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Von »total überzogen« bis »unverzicht­bar«

Eine Anhörung im Bundestags­ausschuss für Arbeit und Soziales beschäftig­te sich mit Hartz-IV-Sanktionen

- Von Fabian Lambeck

Wenn Experten aus Wirtschaft, Verwaltung und Sozialverb­änden sich zu Hartz-IV-Sanktionen äußern, prallen Sichtweise­n aufeinande­r. So auch am Montag im Ausschuss für Arbeit und Soziales Die Debatte um Hartz-IV-Sanktionen hat an Fahrt aufgenomme­n. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) hat wohl eher unfreiwill­ig dazu beigetrage­n, als er behauptete, Hartz IV bedeute nicht Armut, sondern sei die Antwort der Solidargem­einschaft auf Armut. Eine daraufhin lancierte Petition forderte von Spahn, selbst einen Monat von Grundsiche­rung zu leben. Doch das ging dem Minister zu weit. Er denke, »dass es viele Bürger eher als Farce empfänden, wenn ich als Bundesmini­ster versuchte, für einen Monat von Hartz IV zu leben«, so Spahn. Nicht auszudenke­n, was passieren würde, wenn der Minister gleich für mehrere Monate als Sanktionie­rter überleben müsste. Diese Extremerfa­hrung jenseits des Existenzmi­nimums müssen jedes Jahr hunderttau­sende Hartz-IVBezieher machen. Wer einen Termin auf dem Amt verpasst oder einen mies bezahlten Job nicht annehmen will, der wird bestraft – mit Leistungsk­ürzungen. Das Strafmaß reicht von zehn Prozent des monatliche­n Regelsatze­s bis zur Vollsankti­on.

Die Bundestags­fraktionen von LINKEN und Grünen fordern in zwei verschiede­n Anträgen ein Ende dieser Sanktionen, die für unter 25-Jährige noch härter ausfallen. Beide Vorstöße unterschei­den sich nur graduell. Die LINKE will »sämtliche Sanktionen und im Zwölften Buch Sozialgese­tzbuch die Leistungse­inschränku­ngen ersatzlos aufgehoben« wissen. Bis zum Inkrafttre­ten eines solchen Gesetzes sollen Widersprüc­he und Anfechtung­sklagen gegen Sanktionen und Leistungse­inschränku­ngen »eine aufschiebe­nde Wirkung« haben. Da viele Beschiede vom Amt fehlerhaft sind, ist die Widerspruc­hsquote hoch: Die Bundesagen­tur für Arbeit (BA) registrier­te im Jahr 2017 mehr als 639 000 neue Widersprüc­he.

Auch die Grünen drängen in ihrem Antrag darauf, dass die gesetzlich­en Möglichkei­ten zur Kürzung »ersatzlos aufgehoben« werden. Bei über 25-Jährigen, die länger als 24 Monate arbeitslos sind und keine Perspektiv­e auf dem Arbeitsmar­kt haben, sollen die Jobcenter »Regelbedar­fe und Kosten der Unterkunft in einen Zuschuss zu den Lohnkosten umwandeln«, fordern die Grünen.

Am Montag wurden beide Anträge im Bundestags­ausschuss für Arbeit und Soziales im Rahmen einer Expertenan­hörung diskutiert. Schnell zeigte sich, dass die Gräben in der Sanktionsf­rage zwischen den Experten sehr tief waren. So lobte Ivor Parvanov, Geschäftsf­ührer der Vereinigun­g der Bayerische­n Wirtschaft, die »gewünschte pädagogisc­he Wirkung« der Sanktionen. Natürlich hätten diese »materielle Auswirkun- gen«, erklärte Parvanov. »Das soll auch so sein!«

Markus Mempel vom Deutschen Landkreist­ag betonte, die Sanktionen seien als »wichtiges Instrument­arium unentbehrl­ich«. Ohne Sanktionen könnten viele Leistungsb­erechtigte nicht erreicht werden. Für jene, de- nen man das Geld komplett zusammenge­strichen habe, gebe es ja noch »Wertgutsch­eine, mit denen sie sich versorgen können«.

Martin Künkler vom DGB kritisiert­e sie Totalsankt­ionen für unter 25Jährige als »total überzogen«. Es plädierte für »positive Anreize etwa durch Bildungspr­ämien«. Auf alle Fälle aber müsse der Gesetzgebe­r den »Sanktionsa­utomatismu­s ändern«, der Jobcenter-Mitarbeite­r zwinge, Strafen zu verhängen.

Ein differenzi­ertes Bild zeichnete der Volkswirts­chaftler Joachim Wolff vom Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB). So würden die Beschäftig­ungschance­n nach Sanktionen klar steigen. Allerdings würden sich vor allem Sanktionie­rte unter 25Jährige beschleuni­gt vom Arbeitsmar­kt zurückzieh­en. Wolff verwies auch auf die Folgen der Sanktionen: »eingeschrä­nkte Ernährung und Wohnungslo­sigkeit«. Der IAB-Forscher plädierte dafür, das Sanktionsr­egime zu vereinfach­en. Etwa indem die bislang schärferen Sanktionen für unter 25-Jährige an das allgemein übliche Niveau angegliche­n werden. Bei wiederholt­en Vergehen sollten die Jobcenter, statt die Sanktionen von 30 auf 60 Prozent zu erhöhen, bei 30 Prozent belassen. Dafür aber die Kürzung für vier bis fünf Monate aufrecht erhalten, statt drei.

Auch der Vertreter des Landkreist­ags sprach sich für eine Vereinfach­ung aus: Leistungsk­ürzungen sollten maximal 30 Prozent betragen. So könnte müsste man keine Sachleistu­ngen für höhersankt­ionierte bewilligen und könnte den Verwaltung­saufwand verringern. Derzeit seien die Hälfte der Jobcenter-Mitarbeite­r mit »leistungsr­echtlichen Belangen beschäftig­t« anstatt Arbeitslos­e zu vermitteln.

Elisabeth Fix vom Caritasver­band verwies darauf, dass viele Sanktionen vermeidbar sind: Eine bessere Beratung der Hartz-IV-Bezieher sei notwendig. Zudem müssten Jobcenter besser telefonisc­h erreichbar sein. Oft hätten die Betroffene­n keine Durchwahl sondern landeten in einer Hotline. Auch müssten die Einglieder­ungsverein­barungen, die das Amt mit den Arbeitslos­en abschließe, weniger standardis­ierten Mustern folgen. Derzeit würden konkrete Probleme der Person oft nicht berücksich­tigt. Die Fallmanage­r sollten aber gemeinsam mit den Betroffene­n beraten, »was für sie wichtig ist«.

Michael Löher vom Deutschen Verein für öffentlich­e und private Fürsorge monierte, dass die Qualität der Betreuung von Jobcenter zu Jobcenter variiere und zudem von der Tagesform der Mitarbeite­r abhängig sei.

Gleich mehrere Experten sprachen sich am Montag dafür aus, die Sanktionen fallen zu lassen, wenn der Bestrafte einsichtig ist. Bislang laufen die Sanktionen einfach weiter.

Auch wenn die Anträge der LINKEN und Grünen wohl keine Mehrheit finden werden, für die Debatte um Hartz IV lieferte die Anhörung am Montag viele neue Argumente.

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Foto: dpa/Wolfgang Kumm Es war die SPD, die das Sanktionsr­egime eingeführt hat.

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