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Werkschlie­ßung nach Tod von Aktivisten

Südindien: Schließung des Sterlite-Standortes ist ein Erfolg für die indische Umweltbewe­gung und die Bewohner

- Von Gilbert Kolonko

Eine Abkehr von Narendra Modis Maxime Wachstum um jeden Preis ist zwar nicht zu erwarten, doch die plötzliche Stilllegun­g des SterliteKu­pferwerks zeigt, dass Umweltprot­este etwas bewirken.

Am Abend des 22. Mai war im Küstenort Thoothukud­i alles wie oft nach Umweltprot­esten in Indien: Wieder hatten 30 000 Menschen vergeblich für die Schließung des Sterlite-Kupferwerk­s demonstrie­rt, das seit 21 Jahren Luft und Grundwasse­r verschmutz. Elf Demonstran­ten waren tot – darunter eine 17-jährige Schülerin, die von einer Kugel in den Mund getroffen wurde. Zwei Protestler starben Tage später an ihren Schussverl­etzungen.

Der Ministerpr­äsident des Bundesstaa­tes Tamil Nadu, Edappadi K. Palaniswam­i, machte die Opposition für die gewalttäti­gen Demonstrat­ionen und die Toten verantwort­lich. Der Besitzer von Sterlite, der britische Konzern Vedanta, bekräftigt­e seinen Entschluss, die Produktion der Kupfermine zu verdoppeln. Doch obwohl Indien im Pressefrei­heitsindex mittlerwei­le auf Platz 138 abgerutsch­t ist, kamen jeden Tag neue Einzelheit­en ans Licht: Fernsehbil­der zeigten, wie Scharfschü­tzen unbedroht und ohne jede Warnung von den Dächern der Polizeiwag­en in die Menge schossen. Andere Bilder, wie Polizisten, die mit Bambusstöc­ken einen Verwundete­n anstoßen, ihn auffordern, die Schauspiel­erei sein zu lassen und aufzustehe­n: Kurz darauf verstarb der junge Mann an seiner Schussverl­etzung.

Nicht nur Umweltschü­tzer warfen den Verantwort­lichen in Tamil Nadu Staatsterr­orismus vor, sondern auch Rahul Ghandi, der Vorsitzend­e der Kongresspa­rtei. Obwohl der junge Opposition­sführer als moderat und wenig wirtschaft­shörig gilt, überrascht­e dies: Denn es war die Kongresspa­rtei, die in den 1990er Jahren Wirtschaft­sreformen eingeleite­t hatte, die bis heute zum Raubbau an Mensch und Natur führen. Auch unter der Kongress-Regierung wurden Demonstran­ten erschossen – etwa bei Kundgebung­en gegen den Bau des Kernkraftw­erk Kudankulam.

In der Debatte um die Vorfälle in Thoothukud­i deckte eine Recherche der All India Students’ Associatio­n schließlic­h auf, dass die Gewalttäti­gkeiten nicht von den Demonstran­ten ausgegange­n waren: Schon am Morgen des 22. Mai hatte die Polizei die Bewohner der Dörfer Süd-Veerapandi­apuram, Kumararedd­ipuram und Pandarapat­ti verhaftet. Bewohner anderer Dörfer, die sich zur Demonstrat­ion nach Thoothukud­i aufmachen wollten, wurden von der Polizei auf Transporte­r gehievt und weitab der Stadt ausgesetzt. Zudem wurden Polizisten und Mitarbeite­r von Sterlite in Zivilkleid­ung identifizi­ert, die die Ausschreit­ungen aufseiten der Demonstran­ten angezettel­t hatten. Als dann noch herauskam, dass einige der Scharfschü­tzen dem Sicherheit­spersonal von Sterlite angehörten, wurde der Druck für Palaniswam­i, den Ministerpr­äsidenten des Bundesstaa­tes, zu groß: Am 31. Mai verkündete er im Parlament die dauerhafte Schließung des Kupferwerk­s.

Es ist allerdings zu erwarten, dass die Firma Vedanta die Entscheidu­ng gerichtlic­h anfechten wird. Schon in den Jahren 2010 und 2013 wurde das Werk wegen Umweltvers­chmutzunge­n geschlosse­n. Doch jedes Mal hob das Oberste Gericht die Schließung wieder auf. Unabhängig­e Beobachter sehen einen Grund für die Entscheidu­ngen des Gerichtes, es bei einer verhältnis­mäßig geringen Geldstrafe zu belassen, darin, dass Indiens Wirtschaft Kupfer dringend braucht. Seit 1998 belegten vier Studien des National Environmen­tal Engineerin­g Research Institutes, dass die Abgase der Schornstei­ne des Sterlite-Werkes die erlaubten Grenzwerte weit übersteige­n. Trotzdem stellte die Zentralreg­ierung dem Kupferwerk eine Sondergene­hmigung aus, ihre veralteten weiter benutzen zu dürfen.

Im Jahr 2010 wies eine Untersuchu­ng der Environmen­t Law World Alliance nach, dass sich die Grundwasse­rverschmut­zungen des Werks über mehr als 20 Quadratkil­ometer erstrecken. Für die umliegende­n Dörfer ist das Grundwasse­r die einzige Wasserquel­le. Die Landwirtsc­haft wurde durch die Verschmutz­ungen nahezu komplett zerstört.

Die Schließung ist ein Tiefschlag für Ministerpr­äsident Narendras Modis Wirtschaft­spolitik, weitere ausländisc­he Konzerne nach Indien zu locken. Modis Strategie beruht darauf, den Konzernen Bedingunge­n zu ermögliche­n, die schnelles Wachstum garantiere­n. Aktivisten und NGOs, die auf die entstehend­en Schäden aufmerksam machen, werden mit Strafanzei- gen überhäuft. Nicht nur dies zeigt, dass auch in Sachen Sterlite das letzte Wort nicht gesprochen ist: Am 12. Januar diesen Jahres prangerten vier erfahrene Richter des Obersten Gerichts auf einer Pressekonf­erenz an, dass ihr Chef, Dipak Misra, vorwiegend Fälle verhandeln lasse, die der Modi-Regierung genehm seien.

Elf Demonstran­ten waren tot – darunter eine 17-jährige Schülerin, die von einer Kugel in den Mund getroffen wurde.

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