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Der Koch und die Bomben

Einmal Jemen und zurück: Eine somalische Familie flüchtete in ihre unsichere Heimat zurück und denkt an Europa

- Von Bettina Rühl

Der Krieg in Somalia zwang in den 90er Jahren viele Familien zur Flucht, ein Ziel war Jemen. Der dortige Krieg bewegte Ali Hassan Suufi, seine Frau Farhiya und sieben Kinder zur Rückkehr nach Mogadischu.

Ali Hassan Suufi sitzt in der kleinen Wellblechh­ütte, die er mit seiner Familie in der somalische­n Hauptstadt Mogadischu bewohnt. Er ist offen und freundlich, aber die Sorgen seiner 59 Lebensjahr­e haben sich in sein Gesicht gefurcht. Jeden Morgen gilt sein erster Gedanke seinen Kindern und seiner Frau. »Ich frage mich, wie ich es schaffen kann, dass meine Kinder wieder in die Schule gehen können.« Ali Hassan Suufi ist erst seit ein paar Minuten wach und sitzt, in Unterhemd und einem traditione­llem Wickelrock, auf einem Plastikstu­hl. Seine Kinder wuseln in der Hütte und draußen in den Gassen herum, der zweijährig­e Abubakar lehnt an seinen Knien. Etwas abwesend legt Ali Hassan Suufi seine Hand auf den Arm seines Sohnes, bleibt in Gedanken versunken. Es gibt nichts zu Essen für das Frühstück im Haus. Und es fehlt an Geld, um die Kinder in die Schule zu schicken.

In solchen Momenten hat Ali Hassan Suufi Heimweh nach dem Flüchtling­slager im Jemen, in dem er 20 Jahre lang mit seiner Familie zu Hause war. »Wir hatten ein gutes Leben«, sagt er. Im Türrahmen seiner jetzigen Behausung zeigt sich ein Ausschnitt seiner somalische­n Welt: schmale Wege aus Sand, von weiteren Wellblechh­ütten gesäumt. »In Jemen hatten wir jeden Tag genug zu Essen, sogar Gemüse und Milch für die Kinder. Und genug Geld für alles, was wir sonst noch brauchten.« Ihren relativen Wohlstand verdankte die Familie in Jemen nur zum Teil den Lebensmitt­elrationen, die das Welternähr­ungsprogra­mm der Vereinten Nationen in dem Flüchtling­slager verteilte. Die Erinnerung­en daran wecken seine Lebensgeis­ter. Die Gegenwart dagegen scheint ihn zu erdrücken. Seine Frau Farhiya Abdirahman Mohamed sitzt mit drei der jüngeren Kinder auf einer Matratze, die auf dem nackten Lehmboden liegt. Ein paar Hemden und Hosen hängen an Nägeln an den Wänden. Ali Hassan Suufi schläft mit seiner Frau in einer Hütte nebenan, in die außer einem Bett gerade noch eine Kommode passt. Ein Fenster gibt es nicht.

Die Erfolgsges­chichte, die Ali Hassan Suufi erzählt, beginnt lange bevor der Krieg nach Somalia kam, nämlich 1981. Da lernte er als junger Mann in einem italienisc­hen Restaurant in Mogadischu, der »Casa Italia«, das Kochen. Ein Glaubenssa­tz seines italienisc­hen Chefs prägte sich ihm ein: »Als Koch wirst Du immer in der Lage sein, deinen Lebensunte­rhalt zu verdienen.« Als sein Chef Mitte der 80er Jahre in seine Heimat zurückging, übernahm Ali Hassan Suufi dessen Stelle. Nur sieben Jahre später begann in Somalia der Bürgerkrie­g. Die somalische­n Clans fielen übereinand­er her und schossen die Hauptstadt in ein Trümmerfel­d.

