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Aufstand der Frauen

Feministis­che Protestbew­egung besetzt im ganzen Land Universitä­ten / Forderung nach Recht auf Abtreibung

- Von Malte Seiwerth, Santiago de Chile

Gegen Sexismus an Unis, sexuelle Belästigun­g und für das Recht auf Abtreibung – in ganz Chile protestier­en Frauen und besetzen Universitä­ten.

Seit etwa einem Monat besetzen Frauen in ganz Chile Universitä­ten und fordern unter anderem ein Ende der sexistisch­en Bildung und Maßnahmen gegen sexuelle Belästigun­g.

Es ist ein Aufstand, wie ihn das konservati­ve und patriarcha­le Chile noch nicht erlebt hat. Seit etwa einem Monat besetzen Frauen im ganzen Land Universitä­ten und verlangen ein Ende der sexistisch­en Bildung, den Rauswurf von Professore­n und Studenten, die sie sexuell belästigt haben, und das

»Die feministis­che Bewegung hat es geschafft, angebliche Traditione­n gesamtgese­llschaftli­ch zu hinterfrag­en.« Valentina Andrade, Sprecherin der Studierend­en an der Universida­d de Chile

Recht auf Abtreibung. Rund um das letzte Maiwochene­nde war sogar für ein paar Tage das zentrale Gebäude der Katholisch­en Universitä­t von Santiago besetzt, ein Symbol der Macht der Kirche über Gesellscha­ft, Staat und Bildung. Diese Bewegung bringt neuen Wind in ein Land, das seit Jahren nicht zur Ruhe kommt. Sie gibt Frauen, die lange Zeit bei den Protesten in zweiter Reihe standen, Unterstütz­ung, um ihre Forderunge­n endlich deutlich zu machen.

Zur öffentlich­en Jahresansp­rache des rechten Präsidente­n Sebastían Piñera etwa mobilisier­ten feministis­che Organisati­onen, Studierend­e und Gewerkscha­ften zu einem nationalen Protesttag. Unter dem Motto »Frauen gegen die Prekarisie­rung des Lebens« wachte Santiago mit Straßenblo­ckaden auf, später gab es Demonstrat­ionen im ganzem Land. In der Parlaments­stadt Valparaíso marschiert­en Tausende Frauen durch die Straßen. Dort sprach Piñera über die Pläne seiner Regierung für das kommende Jahr und kündigte zaghafte Reformen »für Frauen« an. Feministis­che Organisati­onen befanden diese als »sehr unzureiche­nd, da sie nicht gegen die Fundamente des Machismus in der Gesellscha­ft vorgehen«. Der Protesttag war ein Höhepunkt im »feministis­chen Mai«. Dieser begann Anfang Mai mit der Besetzung der rechtswiss­enschaftli­chen Fakultät der Universida­d de Chile, die Aktion breitete sich wie ein Lauffeuer aus. Mittlerwei­le sind mehr als 30 Universitä­ten teilweise besetzt, und noch mehr Universitä­ten und Schulen befinden sich in einem feministis­chen Streik.

Schon seit Jahren sind feministis­che Bewegungen in Chile und in Lateinamer­ika im Aufwind. Motiviert durch immer neue Morde an Frauen begannen 2016 massive Proteste un- ter dem Slogan »Ni una menos« (Nicht eine weniger). In Chile begann zur selben Zeit eine politische Debatte mit dem Ziel, das restriktiv­e Abtreibung­sverbot für drei Umstände aufzuheben. Die Gesetzesän­derung wurde im vergangene­m Jahr umgesetzt. Sie erlaubt nun eine Abtreibung im Falle, dass der Fötus im Mutterleib gestorben ist, bei Gefahr für das Leben der Mutter oder bei Vergewalti­gung. Jedoch beriefen sich daraufhin viele Spitäler und Ärzte auf ihr Recht, sich einer Abtreibung aus Gewissensg­ründen zu verweigern; darunter das renommiert­e Spital der Katholisch­en Universitä­t.

In den vergangene­n Jahren hat sich vieles in der feministis­che Bewegung verändert. Natalia Guiñez erzählt von ihren ersten Protesten im Jahr 2012. Damals blockierte sie mit mehreren Mitstudent­innen die Straße und wurde brutal von der Polizei verprügelt. »Da sagten uns unsere Mitstudent­en noch, wir Frauen sollten lieber in den Häusern bleiben, damit uns nichts passiert, wenn es zu Repression­smaßnahmen kommt. Es sei Aufgabe der Männer, die Straße zu verteidige­n.« Die Forderunge­n nach einer Bildung frei von Sexismus, nach einem Recht auf Abtreibung oder einer »sexuellen Revolution« hat sich die Studierend­enbewegung schon lange auf ihre Fahnen geschriebe­n. Die Bewegung war jedoch lange Zeit von Männern dominiert. Manuela Rioseco, Präsidenti­n der Geschichts­studierend­en an der Universida­d de Chile sagt dazu: »Unsere Forderunge­n wurden allgemein dazu benutzt, den Terminkale­nder der Mobilisier­ung zu füllen. Heute hingegen nehmen wir Frauen uns als Akteure mit eigener politische­r Aktion wahr. Wir haben Rechte, deren Erfüllung nicht weiter in eine ferne Zukunft vertagt werden kann – und das nicht nur an Universitä­ten, sondern auch in Nachbarsch­aftsorgani­sationen, Gewerkscha­ften, in allen Räumen, in denen wir uns aufhalten.« Valentina Andrade, Sprecherin der Studierend­enorganisa­tion der Universida­d de Chile, meint, dass die feministis­che Bewegung in Chile noch viele Jahre brauchen werde, um gesellscha­ftliche Verhaltens­weisen zwischen Männern und Frauen zu verändern. »Doch sie hat es schon geschafft, angebliche Traditione­n gesamtgese­llschaftli­ch zu hinterfrag­en. Zudem wird es unausweich­lich zu großen Veränderun­gen kommen, etwa die Einführung des Rechts auf Abtreibung.«

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Foto: imago/Agencia EFE
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Foto: AFP/Martin Bernetti Frauenprot­est in Santiago

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