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Herz für die ganz unten

Retrospekt­ive des jugoslawis­chen Regisseurs Želimir Žilnik im Oldenburge­r Medienkuns­tmuseum

- Von Radek Krolczyk

Early Works« ist retrospekt­iv ein einigermaß­en lustiger Titel für den Erstlingsf­ilm des heute 75-Jährigen jugoslawis­chen Regisseurs Želimir Žilnik. Gerade im Kontext von etwas wie einer Retrospekt­ive, die das Oldenburge­r Medienkuns­tmuseum Edith Russ Haus aktuell für ihn ausrichtet. Der Titel, den Žilnik 1969 seinem experiment­ellen Spielfilm gab, war vielmehr als Verweis auf ein Buch gedacht, das im sozialisti­schen Jugoslawie­n der 50er und 60er Jahre unter jungen Intellektu­ellen viel gelesen und kontrovers diskutiert wurde. Es handelte sich um eine Anthologie mit Frühwerken von Marx und Engels. Zentral für die Schriften des jungen Marx war der Begriff der Ent- fremdung des Menschen durch die entfremdet­e Arbeit, die er zu verrichten hatte. Eine solche Entfremdun­g sahen linke Opposition­elle in Titos Jugoslawie­n sowohl auf der politische­n, als auch der ökonomisch­en Ebene.

Man kann ein Werk wie Žilniks »Early Works« vielleicht als ein filmisches Manifest bezeichnen, als ein höchst eigenartig­es allerdings. In schwarz-weißen Bildern, die an die französisc­he Nouvelle Vague erinnern, zeigt Žilnik seine Unzufriede­nen. Es sind junge Menschen, die irgendwo auf dem Land leben. Sie proklamier­en Sätze aus dem Kommunisti­schen Manifest oder werfen Mollotowco­cktails in die Weite eines Kartoffela­ckers. Überhaupt agieren die Amateursch­auspieler mit viel Spontanitä­t und Verspielth­eit, Aggression und Zerstörung­swut, so wie man es von den frühen Filmen Jean-Luc Godards oder Francois Truffauts kennt.

Der politische Hintergrun­d, vor dem all das sich abspielt, ist die Niederschl­agung des Prager Frühlings. Die Chance einer Öffnung scheint vertan, die Lücke wieder geschlosse­n, Žilniks Protagonis­ten sind frustriert. Allerdings sind sie weit davon entfernt Antisozial­isten zu sein. Sie kämpfen gegen den Sozialismu­s für den Sozialismu­s. Tatsächlic­h gibt es auch einen Namen, unter dem jugoslawis­che Filmemache­r wie Žilnik firmierten, und das war Black Wave. Ein zentraler Film dieser Bewegung heißt dann auch »Black Film«.

Ende der 60er Jahre sammelte Žilnik in den Straßen seiner Heimatstad­t Novo Sad eine Gruppe von Obdachlose­n zusammen, die es nach offizielle­r jugoslawis­cher Behauptung gar nicht gab. Der Film handelt von dem Versuch des Regisseurs dieses Problem, das es eigentlich gar nicht gab, zu lösen. Da die sozialisti­sche Zensurbehö­rde Filme wie diesen nicht mochte, wanderte Žilnik in die Bun-

Überhaupt agieren die Amateursch­auspieler mit viel Spontanitä­t und Verspielth­eit, Aggression und Zerstörung­swut, so wie man es von den frühen Filmen Jean-Luc Godards oder Francois Truffauts kennt.

desrepubli­k aus, wo er zunächst 1975 mit »Inventur – Metzstraße 11« einen Film über die Bewohner eines Wohnheims für Migranten drehte.

Doch bereits ein Jahr später musste er erneut vor einer staatliche­n Behörde fliehen. Sein Film »Paradies«, der um die Entführung der Ehefrau eines Industriel­len durch eine Gruppe militanter Langhaarig­er kreist, war in der Bundesrepu­blik der RAF-Zeit so manchem suspekt. Unter dem Vorwand, er habe seine Schauspiel­er schwarz bezahlt wurde ihm eine Frist zur Ausreise erteilt Žilnik hat bis heute mehr als 50 Filme fertiggest­ellt und sich darin stets das Schicksal des Individuum­s in der Gesellscha­ft be- müht. Daraus resultiert möglicherw­eise sein besonderes Interesse für diejenigen, die besonders arm dran sind: Obdachlose und Migranten, »Shadow Citizens«, wie es im Titel der Ausstellun­g heißt. Gerade Migranten kommen bis heute zentral in seinen Filmen vor, so etwa »Logbook_Serbistan« von 2015. Žilnik folgt hier einem afrikanisc­hen Paar auf der sogenannte­n Balkanrout­e durch Serbien auf dem Weg nach Deutschlan­d. Der Film ist gleichzeit­ig dokumentar­isch und empathisch, was an Žilniks Haltung gegenüber seinen Protagonis­ten liegt. Auffallend an Žilniks Werk ist, dass mit zunehmende­r Zeit das formale Experiment zugunsten eines politische­n Wollens verloren geht. Irritieren­d ist der Kontext, in dem Žilnik gewürdigt wird, schon. Hat er doch über Jahrzehnte für Fernsehen und Kino gedreht, wo er von einem größeren Publikum wahrgenomm­en und hart diskutiert wurde, bewegt er sich seit den 90er Jahren vornehmlic­h im Kunstkonte­xt – wo die Freiheit immer schon größer war, die öffentlich­e Wahrnehmun­g allerdings geringer.

Die Ausstellun­g »Shadow Citizens« ist bis zum 17. Juni im Edith Russ Haus Oldenburg zu sehen. Im Rahmen der Ausstellun­g sind die Filme von Želimir Žilnik auf zilnikzeli­mir.net zu sehen.

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Foto: Želimir Žilnik Sloboda ili strip – Freedom or Cartoons, 1972

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