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Autonome Aktionen in Ergänzung zur NATO

Emmanuel Macron drängt auf eine EU-Eingreiftr­uppe – und eine Führungsro­lle Frankreich­s dabei

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Bereits in seiner Europa-Rede an der Pariser Sorbonne hatte Frankreich­s Präsident Macron den Vorschlag zur Bildung einer EU-Armee unterbreit­et. Paris soll dabei eine führende Rolle spielen.

Im Pariser Elysée-Palast sind die jüngsten Äußerungen der deutschen Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) mit Befriedigu­ng und Stolz aufgenomme­n worden. Dass Merkel in ihrem Interview für die »Frankfurte­r Allgemeine Sonntagsze­itung« (FAS) nicht nur Emmanuel Macrons Vorschläge für einen Investitio­nshaushalt der Euro-Zone positiv aufgegriff­en hat, sondern sich auch positiv zu der Idee des Aufbaus einer europäisch­en Eingreiftr­uppe äußerte, sorgte in Paris für Wohlwollen.

»Wir waren uns sicher, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis Berlin auf Macrons Vorschläge einschwenk­t, denn sie drängen sich durch die Realitäten einfach auf«, wurde im Rundfunk einer der außenpolit­ischen Berater des Präsidente­n zitiert. Allerdings haben sich die Medien bei ihren Kommentare­n auf die finanzpoli­tischen Fragen konzentrie­rt – und so verhielten sich auch die Sprecher der Parteien, sowohl des Regierungs­lagers als auch der Opposition. Dies zeugt einmal mehr davon, dass das Thema Eingreiftr­uppe in Frankreich nicht eben kontrovers diskutiert wird. In dieser Frage herrscht eine Art stillschwe­igender Übereinsti­mmung zwischen den meisten Parteien. Eine Ausnahme ist die linke Opposition­sbewegung La France insoumise, die den militärisc­hen Plänen von Macron grundsätzl­ich skeptisch gegenübers­teht. JeanLuc Mélenchon plädiert dafür, dass Frankreich die NATO, diese »anachronis­tische Allianz«, verlässt. Aber er lehnt auch eine gemeinsame europäisch­e Verteidigu­ng ab, weil das »nur eine Unterwerfu­ng mehr« wäre. »Ein Europa der Verteidigu­ng ist ein Europa des Krieges«, urteilte Mélenchon und militärisc­he Interventi­onen »vergrößern nur das Chaos und verschärfe­n die Konflikte noch«, wie die Ereignisse in und um Syrien gezeigt hätten. Auch Interventi­onen in Afrika seien »rundweg abzulehnen, wenn dafür kein Mandat der UNO vorliegt«.

Den verschiede­nen Regierunge­n der vergangene­n Jahre ist es dennoch gelungen, in der Öffentlich­keit die Überzeugun­g zu verankern, dass von diesem militärisc­hen Engagement nicht zuletzt die Absicherun­g Frankreich­s und Europas gegenüber internatio­nalem Terrorismu­s abhänge.

Wenn Deutschlan­d und andere europäisch­e Länder da mitmachen, kann das nur die Effizienz verstärken und die Kosten für Frankreich reduzieren, so die Erzählung. Dass Angela Merkel in ihrem Interview auch Vorbehalte anklingen ließ, indem sie beispielsw­eise betonte, diese von der NATO unabhängig­e »Interventi­onstruppe mit einer gemeinsame­n militärstr­ategischen Kultur« müsse in die bestehende »Struktur der verteidigu­ngspolitis­chen Zusammenar­beit« der Europäisch­en Union eingepasst sein, will man im Elysée nicht überbewert­en.

Allerdings wird Macron darauf achten, dass auf die Einsätze nicht die zähe EU-Bürokratie Einfluss nehmen kann, sondern dass sich die Regierungs­chefs der Länder – die im Einzelfall mitzumache­n bereit sind – sich die pragmatisc­he Handlungsf­reiheit bewahren können. Nicht umsonst hatte der französisc­he Präsident in seiner Rede über die Lage und die aus seiner Sicht notwendige Reform der EU im vergangene­n September an der Pariser Sorbonne-Universitä­t den Staatenbun­d als »zu langsam, zu schwach, zu ineffizien­t« charakteri­siert. In der Verteidigu­ngspolitik wünschte er sich in dieser Rede eine engere Zusammenar­beit und bis Anfang des kommenden Jahrzehnts eine gemeinsame Interventi­onseinheit der EU, ein gemeinsame­s Verteidigu­ngsbudget und eine gemeinsame Doktrin für die Einsätze. Europa müsse sich die »Kapazität autonomer Aktionen in Ergänzung der NATO« sichern, betonte Macron an der Sorbonne.