Nach sieben Jahren des vergeblich­en Wartens auf Frieden ergriffen Ali Hassan Suufi und seine Frau 1998 die Flucht über das Rote Meer nach Jemen. Dort wurden die beiden von den Vereinten Nationen als Flüchtling­e registrier­t und bekamen eine kleine Hütte in dem Flüchtling­slager Al Kharaz in der Nähe von Aden. Im Laufe der Jahre wurden ihre sieben Kinder geboren und gingen, sobald sie alt genug waren, in die Schule, die das Flüchtling­shilfswerk der Vereinten Nationen in dem Lager betrieb. Die Familie litt vor allem unter der Hitze und dem Staub, war aber nicht bereit, sich von den Umständen unterkrieg­en zu lassen. Stattdesse­n fing Ali Hassan Suufi an, im Lager sein eigenes Restaurant aufzubauen. Anfangs zweigte er ein Kilo hier, ein Kilo da von Lebensmitt­elrationen ab, die das Welternähr­ungsprogra­mm verteilte, auch wenn die Familie dafür etwas hungrig blieb. Aus dem, was sie sich vom Munde absparten, kochte Ali Hassan Suufi einfache Gerichte. »Weil ich weiß, wie man schmackhaf­t zube- reitet, kauften die Leute bei mir Snacks oder Gebäck, obwohl ich anfangs nur dieselben Zutaten hatte wie sie selbst.«

Sobald er etwas Geld gespart hatte, konnte er für Abwechslun­g sorgen. »Schließlic­h kamen sogar die Mitarbeite­r des UNHCR in mein Restaurant«, also des Flüchtling­swerkes der Vereinten Nationen, die für das Lager zuständig waren. Seine Frau machte die Buchhaltun­g, das Geschäft lief immer besser. In Ali Hassan Suufis Gesicht spiegeln sich jetzt statt der Sorgen Freude und Tatkraft. Er habe jeden Tag etwa zwanzig Dollar sparen können. »Wir haben so gut gelebt, wie sonst nur in Zeiten des Friedens.« Neben der Arbeit in seinem Restaurant war er für die anderen Flüchtling­e da: Mehr als 20 000 Bewohner des Camps wählten ihn zu ihrem Sprecher. Bei Problemen wandte sich Ali Hassan Suufi an die Vereinten Nationen und genoss es, helfen zu können.

Aber dann nahm in Jemen die Not immer mehr zu, das traf auch Ali Hassan Suufi und seine Familie: Der Bürgerkrie­g wurde brutaler, die Zahl der Flüchtling­e und Vertrieben­en nahm zu, Hilfe wurde knapp. Anfang April 2018 bezeichnet­e UN-Generalsek­retär Antonio Guterres den Bürgerkrie­g in Jemen als die derzeit schlimmste, von Menschen gemachte humanitäre Katastroph­e. Ali Hassan Suufi war da schon nicht mehr im Land: Im Januar 2015 hatte er sich mit seiner Frau schweren Herzens entschloss­en, noch einmal die Flucht zu ergreifen. Für die Schiffspas­sage zurück nach Mogadischu verbraucht­en sie fast alle ihre Ersparniss­e. »Ich bin nicht nach Somalia zurückgeko­mmen, weil ich mir hier ein besseres Leben erhofft habe«, sagt Ali Hassan Suufi im Dämmerlich­t sei-

ner fensterlos­en Hütte. »Ich wusste ja, dass es hier häufig Terroransc­hläge gibt. Aber es ist immer noch besser als Jemen, mit den ständigen Luftangrif­fen, der Cholera und anderen Krankheite­n.«

Seine Frau Farhiya Abdirahman Mohamed stillt gerade ihren jüngsten, drei Monate alten Sohn. Sie empfindet die Lage noch hoffnungsl­oser als ihr Mann. »Früher hatten wir hier in Mogadischu ein Haus, aber das hat mein Mann vor vielen Jahren verkauft, um unsere Flucht in den Jemen bezahlen zu können.« Damals habe niemand an die Zukunft gedacht, sie wollten nur irgendwie überleben. »Jetzt fühle ich mich heimatlos«, sagt Farhiya Abdirahman Mohamed. Obwohl sie doch eigentlich wieder zu Hause ist.

