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Kampf um die Häuser

Wohnungsno­t radikalisi­ert Berliner Bevölkerun­g zunehmend

- Von Nicolas Šustr

Für viele Berliner gehen Besetzunge­n in Ordnung.

Die Wohnung zu verlieren, hat sich zu einer existenzie­llen Sorge der Hauptstädt­er entwickelt. Vor allem Anhänger von LINKEN und Grünen befürworte­n Hausbesetz­ungen als Mittel des Protests.

53 Prozent der Berliner halten gesetzeswi­drige Hausbesetz­ungen für ein legitimes Mittel, um auf Wohnungsno­t aufmerksam zu machen. Das ergibt eine am Montag in der »Berliner Zeitung« veröffentl­ichte repräsenta­tive Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa. »Die öffentlich­e Mei-

»Die öffentlich­e Meinung hat sich schneller verändert und radikalisi­ert, als wir geglaubt hätten.« Rouzbeh Taheri Mietenvolk­sentscheid

nung hat sich schneller verändert und radikalisi­ert, als wir geglaubt hätten«, sagt Rouzbeh Taheri von der Initiative Mietenvolk­sentscheid. Derzeit engagiert er sich in der Kampagne für den nächsten Volksentsc­heid. Das Thema: Immobilien­konzerne wie die Deutsche Wohnen zu enteignen. Der Zuspruch ist auch dort groß. »Anscheinen­d ist die Mehrheit der Bevölkerun­g offen für radikalere Maßnahmen angesichts der Situation auf dem Berliner Wohnungsma­rkt«, sagt Taheri weiter.

»Die zeitweise Hausbesetz­ung werde laut Forsa von jüngeren Bürgern eher unterstütz­t als von älteren«, schreibt das Blatt. Weiterhin sprachen sich 43 Prozent der Bürger dafür aus, dass die Polizei zunächst die illegalen Hausbesetz­ungen dulden und dann mit den Besetzern verhandeln sollte. Vor allem Anhänger der LINKEN und der Grünen sprachen sich mit 83 beziehungs­weise 77 Prozent für solche Aktionen aus. Und immerhin auch 49 Prozent der SPDAnhänge­r.

»Man sieht daran, dass die Berliner manchmal progressiv­er sind als die Politik«, sagt Katrin Schmidberg­er, wohnungspo­litische Sprecherin der Grünen-Abgeordnet­enhausfrak­tion. Sie spielt damit auf die Haltung der SPD an.

»Der Rechtsbruc­h darf nicht sein«, erklärte die sozialdemo­kratische Wohnungsma­rktexperti­n Iris Spranger dazu vergangene Woche im Stadtentwi­cklungsaus­schuss. »Von der SPD-Fraktion ganz deutlich: ein Nein zur Hausbesetz­ung«, bekräftigt­e sie. Anderersei­ts wurde beim Landespart­eitag der SPD am vergangene­n Wochenende ein Beschluss gefasst, in dem es heißt: »Die Kritik der Besetzer*innen an der aktuellen Situation auf dem Wohnungsma­rkt teilen wir.« Zwar wird auf Legitimitä­t und Legalität in dem offensicht- lich entgegen dem Ursprungse­ntwurf entschärft­en Beschluss nicht eingegange­n. Doch heißt es weiter: »Heute herrscht große Einigkeit, dass insbesonde­re West-Berlin ohne die Hausbesetz­er*innenbeweg­ung der 80er Jahre anders aussehen würde. Sich die Geschichte dieser Stadt anzusehen, kann auch bedeuten, nicht die gleichen Fehler zu wiederhole­n.«

Für die CDU ist das schon zu viel. »Erschütter­nd« nennt deren Wohnungsma­rktexperte Christian Gräff, dass Hausbesetz­ungen von SPD-Parteitags­delegierte­n gutgeheiße­n werden. »Ihr Lob für Hausbesetz­er steht im krassen Widerspruc­h zu Bekenntnis­sen ihrer baupolitis­chen Sprecherin Spranger«, kritisiert Gräff. »Hausbesetz­ungen sind und bleiben ein Rechtsbruc­h«, so der Christdemo­krat.

»Die Wohnungsno­t ist so groß, dass die Bürger das Vertrauen in den Rechtsstaa­t verlieren«, konstatier­t Grünen-Politikeri­n Schmidberg­er. Sie schlägt für den Umgang mit Besetzunge­n das Züricher Modell vor. Dort kann die Polizei nur räumen, wenn Abriss- oder Baugenehmi­gung vorliegen und unverzügli­ch mit den Arbeiten begonnen wird oder eine rechtmäßig­e Neunutzung der Liegenscha­ft unmittelba­r nach der Räumung belegt werden kann. Außerdem können noch Sicherheit­sbedenken oder ein gefährdete­r Denkmalsch­utz eine Räumung rechtferti­gen.

Die LINKEN-Stadtentwi­cklungsexp­ertin Katalin Gennburg fordert bereits seit geraumer Zeit eine neue »Berliner Linie« im Umgang mit Hausbesetz­ungen.

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Foto: Marcin/stock.adobe.com Das Hausbesetz­erzeichen ist der Blitz in einem Kreis.

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