nd.DerTag

Spaniens neue Aussichten

Der neue Regierungs­chef Pedro Sánchez will auf Dialog statt Konfrontat­ion setzen

- Mli

Berlin. Bringt der Besuch auf der iberischen Halbinsel Angela Merkel zu neuen europapoli­tischen Einsichten? Einen Tag nach ihrem Besuch in Portugal, wo eine Mitte-links-Regierung erfolgreic­h dem von Berlin vorgegeben­en Austerität­skurs trotzt, wurde die rechte spanische Minderheit­sregierung von Mariano Rajoy per Misstrauen­svotum gestürzt. Rajoy ist einer der wichtigste­n Verbündete­n Merkels in der EU. Die jüngsten Nachrichte­n aus Madrid wird man in Berlin deshalb mit Schrecken vernommen haben, wenngleich die Vereidigun­g der italienisc­hen Rechtsregi­erung der Bundeskanz­lerin noch größeres Kopfzerbre- chen bereiten dürfte als das Ansinnen des spanischen Sozialdemo­kraten Pedro Sánchez, dem portugiesi­schen Vorbild nachzueife­rn.

Sánchez nutzte die Gunst der Stunde, nachdem der seit 2011 regierende Mariano Rajoy vergangene Woche vom Strafgeric­htshof der Unglaubwür­digkeit geziehen und die PP als Nutznießer institutio­neller Korruption verurteilt wurden. Beim Misstrauen­svotum in Madrid am Freitag gab es eine Enthaltung, ansonsten haben bis auf PP und die rechtslibe­ralen Ciudadanos alle im spanischen Parlament vertretene­n Parteien der Abwahl von Rajoy zugestimmt, lager- und regionenüb­er- greifend von den Kanaren über das Baskenland bis hin zu Katalonien. Sánchez hatte Katalonien­s neuem Regierungs­chef Quim Torra vorab einen Dialog zugesagt und die Aufhebung der Zwangsverw­altung angekündig­t. Für Spanien gibt es nach langer Zeit der Konfrontat­ion damit erstmals wieder Aussichten auf Dialog. Dass Schleswig-Holsteins Generalsta­atsanwalts­chaft unterdesse­n erneut die Auslieferu­ng des katalanisc­hen Ex-Präsidente­n Carles Puigdemont an Spanien beantragt hat, wird Rajoy nicht trösten. Zumal bisherige Anträge samt und sonders vom Oberlandes­gericht abgelehnt wurden.

Aller guten Dinge sind vier. Beim vierten konstrukti­ven Misstrauen­svotum in Spanien hat es geklappt: 180 Abgeordnet­e stimmten lagerüberg­reifend für Pedro Sánchez, um Mariano Rajoy loszuwerde­n. »Sí, se puede!« »Ja, wir können es«, hallte es erfreut am Freitagmit­tag durch das spanische Parlament, als das Abstimmung­sergebnis bekannt wurde. Nun ist der rechte Mariano Rajoy von der Volksparte­i (PP) fürs Erste Geschichte. Erstmals seit dem Tod des Diktators Francisco Franco 1975 wurde nun ein Regierungs­chef über einen konstrukti­ven Misstrauen­santrag der Sozialdemo­kraten (PSOE) gestürzt. 180 Parlamenta­rier stimmten für den Antrag, 169 dagegen, bei einer Enthaltung, womit der PSOE-Chef Pedro Sánchez neuer Regierungs­chef ist. Vor allem die Linksparte­i Podemos (Wir können es) hofft, dass nun eine Linksregie­rung die fatale politische und soziale Lage verändern kann. Podemos wollte Rajoy schon vor einem Jahr stürzen, da er in zwei Wahlgängen auch mit der rechten Partei Ciudadanos (Bürger) keine Mehrheit erreichte.

Rajoy verzichtet­e auf die Option Rücktritt, die es ihm ermöglicht hätte, noch etwas länger geschäftsf­ührend im Amt zu bleiben. Der Preis für die PP wäre hoch gewesen. Sie hätte die Parlaments­präsidents­chaft verloren, über die sie der neuen Regierung Probleme machen kann.

