Danke, SBU!
Der inszenierte Mordanschlag auf Arkadi Babtschenko und die deutschen Medien
In einer Zeit steiler Thesen und schriller Forderungen darf man sich nicht lumpen lassen: Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbands (DJV), muss zurücktreten! Der Mann, als Chef der größeren Fachgewerkschaft eine Stimme des deutschen Journalismus, hat sich mit seiner Einlassung zum vom ukrainischen Geheimdienst SBU vorgegaukelten Mord an dem russischen Medienschaffenden Arkadi Babtschenko disqualifiziert.
Wer diese Forderung etwas zu steil findet, blicke noch einmal auf die Erklärung, die Überall kurz nach der vermeintlichen Nachricht abgab: »Auch wenn – natürlich – noch nicht klar ist, wer konkret die Ermordung Babtschenkos kurz vor der FußballWM in Russland veranlasst hat, so deutet doch alles in eine Richtung«, steht dort. Es sei »konsequent«, wenn »alle EU-Staaten nach dem Giftanschlag von Salisbury und jetzt der Ermordung von Babtschenko endlich ernsthaft über einen Boykott der Fußball-WM« nachdächten.
Das ist eine Bankrotterklärung. Das Geschäft des Journalismus ist eben das Konkrete, das Wer, das Wie und das Was – und dann das Warum. In einem Atemzug zu sagen, »konkret« wisse man nichts, aber irgendwie doch genug für dramatische politische Forderungen, ist das Gegenteil von Journalismus. Zumal ja auch nicht klar ist, was in »Salisbury« geschah. Gab es nicht erst jüngst Recherchen, die an dem Axiom, allein der mutmaßliche Einsatz von »Nowitschok« deute hinreichend auf den »Kreml«, Zweifel wecken sollten?
Überall begründete seine Forderung in einer Weise, die sich im Journalismus verbietet: Verdacht vom Hörensagen. Die Anhäufung von Vorwürfen diente sich selbst als Beweis. Bei Politikern mag das durchgehen, nicht aber bei einem Vertreter der auf sich selbst so stolzen freien Presse – schon gar nicht im viel zitierten Medienkrieg um die Ukraine.
Die Anhäufung von Vorwürfen dient sich selbst als Beweis: Das ist das Gegenteil von Journalismus.
Davon auszugehen, dass eine Meldung über einen Mord stimmt, war bisher das eine. Etwas anderes aber war es schon immer, die politische Deutung einer beteiligten Partei nicht nur zu übernehmen, sondern sie auch noch durch Emotion aus zweiter Hand – das Zitieren eines rührenden Facebook-Eintrags des »Osteuropa- experten« Boris Reitschuster – anzuspitzen. In dieser schrillen Parteinahme machte sich Überall zum Kombattanten jenes Medienkriegs.
Zugute zu halten ist ihm indes, dass jene Erklärung zum vermeintlichen Mord noch zugänglich ist – nicht selbstverständlich am Tag danach: »Reporter ohne Grenzen« etwa informiert in den sozialen Medien zwar, dass man »einen neuen Beitrag« veröffentlicht habe. Der alte aber war bis auf eine Bildtafel für eine breite Öffentlichkeit verschwunden. In einem Interview hatte Katja Gloger vom Vorstand der Organisation zwar keine direkte Beschuldigung vorgenommen, sondern beide Seiten zur Aufklärung aufgefordert – eine russische Schuld im Gesprächsverlauf aber durchaus insinuiert. Auch bei rbb-online führt der Link zum Falschbericht inzwischen ins Leere.
Immerhin Frank Überall gibt sich nun selbstkritisch: Es sei »gefährlich«, wenn »Behörden (...) Bürger und die Öffentlichkeit dreist belügen«, heißt es in seinem neuen Statement. Man müsse »noch viel genauer« hinsehen. »Spiegel«-Kolumnist Markus Feldenkirchen nahm den Fall in »Radio eins« zum Anlass, antirussische Reflexe in deutschen Medien zu kritisieren. Sollte die Farce in solcher Richtung wirken, müsste man dem SBU danken. Doch wird sich das erst zeigen – etwa im Umgang mit jener »Todesliste«, die der Dienst durch seine Show erhalten haben will.
In diesem Sinn könnte sich Überall rehabilitieren. Wer aber jetzt nur kritisiert, die Aktion spiele Putin in die Hände, verharrt in jener Kombattantenposition und hat nicht verstanden, worum es geht. Konkret demonstriert die »Tagesschau« den Korrekturbedarf: Die online noch sichtbare Falschmeldung nennt zwei weitere Kiewer Journalistenmorde aus dem Jahr 2016, den an Pawel Scheremet und den an Oleg Busina. Bei Scheremet wird auf eine russlandkritische Haltung verwiesen, bei Busina steht nur, der Fall sei ungeklärt. So füttert die Erwähnung beider Taten bei Unkundigen unweigerlich die Annahme, Russland habe Babtschenko umgebracht: Ist ja quasi Routine!
Dabei war Busina pointiert »prorussisch«. Seine Erschießung reihte sich ein in eine Serie von Morden und fragwürdigen Todesfällen aufseiten der Maidan-Gegner in den Jahren 2015 und 2016 – im Westen wurde das kaum wahrgenommen.
Dass die »Tagesschau« durch den Kontext des Satzes über Busina etwas Korrektes effektiv in eine Unwahrheit verdreht, zeigt an, wie tief das Problem sitzt: Denn vermutlich hat, wer immer diese Nachricht zusammenbaute, gar nicht recht gemerkt, was da passiert war. Es geht hier nicht nur ums Handwerk, sondern um die Haltung – um das wirklich Eingemachte.