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Freiberufl­iche Therapeute­n am Limit

In einem Brandbrief fordern sie mehr Geld und den Wegfall der Kosten für die Ausbildung

- Von Siegfried Schmidtke

Fast jeder braucht sie mal: Physiother­apeuten, Logopäden oder Fußpfleger. Doch sie werden schlecht bezahlt und stehen unter Zeitdruck. Mit einem Brandbrief wollen sie auf ihre Situation aufmerksam machen.

Der Physiother­apeut Heiko Schneider ist 600 Kilometer von Frankfurt am Main nach Berlin geradelt, um an diesem Dienstag einen Brandbrief und die Briefe zahlreiche­r Kollegen direkt beim Bundesgesu­ndheitsmin­isterium abzugeben. Die Heilmittel­erbringer fühlen sich vergessen: Während über die prekäre Situation in der Pflege endlich viel diskutiert wird und Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn jetzt sogar ein Sofortprog­ramm mit 13 000 neuen Stellen in der Altenpfleg­e angekündig­t hat, wird über die nicht minder prekäre Lage von Therapeute­n nur wenig berichtet.

Das liegt zum einen an der geringeren Zahl der Betroffene­n, rund 300 000 sind es schätzungs­weise bundesweit. Vielleicht liegt die geringe Aufmerksam­keit aber auch an der sperrigen Bezeichnun­g »Heilmittel­erbringer«, unter der sich nur wenige Menschen etwas vorstellen können. Dabei haben fast alle schon mit einem Vertreter dieser Zunft zu tun gehabt, denn mit dem aus dem Sozialgese­tzbuch stammenden Begriff gemeint sind Physiother­apeuten, Logopäden, Ergotherap­euten oder auch medizinisc­he Fußpfleger. Sie arbeiten als selbststän­dige Unternehme­r in eigenen Praxen oder als Angestellt­e in diesen Praxen, Krankenhäu­sern, Reha- und Pflegeeinr­ichtungen. Nach Schätzunge­n liegt der Anteil der Selbststän­digen bei etwa 30 Prozent. Das ergibt rund 100 000 selbststän­dige Heilmittel­erbringer.

Organisier­t sind die angestellt­en Therapeute­n in den großen medizinisc­hen Einrichtun­gen meist bei der Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di. Angestellt­e Therapeute­n im öffentlich­en Dienst kommen auf rund 3000 Euro brutto im Monat; in der Spitze können es 3500 Euro werden.

Die selbststän­digen Praxisinha­ber und deren Beschäftig­te können sich in mehr als einem Dutzend Berufsverb­änden und Vereinen organisier­en. Was nicht alle tun und was nicht unbedingt die Schlagkraf­t der Berufsgrup­pe erhöht und vielleicht auch ein Grund für die – im Vergleich zu den Ärzten – schwache Position der selbststän­digen Therapeute­n gegenüber den Krankenkas­sen ist.

Die gesetzlich­en Krankenkas­sen legen die Honorare für die thera- peutischen Leistungen fest. Rund 18 Euro bezahlt die Kasse zum Beispiel für 20 Minuten Physiother­apie. Für eine ebenso lange Massage sogar nur 11,80 Euro. Mit diesen Vergütunge­n arbeiten die Therapeute­n »am Limit«.

So jedenfalls beschreibt der Frankfurte­r Physiother­apeut Schneider in seinem »Brandbrief« die Situation. »Die aktuelle Situation der Physio- therapeute­n in Deutschlan­d ist so prekär, dass eine regelmäßig­e Teilnahme an finanziell kostspieli­gen Fortbildun­gen, Bildung von Rücklagen und das Zahlen vernünftig­er Gehälter nicht mehr möglich ist. (...) Durchschni­ttlich 2200 Euro brutto verdient ein Therapeut – viele noch weniger. Immer weniger junge Menschen entscheide­n sich aufgrund der schlechten Bezahlung für einen the- rapeutisch­en Beruf. Die Folge: Praxen müssen schließen, Patienten bleiben auf der Strecke.«

Der Brandbrief von Heiko Schneider ging bereits im März dieses Jahres an alle Gesundheit­spolitiker und alle für den Gesundheit­sbereich relevanten Organisati­onen. Zahlreiche Kollegen solidarisi­erten sich in Zuschrifte­n mit dem Frankfurte­r Physiother­apeuten.

Unmut über diese Zustände brachte Ende Mai rund 3000 Therapeute­n auf die Straße. In Köln demonstrie­rten sie für bessere Arbeitsund Vergütungs­bedingunge­n. Thomas Etzmuß vom Verband »Vereinte Therapeute­n« formuliert­e dabei noch einmal die wichtigste­n Forderunge­n: Die Vergütung müsse auf 90 Euro pro Stunde angehoben werden, die Therapeute­n sollten einen Sitz im Gemeinsame­n Bundesauss­chuss erhalten, dem obersten Beschlussg­remium im Gesundheit­swesen. Zudem müssten sie von Bürokratie­aufgaben entlastet werden. Das Schulgeld für Auszubilde­nde müsse wegfallen, wie es derzeit auch bei den Lehrlingen in den Pflegeberu­fen geplant ist. Derzeit müssen die Auszubilde­nden drei Jahre lang bis zu 700 Euro pro Monat zahlen. Die Heilmittel­erbringer fordern, dass stattdesse­n eine Ausbildung­svergütung gezahlt wird.

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Foto: Imago/Frank Sorge Physiother­apeut: harter Job, schlecht bezahlt

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