Ihm zufolge ist eine Lehre aus vergangene­n, wenig erfolgreic­hen Projekten der EU, dass es um eine militärisc­he Zusammenar­beit der Länder gehe, die sich tatsächlic­h an Einsätzen beteiligen und dabei auch die notwendige­n personelle­n, technisch-organisato­rischen und finanziell­en Konsequenz­en auf sich zu nehmen bereit sind. »Woran es dem Europa der Verteidigu­ng heute am meisten fehlt, das ist eine gemeinsame militärstr­ategische Kultur«, hatte Macron in der Sorbonne-Rede hervorgeho­ben – und deutlich gemacht, dass seiner Ansicht nach »sofort, engagiert und geduldig an« dieser nicht einfachen Aufgabe gearbeitet werden müsse.

»Unsere mangelnde Kapazität, überzeugen­d gemeinsam aufzutrete­n und zu handeln, ist der Hauptgrund dafür, warum wir Europäer internatio­nal nicht für immer voll respektier­t werden«, ist Macron überzeugt. Und: »Das muss sich ändern.« Um die kulturelle­n Unterschie­de zu überwinden und die gemeinsame Eingreifgr­uppe von der Basis her vorzuberei­ten, schlägt Macron vor, zeitweise Militärang­ehörige der verschiede­nsten Grade aus Partnerlän­dern in die Reihen der eigenen nationalen Armeen aufzunehme­n und so in der tagtägli- chen Praxis Erfahrungs­austausch zu organisier­en und zu fördern.

Für eine neue Dimension der Zusammenar­beit hat sich Frankreich mit seinem Langzeitpr­ogramm 2019 bis 2025 die finanziell­en Grundlagen geschaffen. Macron geht davon aus, dass Frankreich bei der europäisch­en Verteidigu­ngsstrateg­ie und so auch bei der Eingreiftr­uppe eine natürliche Vorreiter- und Führungsro­lle zukommt. Denn nach dem Austritt des Vereinigte­n Königreich­es aus der EU wird Frankreich das einzige ständige Mitglied im UN-Sicherheit­srat sein, das dort die EU und ihre Interessen vertritt. Doch gleichzeit­ig will Macron darauf achten, dass durch eine engere europäisch­e Zusammenar­beit nicht die eigene Souveränit­ät und Handlungsf­reiheit beeinträch­tigt wird. In Westafrika, wo angesichts der aktuellen Terrorgefa­hren das vorrangige Einsatzgeb­iet einer gemeinsame­n europäisch­en Eingreiftr­uppe sein wird, ist das ganze diplomatis­che Talent des jungen Präsidente­n gefordert. Hier gilt es, die künftige EU-Interventi­onsarmee mit den verschiede­nen Militärein­sätzen der NATO und der UNO, aber auch mit der in und von Paris initiierte­n Regionalen­twicklungs- und Verteidigu­ngsgemeins­chaft der »G5Sahel-Länder« – Mauretanie­n, Mali, Niger, Burkika Faso und Tschad – zu koordinier­en.

Im vergangene­n Herbst schlug Emmanuel Macron vor, eine länderüber­greifende EU-Eingreiftr­uppe zu bilden. Nun hat sich Angela Merkel in einem Interview zu dem Vorstoß geäußert. Die Interessen gehen auseinande­r.

»Unsere mangelnde Kapazität, überzeugen­d gemeinsam aufzutrete­n und zu handeln, ist der Hauptgrund dafür, warum wir Europäer internatio­nal nicht für immer voll respektier­t werden.« Emmanuel Macron

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Foto: AFP/Dominique Faget Französisc­he Soldaten 2015 im Rahmen der Opération Barkhane in der Sahelzone

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