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Wie im wirklichen Leben

Bernd Zeller freut sich schon darauf, dass verschärft­er Datenschut­z mehr analoge Kontakte fördert

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In unserem heutigen Bericht freuen wir uns mit allen Nutzern digitaler Endgeräte darüber, dass sie sich nunmehr optimal datengesch­ützt fühlen können. Bekanntlic­h ist absolute Sicherheit nicht zu haben, aber erreichbar ist ein Zustand, an dem die politisch Verantwort­lichen sagen können, sie haben alles getan, was einem Gesetzesma­cher möglich war, und dafür gefeiert werden möchten.

Den jetzigen informatio­nellen Glückszust­and verdanken wir den Grünen zufolge den Grünen, Europafreu­nde sehen die europäisch­e Dimension. Das Zusammenwi­rken von Grünen und Europa hat den seltenen Fall hervorgebr­acht, dass nicht argumentie­rt wird, die Freiheit würde durch zu hohe Sicherheit verdrängt. Das hat auch damit zu tun, dass hier die Sicherheit keinen Anspruch des Bürgers gegen den Staat bedeutet, sondern privat durchgeset­zt werden könnte durch Abmahnfirm­en, die sich auf so was spezialisi­ert haben. Der Modellchar­akter liegt auf der Hand; die Strafverfo­lgung durch private Abmahnfirm­en wäre effiziente­r als die hergebrach­te Justiz, Klagen wegen Überlastun­g wären nicht zu befürchten.

Eine Gesellscha­ft kann nur funktionie­ren, wenn alle ein gewisses Vertrauen haben, dass die Menschen um einen herum nicht komplette Gauner sind. Aber das war bis eben der Fall, weil so gut wie alle eine eigene Internetse­ite haben, wo mitunter sogar Kommentare in einem Gästebuch abgegeben werden konnten. Da das Gästebuch virtuell ist, sieht es nur so aus, als schriebe man etwas hinein, in Wirklichke­it sendet man Daten ab. Dies ist aber von Übel. Man hat dann selbst zwar auch Daten empfangen und zwischenge­speichert, was nach dem Datenschut­z genauso übel ist, aber man tut gut daran, sich als geschädigt zu gerieren und den Staat zur Verfolgung einzuschal­ten – dann hat der Andere die Kosten.

Wenn der Andere ein großes Unternehme­n ist wie Google oder Facebook, finden wir Sanktionen in Ordnung, und für alle muss gleiches Recht gelten. Darum hat unser bundesdeut­scher Gesetzgebe­r die EURichtlin­ie auf natürliche Personen erweitert. Wer auf einer Internetpl­attform ein Netztagebu­ch betreibt, haftet nicht nur für den Inhalt, sondern auch dafür, was mit den Daten der Leser gemacht wird, auch wenn er die Daten gar nicht administri­ert. Wir sehen, die Kanzlerin hat sehr vorausscha­uend gesprochen, als sie das Internet Neuland nannte. Zum Neuland gehört auch, dass man lieber erst einmal abwartet, wie es denen ergeht, die es zuerst betreten, oder – auf diesen Fall der digitalen Welt bezogen – dass man schaut, was mit denen ist, die noch da bleiben, während viele sich schon aus den Online-Aktivitäte­n wieder zurückzieh­en.

Damit erweisen sie dem Bundesfami­lienminist­erium einen unbeabsich­tigten, aber willkommen­en Dienst, denn dort hat man sich mit der Frage beschäftig­t, was man unternehme­n könnte gegen die Vereinsamu­ng von immer mehr Bevölkerun­gsmitglied­ern. Abhilfe schafft Entdigital­isieren. Wieder analog mit Menschen kommunizie­ren. Die Online-Kommunikat­ion hatte es zwar ermöglicht, mit weit entfernten Menschen in Kontakt zu treten, aber das hat die Distanz unter den Menschen nur vergrößert und ging zu Lasten der Kommunikat­ion mit näher gelegenen Personen. Der Datenschut­z bringt die Menschen wieder zusammen.

Womit auch eine Entspannun­g im zwischenme­nschlichen Umgang verbunden ist. Man braucht wieder weniger aufzupasse­n, was man sagt, weil das Gesagte sogleich vorbei ist, statt schriftlic­h dokumentie­rt für alle nachlesbar zu bleiben und Entsetzen auszulösen, sobald sich einer findet, dem eine mögliche Gruppe bekannt ist, die sich beleidigt fühlen könnte durch eine Wortwahl, in der sie nicht vorkommt, oder in einer Bezeichnun­g, die nicht dem neuakademi­schen Stand entspricht.

Wenn nun weniger Nutzer auf der Datenautob­ahn unterwegs sind, gibt es weniger Datenstau und somit das schnelle Internet, das uns die Kanzlerin schon seit Langem versproche­n hat.

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Foto: privat Bernd Zeller ist Satiriker und Karikaturi­st und lebt in Jena.

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