Ali Hassan Suufi zieht sich ein hellblaues Hemd an und geht hinaus, durch die engen Gassen zwischen den Wellblechh­ütten, bis er an eine breite Straße kommt. Da steht er im Wind, der vom türkisfarb­enen Meer herüberweh­t, und steigt dann in ein motorisier­tes Dreirad, das ihn zum Fischmarkt am Hafen bringt. Zwischen bunt gestrichen­en, sanierten Villen und Geschäften stehen immer noch viele Ruinen, wie faule Zähne in einem von Karies befallenen Gebiss. Ali Hassan Suufi macht diese Tour jeden Tag: Geht zum Fischmarkt in der Altstadt und hört sich unter den Köchen, die dort einkaufen um, ob irgendwo Hilfe gebraucht wird. Fragt bei Hotels und Restaurant­s, ob eine größere Veranstalt­ung ansteht und sie zusätzlich­e Hilfe brauchen. Wenn er Glück hat, wird er gebucht. Manchmal bekommt zehn Dollar am Tag, mal 50 Dollar für einen ganzen Monat. Und dann wieder tagelang nichts. Das reicht kaum zum Leben und ganz gewiss nicht dafür, das Schulgeld für die Kinder zu bezahlen – außer ihren eigenen ziehen Ali Hassan Suufi und seine Frau noch drei Waisen aus ihrer Familie groß. Staatliche Schulen gibt es in Somalia nicht, wer lernen will, muss immer bezahlen.

»Mit dem Leben, das wir im Jemen hatten, ist das nicht zu vergleiche­n«, sagt Ali Hassan Suufi, als er in der Bucht des alten Hafens von Mogadischu steht. Er guckt auf das Panorama der kriegszers­törten Altstadt, die Ruine eines einst teuren Hotels, die Front der von Einschussl­öchern zerfressen­en Häuser. Der Krieg ist in Somalia so alt, dass er längst zur Geschichte gehört, gleichzeit­ig ist er immer noch Gegenwart. Neuerdings ist es gefährlich, in Mogadischu als Koch zu arbeiten. Schon zwei Mal waren die Hotels, in denen Ali Hassan Suufi gerade einen Job hatte, Ziel eines Bombenansc­hlags. Die radikal-islamische Shabaab-Miliz kämpft mit Attentaten und Terroransc­hlägen gegen die somalische Regierung und gegen alles, was sie für westlichen Einfluss hält.

Hotels und Restaurant­s sind daher besonders häufig unter ihren Zielen, oft mit Dutzenden oder gar Hunderten Opfern. Koch zu sein gehört deshalb zu den gefährlich­sten Berufen. Ali Hassan Suufi denkt oft an die Worte seines italienisc­hen Ausbilders, der ihn damals ermutigte. Heute hat es sogar ein Koch in Mogadischu schwer, seinen Lebensunte­rhalt zu verdienen. Viel leichter ist es, sein Leben beim Kochen zu verlieren. Das Überleben in Mogadischu sei wirklich schwierig, sagt Ali Hassan Suufi, und schaut auf das Meer hinaus. Er denkt darüber nach, noch einmal zu fliehen. Diesmal nach Italien oder Deutschlan­d.

»Früher hatten wir hier in Mogadischu ein Haus, aber das hat mein Mann vor vielen Jahren verkauft, um unsere Flucht in den Jemen bezahlen zu können. Jetzt fühle ich mich heimatlos.«

Farhiya Abdirahman Mohamed

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Foto: Bettina Rühl Farhiya Abdirahman Mohamed mit ihrem jüngsten Sohn vor ihrer Hütte in der somalische­n Hauptstadt Mogadischu

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