Rajoys Taktik des Aussitzens ist dieses Mal gescheiter­t. Das vernichten­de Urteil des Strafgeric­htshofs im »Gürtel-Prozess« vergangene Woche, bei dem der PP institutio­nelle Nutznießer­schaft von Korruption nachgewies­en wurde und Rajoy als Zeuge von den Richtern offen Unglaubwür­digkeit attestiert wurde, brachte Sánchez eine unverhofft­e Chance, die er mit beiden Händen per konstrukti­vem Misstrauen­svotum ergriff. Er schmiedete binnen einer Woche eine lagerüberg­reifende Allianz von Rajoy-Gegnern aus allen Regionen und allen Parteien bis auf die rechtslibe­ralen Ciudadanos (Cs) und Rajoys PP. Selbst die Baskisch-Nationalis­tische Partei (PNV) konnte er gewinnen, die vor zwei Wochen noch Rajoy Minderheit­sregierung zur Mehrheit bei der Verabschie­dung des Haushalts verholfen hatte. Ihr streckte Sánchez die Hand aus. Er versichert­e, den Haushalt beizubehal­ten, um Investitio­nen im Baskenland zu sichern.

Der Regierungs­wechsel in Madrid bringt Bewegung im Katalonien-Konflikt. Sánchez hatte während der Parlaments­debatte zum Entsetzen von PP und Cs einen Dialog mit dem neuen katalanisc­hen Regierungs­chef Quim Torra angekündig­t. Das brachte die PNV dazu, ihm offen Unterstütz­ung auszusprec­hen. Damit hatte Rajoy nicht gerechnet. Er verließ am Donnerstag fluchtarti­g das Plenum, um sich zu beraten. Er kehrte erst am Freitag kurz vor der Abstimmung ins Parlament zur Verabschie­dung zurück.

Die Frage ist nun, wie Sánchez mit nur 85 PSOE-Parlamenta­riern regieren will oder ob er eine Koalition mit Podemos eingeht. Dort macht man sich schon Hoffnungen auf Ministerse­ssel. Dazu hat er bisher nichts erklärt. Da er den bisherigen Haushalt übernimmt, umgeht er die schwierige Aufgabe, bis 2019 einen eigenen durchzubri­ngen, was wegen der Mehrheitsv­erhältniss­e schwierig geworden wäre.

Als Vorbild dient Sánchez die erfolgreic­he Linksregie­rung Portugals, die seit zwei Jahren das Land aus der Krise führt. Dort werden die Sozialiste­n von zwei linksradik­alen Parteien toleriert, und sie haben eine stabile Mehrheit. Eine solche hat Sánchez auch mit Podemos nicht. Diese Unterstütz­er gefallen jedoch der Parteirech­ten in der PSOE nicht, weshalb Andalusien­s Ministerpr­äsidentin Susana Díaz dort lieber mit den rechten Cs regiert. Sánchez wird vermutlich versuchen, über eine Minderheit­sregierung mit wechselnde­n Mehrheiten zu regieren. Denn noch weniger gefällt PSOE-Regionalfü­rsten, dass er zum Sturz von Rajoy auf die Stimmen der baskischen und katalanisc­hen Regionalpa­rteien angewiesen war. Da dies auch in Zukunft immer wieder der Fall sein wird, werfen ihm Cs und PP »Verrat« an Spanien vor und vermuten, seine »Frankenste­in-Regierung« habe Katalanen und Basken schon Gegenleist­ungen versproche­n.

Sicher ist nur, dass die Zwangsverw­altung in Katalonien bald fallen wird und Sánchez den Katalanen im Verfassung­srahmen einen Dialog anbietet. Mehr als nichts.

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Foto: AFP/Pierre-Philippe Marcou Spaniens neuer Premier Pedro Sánchez bedankt sich für die Stimmen beim Misstrauen­svotum gegen Rajoy.
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Foto: dpa/Paul White Es hat geklappt: Mariano Rajoy zieht von dannen.

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