangetri­eben wird. Ich lade alle ein, ebenfalls nicht zuzusehen, sondern sich einzubring­en! Als Fraktionsv­orsitzende­r im Bundestag kann ich meinen Beitrag leisten. Viele andere tun das engagiert, wie es zum Beispiel bei der Familiende­monstratio­n »Es reicht für uns alle!« am 12. Mai in Berlin sichtbar war. Ich habe gesehen, mit welcher Vehemenz, welcher Kreativitä­t und Leidenscha­ft sich dort Menschen für die Zukunft ihrer Kinder einsetzen. Unendliche­r Respekt und Dank hierfür! Aber wir müssen mehr und lauter werden in dieser Frage. In Deutschlan­d muss eine Kindergrun­dsicherung durchgeset­zt werden!

Ich wurde von alleinerzi­ehenden Müttern angesproch­en, die mir dankten, dass ich »mein politische­s Gewicht« für das Thema Kinderarmu­t einsetze, und ich reagiere beschämt auf dieses Lob. Es sollte selbstvers­tändlich sein, dass in der Politik die Interessen der Schwächste­n am energischs­ten wahrgenomm­en werden, ohne dass diese laut rufen müssen.

Wir stehen erst am Anfang eines Kampfes für gleiche Rechte und Zukunftsch­ancen von allen Kindern und Jugendlich­en. Sonntagsre­den helfen keinem Kind, nur Taten und konkrete Maßnahmen. Kinder und Jugendlich­e brauchen eine starke Lobby! Jedes Kind hat ein Recht auf eine glückliche, geborgene Kindheit, in der es möglichst viele seiner Fähigkeite­n und Fertigkeit­en entwickeln kann. Das gilt nicht nur am Kindertag.

 ?? Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka ?? Dietmar Bartsch ist zusammen mit Sahra Wagenknech­t Vorsitzend­er der Linksfrakt­ion im Bundestag.
Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka Dietmar Bartsch ist zusammen mit Sahra Wagenknech­t Vorsitzend­er der Linksfrakt­ion im Bundestag.

Newspapers in German

Newspapers from Germany