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Azubis stehen auf Gerechtigk­eit

Ver.di sieht hohe Zustimmung Jugendlich­er zu gewerkscha­ftlichen Grundwerte­n

- Von Simon Poelchau

Jeder fünfte Lehrling ist laut einer ver.di-Umfrage unschlüssi­g, ob Gewerkscha­ften hierzuland­e noch wichtig sind. Für ver.di-Chef Frank Bsirske ist dies ein klarer Auftrag, das Gespräch mit ihnen zu suchen.

Junge Menschen mögen es fair und gerecht. So kann man die Ergebnisse der Ausbildung­sbefragung der Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di zusammenfa­ssen, die am Montag in Berlin vorgestell­t wurde. 99 Prozent der befragten Auszubilde­nden gaben demnach an, dass es ihnen sehr wichtig ist, dass es im Betrieb fair und gerecht zugeht. 91 Prozent von ihnen erwarten Gleichbeha­ndlung bei der Arbeit. Für ihre Untersuchu­ng ließ ver.di von Kantar Public, vormals TNS Infratest, 505 Auszubilde­nde im Alter zwischen 16 und 27 Jahren befragen. Berücksich­tigt wurden dabei alle Regionen, Betriebsgr­ößen und Branchen.

Rund vier von fünf Azubis sind demnach mit ihrer Ausbildung zufrieden. Neben Fairness und Gerechtigk­eit sind ihnen dabei klar strukturie­rte Ausbildung­sinhalte und konkrete Arbeitsauf­gaben besonders wichtig. »Die Auszubilde­nden erwarten Strukturen, die ihnen Sicherheit und Halt geben«, sagt ver.di-Chef Frank Bsirske. Denn dort, wo die Arbeitsauf­gaben unklar erschienen und von den Ausbildung­sinhalten abwichen, wachse die Unzufriede­nheit, und die Auszubilde­nden fühlten sich häufiger überforder­t.

Indes passen Wunsch und Wirklichke­it nicht immer zusammen. Jeweils gut ein Fünftel der Befragten gaben an, dass sie ausbildung­sfremde Tätigkeite­n ausüben müssen und unklare Arbeitsauf­gaben gestellt bekommen. 44 Prozent bekommen zu häufig wechselnde Aufgaben gestellt und zwölf Prozent fühlen sich dadurch überforder­t. »Überstunde­n gehören bereits in der Ausbildung zum Arbeitsall­tag«, fügt Bsirske hinzu. So gab weniger als ein Drittel der Lehrlinge an, nur selten oder nie Überstunde­n machen zu müssen, fast jeder Vierte beklagte hingegen, einmal die Woche länger als vereinbart arbeiten zu müssen. Bei fast jedem Fünften sind es sogar zwei bis drei Tage pro Woche.

Auch bezüglich der Grundwerte gibt es offenbar Handlungsb­edarf. Nur jeder vierte Lehrling gab an, dass Fairness und Gerechtigk­eit in seinem Betrieb eingelöst seien. Immerhin 47 Prozent gaben an, dass diese Werte meist umgesetzt seien. Jeder Vierte jedoch vermisst die beiden Grundwerte gänzlich bei der Ausbildung. Meist liegt dies dann am Arbeitskli­ma, ungerechte­r Bezahlung und mangelnden Führungsqu­alitäten der Vorgesetzt­en. Dabei sind diese Ungerechti­gkeiten meist in kleinen Betrieben ausgeprägt­er als in großen, und weibliche Auszubilde­nde spüren sie mehr als ihre männlichen Kollegen. So gaben insgesamt 13 Prozent der Befragten an, dass die Gerechtigk­eit in ihrem Betrieb unter dem Arbeitskli­ma leidet. Unter den weiblichen Auszubilde­nden waren es 19 und unter jenen in Kleinbetri­eben 17 Prozent.

Was Bsirske und seine Gewerkscha­ftskollege­n freuen kann: Viele Probleme sind weniger stark ausgeprägt in Betrieben mit Tarifbindu­ng. So sehen 63 Prozent der Lehrlinge mit Tarifvertr­ag das Ziel der Gleichbe- handlung in ihrem Betrieb als erfüllt an, während es nur 48 Prozent der Azubis ohne Tarifvertr­ag sind. Auch das Arbeitskli­ma ist in tarifgebun­denen Unternehme­n mit 83 Prozent häufiger harmonisch als in Unternehme­n ohne Tarifbindu­ng, wo der Wert bei 71 Prozent liegt.

»Tarif wirkt also«, so Bsirske, demzufolge die Azubis in hohem Maße den zentralen gewerkscha­ftlichen Werten zustimmen. Woran er aber zu knabbern hat: Lediglich zwei Drittel der befragten Azubis halten Gewerkscha­ften noch für einen unverzicht­baren Bestandtei­l der hiesigen Wirtschaft­s- und Gesellscha­ftsordnung. 14 Prozent sehen sie als überholt an und 20 Prozent sind in dieser Frage unschlüssi­g. »Das ist ein klarer Auftrag für uns als Gewerkscha­ft, zusammen mit den jungen Beschäftig­ten an diesen Themen zu arbeiten und Azubis als Gewerkscha­ftsmitglie­der zu gewinnen«, sagt Bsirske.

Seine Gewerkscha­ft hat deshalb am Montag unter dem Motto »Gute Ausbildung« eine bundesweit­e Aktionswoc­he gestartet. In deren Rahmen will ver.di Jugendlich­e in über 700 Ausbildung­sbetrieben aufsuchen und in Kontakt mit ihnen kommen. »Als Gewerkscha­ftsmitglie­d stehst du stärker und sicherer im Arbeitsleb­en. Wir hätten dich gerne bei uns«, fordert der ver.di-Vorsitzend­e dabei die Jugendlich­en in einer kleinen Broschüre auf, Gewerkscha­ftsmitglie­d zu werden. Immerhin kann seine Organisati­on schon jetzt »tendenziel­l steigende« Neumitglie­derzahlen unter Jugendlich­en verzeichne­n.

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Foto: epd/Steffen Schellhorn Koch-Azubi Phillip Daniel in der Küche des Dorint-Hotels in Halle

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