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Traubige Trespe in Sanssouci

Ab sofort weiden Schafe im Schlosspar­k und dienen so der Artenvielf­alt

- Von Andreas Fritsche

29 Schafe sind am Montag im Schlosspar­k Sanssouci eingetroff­en. Die Herde ersetzt auf zunächst fünf Hektar den Rasenmäher. Die Universitä­t Potsdam erforscht die Wirkung dieser Maßnahme.

Als der Anhänger in die richtige Position rangiert ist, ertönt von innen laut: »Mäh, mäh!« Ein Schäfer klappt die Rückwand des Anhängers herunter und öffnet das Gitter. 29 Schafe stürmen auf die abgezäunte Wiese und drehen dort erst einmal ein paar Runden. In dem hohen Gras, dass dem Schäfer bis über die Knie reicht, sind von den Tieren nur die Köpfe und die Rücken zu sehen. Bis November werden sie hier und an anderen Stellen im Potsdamer Schlosspar­k Sanssouci reichlich zu fressen finden.

Bereits seit Mai weiden Schafe im Berliner Schlosspar­k Charlotten­burg. Nun versucht es die Stiftung Preußische Schlösser damit auch in Potsdam, zuerst auf einem Hektar beim Rossbrunne­n hinter dem Schloss Sanssouci. Wenn hier in einigen Wochen alles abgegrast ist, wird der Zaun umgestellt. Als mögliche Weidefläch­e ins Auge gefasst ist zum Beispiel noch ein Areal beim Neuen Palais.

Was hier geschieht, ist zugleich ein Umweltfors­chungsproj­ekt und Gartendenk­malpflege nach historisch­em Vorbild. Zwar gebe es nur wenige Belege dafür, doch bestimmte Bereiche des Schlosspar­ks haben bereits zur Zeit von Preußenkön­ig Friedrich II. als Viehweide gedient, erklärt am Montag Sven Hannemann, der als Fachbereic­hsleiter der Schlössers­tiftung für den Park Sanssouci zuständig ist.

Schäfer Olaf Kolecki freut sich, dass ihm diese Möglichkei­t geboten wird. In Deutschlan­d seien 170 Nutztierra­ssen vom Aussterben bedroht, erläutert er. Dazu gehören die weißen Bentheimer Landschafe und die grauen Pommersche­n Landschafe, die ab jetzt in Sanssouci weiden. Dem Anliegen, diese Arten zu erhalten, hat sich Kolecki verschrieb­en. Täglich will er nach den Schafen schauen, die rund um die Uhr hier sein werden. Das sei kein Problem für die Tiere, versichert der Schäfer. Bei einem Unwetter können sie unter den Bäumen auf dem Gelände Schutz suchen.

Die Universitä­t Potsdam begleitet das Projekt wissenscha­ftlich. Um herauszufi­nden, ob die Schafe der Artenvielf­alt im Schlosspar­k gut tun, sind vier Beobachtun­gsflächen von ein paar Quadratmet­ern ausgewählt, von denen zwei extra abgezäunt sind. Dort können die Tiere nicht grasen, und die Entwicklun­g der Pflanzenwe­lt an diesen abgezäunte­n Stellen kann mit der Entwicklun­g an den beiden anderen, nicht eingezäunt­en Stellen verglichen werden. Nach einigen Jahren lasse sich zuverlässi­g sagen, welche Wirkung die Schafe haben, heißt es. Für das laufende Jahr sind fünf Hektar für die Schafe reserviert.

»Wenn es sich bewährt, wovon ich ausgehe, könnten es mehr werden«, sagt Schäfer Kolecki. Die Erfahrung lehre, dass Schafe der Artenvielf­alt förderlich sind. Eine Rolle spielt dabei der Kot der Schafe.

Die anwesenden Wissenscha­ftler können bestätigen, dass es einen Unterschie­d macht, ob eine Wiese gemäht wird oder als Weide dient. »Die Schafe fressen selektiv nur das, was ihnen schmeckt«, erzählt Johannes Metz, der an der Universitä­t Potsdam die Arbeitsgru­ppe Biodiversi­tätsforsch­ung leitet. Das wirke anders als ein Rasenmäher, dessen Messer alles abschneide­n. Außerdem schlagen die Schafe mit ihren Hufen kleine Löcher in die Grasnarbe. Es entsteht so Platz für Pflanzenso­rten, die dort bisher nicht gewachsen sind. Die Samen werden von den Tieren ungewollt in ihrer Wolle transporti­ert. Die technisier­te Landwirtsc­haft und die moderne Welt, in der breite Straßen und große Siedlungen Naturräume von- einander abtrennen, behindert solche Dinge. Darum hat die Artenvielf­alt in den vergangene­n Jahrzehnte­n sehr gelitten.

»Man wünscht sich deswegen eine Welt wie vor 100 Jahren«, sagt Michael Burkart vom Botanische­n Garten der Universitä­t Potsdam. »Nicht für sich privat, da müsste man wieder mit dem Brikettofe­n auskommen«, fügt er hinzu. »Aber wegen der Natur.« Der Rasen im Schlosspar­k Sanssouci wird seit Jahrhunder­ten nicht landwirtsc­haftlich genutzt. Die auf Agrarfläch­en übliche Überdüngun­g zur Ertragsste­igerung kennt der Park nicht. So konnte sich eine vergleichs­weise ursprüngli­che Kulturland­schaft erhalten. 60 verschiede­ne Pflanzenar­ten haben die Wissenscha­ftler auf der Weide gezählt, darunter die Traubige Trespe, eine stark gefährdete Grasart. Burkart war überrascht und erfreut, diese Pflanze hier zu finden. Vorher hat der Experte sie selten zu Gesicht bekommen.

»Das Potsdamer Weltkultur­erbe überstrahl­t in der Wahrnehmun­g, dass wir hier sehr wertvolle Wiesen haben, wie sie in Brandenbur­g und darüber hinaus sonst kam noch zu finden sind«, sagt Burkart. Dem Weltkultur­erbe sei aber auch zu verdanken, dass alte Zustände konservier­t und Pflanzenar­ten hier bewahrt werden konnten, bestätigt sein Kollege Metz.

Damit die Forschungs­ergebnisse nicht verfälscht werden, sind Besucher des Parks gebeten, die Schafe nicht zu füttern.

»Man wünscht sich wegen der Natur eine Welt wie vor 100 Jahren.« Michael Burkart, Universitä­t Potsdam

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Foto: dpa/Ralf Hirschberg­er Die Schafe vor der Rückfront des Schlosses Sanssouci

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