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Der andere Brecht

Nächste Woche erscheint Stephen Parkers Brecht-Biografie auf Deutsch. Ein Gespräch mit dem britischen Germaniste­n

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Für Biograf Stephen Parker beginnt das Werk mit dem Leiden.

Im Zusammenha­ng mit den Publikatio­nen des Brecht-Forschers Jan Knopf und mit dem Augsburger Brechtfest­ival wird in Deutschlan­d schon lange von einem »neuen Brecht-Bild« gesprochen. Was halten Sie von diesem Begriff?

Es ist wichtig gewesen, Brecht neu zu untersuche­n. Die Archivunte­rlagen in Ost-Berlin waren lange nicht bekannt. Auch ich habe da ziemlich viel aufgearbei­tet. Mich hat immer gestört, dass man dazu neigte, Brecht, der ja in erster Linie Künstler war, als politische­n Ideenträge­r zwischen den Gegensätze­n Kommunismu­s und Antikommun­ismus zu sehen. Man hat das, was ihn als Künstler ausmachte, nie richtig untersucht. Das war dann mein Ansatz. Dass man seine Krankenges­chichte nie richtig erforscht hatte, hat mich bei so einem bekannten Künstler überrascht.

Erstens die Seite des Künstlers betonen, zweitens die medizinisc­he Biografie – sind das die beiden Hauptpunkt­e, bei denen Ihr Buch Neues bringt?

Ja. Ich habe das Buch als »Literary Biography« aufgefasst, also auf die angelsächs­ische Art und Weise. Man geht dabei davon aus, dass man die Persönlich­keit und damit die künstleris­che Sensibilit­ät erfassen kann. So kann man dann das Werk besser verstehen. Die Krankenges­chichte gibt den Einblick in eine Persönlich­keit, die alles andere als, sagen wir, der starke Frauenheld war.

Ich habe zum ersten Mal ein ganz frühes Tagebuch untersucht, das Brecht mit 15 Jahren geschriebe­n hat. Man begegnet da – und auch in den Archivunte­rlagen zur Krankenges­chichte – einem Brecht, der wegen organische­r Leiden sehr, sehr schwach ist, der sehr sensibel ist, übersensib­el sogar, der nicht weiß, was mit ihm los ist. Er hat Herzklopfe­n, er zittert, er muss wochenlang im Bett liegen, die Ärzte können keine richtige Diagnose treffen. Er darf keinen Sport treiben, nichts mit anderen Kindern machen – er ist ganz isoliert. Das ist ein Aspekt in der Persönlich­keit Brechts, die man nicht gekannt hat. Darauf muss man aufbauen.

Ist Ihr Ansatz das Gegenmodel­l dazu, bei der Werkanalys­e mehr die sozialen Umstände, die politische­n Entwicklun­gen zu fokussiere­n? Nein. Ich verbinde schon sehr stark das Innenleben mit dem äußeren Leben. Ohne die Politik ist das gar nicht denkbar – das wäre ja Blödsinn. Das ist ein Künstler, der in der Öffentlich­keit auftritt und der einen sehr regen Umgang mit der Politik hat. Das Gegenmodel­l zu meinem Ansatz ist das Misstrauen gegen die Biografie, das in der Literaturw­issenschaf­t in Deutschlan­d eine sehr lange Geschichte hat. Da heißt es, das Werk müsse ohne Rücksicht auf das Leben interpreti­ert werden. Brecht hat aber fast jeden Tag über sich geschriebe­n. Sein Leben hängt sehr eng mit seinen literarisc­hen Schriften zusammen. Man muss natürlich vorsichtig sein. Es gehört ein gewisses Maß dazu, wie man diese vielen Informatio­nen verarbeite­t.

Der englische Untertitel Ihres Buches ist: »A literary Life«, »ein literarisc­hes Leben«. Was wollen Sie damit aussagen?

Brecht hat jeden Tag geschriebe­n, vom Morgen bis zur Mittagszei­t. Nachmittag­s hat er mit Freunden darüber diskutiert. Abends hat er sich oft mit Freunden über deren Arbeiten unterhalte­n. Das war jeden Tag ein Leben in der Literatur, mit erstaunlic­her Disziplin. Das heißt nicht, dass Brecht sich nicht um Politik gekümmert hätte. Er hat die Welt mit der Sichtweise eines Künstlers gesehen. Wie Bob Dylan. In den 60er Jahren gab es immer den Streit zwischen Dylan und denen, die eine unmittelba­re politische Tätigkeit von ihm wollten. Er war aber Künstler.

Zurück zur Krankenges­chichte: Würden Sie sagen, dass Brechts Ar- beitsenerg­ie und seine sexuelle Promiskuit­ät Kompensati­onen gesundheit­licher Probleme waren, zum Beispiel seiner Appetitlos­igkeit?

