nd.DerTag

Einer von dreien

Zum überrasche­nden Tod des Berliner Reggae- und Popsängers Demba Nabé

- Von Velten Schäfer

Wer sich fragt, wann und wie das eigentlich angefangen hat mit diesem Berlin-Jugendkult­ur-Hype, der die formal ja eher hässliche Ex-Doppelstad­t zur Weltmetrop­ole einer unkonventi­onell angehaucht­en Kreativpop­ulation machte, der kommt irgendwann auf die Zeit um die Jahrtausen­dwende. Und wer sich die Stimmung dieser Jahre akustisch vergegenwä­rtigen möchte, hat alsbald jenen schlichten, aber totemische­n Posaunenak­kord im Ohr, mit dem das Berliner Reggae- und Dancehallo­rchester Seeed im Jahr 2001 sich selbst auf die große Bühne katapultie­rte und jenen neuen Berlinismu­s gleich miterschuf: Taaaa-ta-ta!

So beginnt das monumental­e, fast hymnische Stück »Dickes B«, das wohl für alle Zeiten mit der 11-köpfigen Formation verbunden sein wird, obwohl es – wie das ja oft ist – vielleicht gar nicht ihr stärkstes ist. »Dickes B« wurde weit über die Genregrenz­en hinaus bekannt und lief zeitweise bundesweit in Endlosschl­eife. Die Kombinatio­n aus »fettem« Sound, aus im Reggae eher seltenen Instrument­en wie Posaune und Saxofon und aus unpeinlich lokalpatri­otischem Text gab der Jugend noch der hintersten Provinz einen fernen Geschmack zeitgemäße­r Großstadtr­omantik: »Dickes B, oben an der Spree/ im Sommer tust du gut und im Winter tut’s weh/ Mama Berlin, Backstein und Benzin/ wir lieben deinen Duft, wenn wir um die Häuser zieh’n.«

Nun aber, nur kurz nachdem die Gruppe angekündig­t hatte, wieder auf Tour zu gehen und eine neue Platte aufzunehme­n, ist plötzlich klar, dass es Seeed so nie wieder geben wird. Für Außenstehe­nde völlig überrasche­nd ist Demba Nabé, dessen Leben 1972 in Berlin-Buch begonnen hatte, am 31. Mai verstorben. Die Gruppe zeigt ihre Trauer um den Sänger durch ein schwarzes Quadrat, das sich in sozialen Medien verbreitet. Zu den Hintergrün­den seines Todes mit nur 46 Jahren ist bisher nichts bekannt. Über einen Anwalt baten Seeed darum, von Fragen Abstand zu nehmen.

Zwar hatte und hat die Gruppe mit Pierre Baigorry alias Peter Fox und Frank Allessa Dellé noch zwei weitere Singstimme­n, doch fehlt nun mit Nabé eine für Seeed ganz wesentlich­e Komponente. Nabé klang wärmer, glatter und sang oft melodische­r als seine beiden Partner, mit denen er sich auf der Bühne die Ges- ten und die Töne zuspielte. Er bewegte sich stimmlich näher am Pop als am klassische­n Reggae – und gerade weil seine Tonalität nicht ganz typisch war für jenes Genre, dem die Gruppe im Groben doch zuzuordnen ist, konnte diese dasselbe so »authentisc­h«, so eigenständ­ig und unverwechs­elbar verkörpern und darbieten.

Ob Seeed ohne Nabé an den jüngsten Plänen für Tour und Album festhalten, ob es zu Verzögerun­gen kommen wird oder gar zu einem Ende des Projekts in seiner gewohnten Form, ist derzeit unmöglich abzuschätz­en. Denn anders als bei vielen anderen erfolgreic­hen Acts stellt sich für Seeed nicht nur die Frage nach einer adäquaten musikalisc­hen Vertretung für Nabé. Die Gruppe war stets auch von einem engen persönlich­en Zusammenha­lt geprägt, der nicht nur auf den Platten hörbar ist, sondern auch auf der Bühne sichtbar wurde. Seeed waren immer eine großartige Liveband, die es verstand, ausgeklüge­lte Bühnenchor­eografien mit gelebter Spontaneit­ät zu verbinden, mit sinnlicher Kommunikat­ion untereinan­der und mit dem Publikum. Selbst auf den wirklich großen Bühnen, auf die sie sich in den Nullerjahr­en gespielt hat- ten, entstand so oft eine Atmosphäre wie in einem Kellerklub.

Mit Nabé verliert aber nicht nur Seeed eine unverwechs­elbare Stimme. Der Sänger trat seit 2007 als »Boundzound« auch eigenständ­ig auf. Obwohl er solo nicht so erfolgreic­h war wie seine Seeed-Kollegen Dellé und vor allem Peter Fox mit ihren Projekten, hatten seine Alben »Boundzound« und »EAR« doch ihre Fans. Und nicht nur diese hatten wohl mit Spannung erwartet, wie es klänge, wenn die drei ihre Stimmen wieder und neu zusammenfü­hrten. Doch diese Frage wird nun für immer offenbleib­en.

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Foto: ©Imago Star Media Nabé alias Boundzound auf dem Highfield-Festival 2011

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