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Furcht vor der Politisier­ung

Streit um den Austragung­sort des Eurovision Song Contests 2019 in Israel

- Von Oliver Eberhardt

Nach dem Sieg Israels beim Eurovision Song Contest möchte Israels Regierung den Wettbewerb gerne in Jerusalem ausgericht­et sehen. Doch die Europäisch­e Fernsehuni­on fürchtet eine Politisier­ung des Wettbewerb­s; schon jetzt gibt es Boykottauf­rufe.

Es war nur ein kurzer Tweet, abgesetzt vom offizielle­n Account des Eurovision Song Contests (ESC): Fans sollten noch damit warten, Flüge und Hotels zu buchen. Normalerwe­ise würde dies nur im recht kleinen Kreis jener ESC-Ultras für Aufsehen sorgen, die Jahr für Jahr mehrere Tausend Euro in ihre persönlich­e Anwesenhei­t investiere­n.

Doch dieses Mal zog die Nachricht politische Kreise. Denn nachdem die israelisch­e Sängerin Netta Barzilai den ESC gewonnen hatte, wird dieser 2019 in Israel stattfinde­n. Und die hiesige Regierung möchte gerne ein gehaltvoll­es Wort mitreden. Immer wieder mischen sich Minister in die Vorbereitu­ngen ein, stellen Forderunge­n auf. So teilte Regierungs­chef Benjamin Netanjahu schon wenige Minuten nach dem Sieg Barzilais über Twitter mit, der ESC werde in »Jerusalem, der Hauptstadt Israels« stattfinde­n.

Und sorgte damit bei der European Broadcasti­ng Union (EBU), einem Senderverb­und, der den ESC seit den 1950er Jahren organisier­t, für Unmut. Zwar fand der ESC schon zwei Mal, 1979 und 1999, problemlos in Jerusalem statt. Aber damals reichte das 3100 Personen fassende Kongressze­ntrum im Stadtzentr­um WestJerusa­lems aus. Heute ist daraus aber eine millionent­eure Veranstalt­ung mit umfangreic­her Bühnentech­nik und mehr als 10 000 Zuschauern vor Ort geworden. Und dafür gibt es in Jerusalem nur zwei in Frage kommende, weit vom Zentrum entfernt liegende, Arenen. In Jerusalem ruht von Freitagabe­nd bis Samstagabe­nd der öffentlich­e Nahverkehr komplett. Und die Generalpro­be, bei der die Jurys entscheide­n, findet Freitagabe­nd statt; die Hauptsendu­ng beginnt Samstag um 22 Uhr Ortszeit. Es müsste also am Samstag gearbeitet werden, Busse müssten fahren. Doch die beiden an der Regierung beteiligte­n ultraortho­doxen Parteien wollen das keinesfall­s dulden. Das sehr viel liberalere Tel Aviv, ohnehin Favorit der Fans, läge daher sehr viel näher. Nur: »Entweder der ESC fin- det in Jerusalem oder gar nicht in Israel statt«, schrieb Kulturmini­sterin Miri Regev auf Facebook.

»Wann, wo und mit welchen Teilnehmer­n der ESC ausgetrage­n wird, entscheide­t allein die EBU in Zusammenar­beit mit den beteiligte­n Sendern,«, sagt ein Mitarbeite­r der EBU, der namentlich nicht genannt werden will. Zu frisch sei die Erinnerung an den ESC in der Ukraine. 2017 hatte die dortige Regierung der russischen Sängerin Julia Samoylowa die Einreise verweigert, weil diese zuvor auf der Krim aufgetrete­n war.

Und dieses Mal kommt der Druck aus allen Richtungen: »Das Problem ist die Definition von Jerusalem,« heißt es beim französisc­hen Sender TF1. »Anders als 1979 und 1999 versucht die israelisch­e Regierung, auch Ost-Jerusalem als Teil Israels darzustell­en.«

Darüber hinaus gibt es in einigen Ländern auch Forderunge­n, den ESC wegen der israelisch­en Militärein­sätze im Gazastreif­en insgesamt zu boykottier­en. In mehreren Ländern wurden Petitionen gestartet, in Island und Irland sprachen sich auch Sender- Mitarbeite­r für einen Boykott aus. Zwar betonen alle Sender, dass man solchen Aufrufen nicht nachgeben werde. Doch bei einem Treffen mit Vertretern des öffentlich-rechtliche­n israelisch­en Senders Kaan habe die EBU deutlich gemacht, dass man keine politische Einflussna­hme oder Instrument­alisierung dulden werde, berichtete die Zeitung Ma‘ariv. Sollten die Rahmenbedi­ngungen nicht stimmen, werde man den Wettbewerb 2019 anderswo ausrichten.

Denn zudem gibt es wie in der Ukraine auch in Israel ein Gesetz, das Einreiseve­rbote wegen politisch miss-

liebiger Handlungen erlaubt: Personen, die einen Boykott Israels unterstütz­en, darf die Einreise verweigert werden. Die einzelnen Sender sollten ihre Künstler »mit Bedacht auswählen, um Probleme zu vermeiden«, sagte Kommunikat­ionsminist­er Ajub Kara kurz nach dem ESC.

Zudem werde die Regierung auch keine Teilnahme Palästinas am ESC erlauben. Nur: Auch darauf hat Israels Regierung keinen Einfluss. Zwar könnte Palästina Mitglied der EBU werden, und am ESC teilnehmen, seitdem man 2013 von der UNO zum Nichtmitgl­iedsstaat heraufgest­uft wurde. Zu den EBU-Mitgliedss­taaten zählen schon jetzt auch Ägypten, Libyen und Jordanien. Doch der palästinen­sische Sender PBC hat bislang noch keinen einen Aufnahmean­trag gestellt.

»Anders als 1979 und 1999 versucht die israelisch­e Regierung, auch Ost-Jerusalem als Teil Israels darzustell­en.« Kommentar des französisc­hen Senders TF1

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Foto: AFP/Gali Tibbon Eigentlich keine Frage, welche Stadt besser zum Geist des ESC passt: Loveparade in Tel Aviv

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