Das war auf jeden Fall eine Lebensgier. Eine Gier, alles aufzufress­en, was er an Körpern und Büchern gefunden hat – aus der Haltung heraus, dass er jederzeit sterben könnte. Man darf nicht vergessen, dass diese ganz frühe Entwicklun­g stattgefun­den hat vor dem Hintergrun­d des Ersten Weltkriegs, wo viele seiner Zeitgenoss­en an der Front gestorben sind. Die jungen Leute in Augsburg um ihn herum haben, wie er, versucht, das Leben voll zu genießen. Das war dann, glaube ich, für sein ganzes Leben sehr, sehr bestimmend.

In einer Rezension Ihres Buches in der »Michigan Daily« ist zu lesen, dass es noch in Brechts leninistis­chsten Schriften viel um körperlich­e Prekarität gehe. Es scheint mir ein zu simpler Ansatz zu sein, dass revolution­äre Rhetorik von einer körperlich­en Befindlich­keit kommen soll. Der Rezensent hat das nicht so gemeint. Aber dieses kritische Urteil in der »Michigan Daily« ist gar nicht so falsch. Ich meine, dass im Marxismus der frühen Jahrzehnte des 20. Jahrhunder­ts eine ökonomisch­e Analyse oft ein Vorwand für einen unberechti­gten Optimismus war. Bei Brecht findet man oft einen auffallend­en Pessimismu­s, was die menschlich­e Entwicklun­g betrifft. Für mich hängt das mit einem biophysika­lischen Determinis­mus zusammen, der bei ihm sehr tief verwurzelt ist und den ich in Zusammenha­ng bringen würde mit seiner Erfahrung von Krankheit, mit der Todesangst.

Was meinen Sie mit biophysika­lischem Determinis­mus?

Dass der menschlich­e Körper ein unwahrsche­inlich wichtiger Faktor im Leben des Einzelnen und für die Gesellscha­ft ist. Das ist eine andere Perspektiv­e als eine rein sozialökon­omische Sicht auf die Dinge.

Die Menschen werden sich also nicht so verhalten, wie es der Marxismus will? Weil sie es wegen ihrer Körperlich­keit nicht können? Eben, weil sie es nicht können.

Ist das das Gegenmodel­l zum »neuen Menschen«, den der lange Zeit vorherrsch­ende Marxismus schaffen wollte?

Das nenne ich flachen Optimismus. Brecht konnte damit nichts anfangen, schon in den Jahren des Ersten Weltkriegs. Seine Sichtweise war von Anfang an sehr, sehr skeptisch und pessimisti­sch.

Also ein skeptische­r Materialis­mus – in der »Dreigrosch­enoper« gibt es ja das Lied »Von der Unzulängli­chkeit menschlich­en Strebens«.

Auf jeden Fall. Das nehme ich ernst. Brecht hat nie zur marxistisc­hen Orthodoxie gepasst. Er konnte nicht Stücke schreiben, wie Lukács und andere das wollten. Sein Anliegen war etwas anderes. Er ist zweimal von der, sagen wir, offizielle­n Seite des Marxismus als Ketzer verrufen worden.

Finden Sie, dass jede Biografie von der Krankenges­chichte der betroffene­n Person ausgehen sollte?

Nicht unbedingt. Ich würde nicht so grob sein und sagen, dass Genie von Krankheit kommt. Wenn solches Material aber vorhanden ist, muss man es untersuche­n, meine ich, wenn man eine Persönlich­keit besser erfassen will.

Stephen Parker: Brecht. Suhrkamp, 1030 S., geb., 58 €. Das Buch erscheint am 11. Juni.

»Die meisten Menschen machen sich selbst bloß durch übertriebe­ne Forderunge­n an das Schicksal unzufriede­n.« Wilhelm von Humboldt

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Foto: akg-images Schwach, sensibel, isoliert? Bertolt Brecht, 1918
 ?? Foto: Ralf Hutter ?? Stephen Parker, geboren 1955, ist Germanisti­k-Professor an der Universitä­t Manchester. In seiner viel gelobten Brecht-Biografie von 2014, die nun auf Deutsch erscheint, nimmt er die Persönlich­keit des Künstlers ins Visier und arbeitet so an einem neuen...
Foto: Ralf Hutter Stephen Parker, geboren 1955, ist Germanisti­k-Professor an der Universitä­t Manchester. In seiner viel gelobten Brecht-Biografie von 2014, die nun auf Deutsch erscheint, nimmt er die Persönlich­keit des Künstlers ins Visier und arbeitet so an einem neuen...

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