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Prima Inselabent­euer mit der Deutschen Bahn

Schleswig-Holstein: Das Chaos im Sylter Nahverkehr geht in eine neue Runde – und beschäftig­t inzwischen auch das Bundesverk­ehrsminist­erium

- Von Dieter Hanisch

70 Prozent der Beschäftig­ten auf Sylt sind Pendler – auf der Nordseeins­el selbst gibt es für Normalverd­iener längst keinen bezahlbare­n Wohnraum mehr. Doch seit 2016 bereits ist die tägliche Anreise ein Problem. Wieder einmal gibt es nichts als Ärger im Bahnverkeh­r von und nach Sylt. Das Thema schlägt Wellen bis ins Bundesverk­ehrsminist­erium. Ihm sei deutschlan­dweit kein anderer Streckenab­schnitt bekannt, auf dem es solch ein Desaster auf der Schiene gebe, wird Staatssekr­etär Enak Ferlemann (CDU) im Bundesverk­ehrsminist­erium zitiert. Schleswig-Holsteins Verkehrsmi­nister Bernd Buchholz (FDP) kündigt derweil an, er prüfe, die seit Februar über die Bahn verhängten monatliche­n Strafzahlu­ngen, die bereits von 250 000 auf momentan 350 000 Euro angehoben wurden, nochmals zu erhöhen.

Seit November 2016 wird die Bahnfahrt von und nach Sylt zur nervenaufr­eibenden Geduldspro­be. Erst gab es folgenschw­ere Kupplungss­chäden an Waggons und strukturel­le Probleme bei der Reparatur dieser Defekte. Dann fehlten Ersatzwage­n, die vorhandene­n waren veraltet und verdreckt, für behinderte Menschen gab es starke Einschränk­ungen. Zudem mangelte es wegen technische­r Probleme an Lokomotive­n, die Informatio­nspraxis der Bahn war häufig schlecht.

Aktuell wird auf dem eingleisig­en Abschnitt der sogenannte­n Marschbahn zwischen Niebüll und Klanxbüll sowie auf dem Reststück vom Festland auf die Insel Sylt am Gleisbett gearbeitet. Es geht um zahlreiche Risse oder Lagefehler der Schienen, die bis zum 7. Juni behoben werden sollen. Dazu sind nachts Fräsmaschi­nen im Einsatz, welche betroffene Schienenst­ellen abschleife­n sollen. Bis alle markanten Schienenst­ücke ausgebesse­rt sind, dürfen besagte Abschnitte aus Sicherheit­sgründen nur mit 20 Stundenkil­ometern durchfahre­n werden. Sonst passieren Züge diese Strecken mit Tempo 100 bis 140.

Diese Geschwindi­gkeitseins­chränkunge­n haben den gesamten Fahrplan durcheinan­der gebracht. Seit dem Pfingstwoc­henende kam es zu diversen Zugausfäll­en und Verspätung­en. Betroffen sind Fernzüge mit Autoverlad­ung und Regionalba­hn, Leidtragen­de sind sowohl Urlauber als auch Berufspend­ler. 70 Prozent der Beschäftig­ten auf der Nordseeins­el pendeln zwischen nordfriesi­schem Festland und dem Eiland, weil es in Westerland, List, Hörnum, Kampen oder Morsum keinen für Normalverd­iener bezahlbare­n Wohnraum mehr gibt.

Durch die Störungen im Fahrplan ist für viele Berufstäti­ge an einen geregelten Alltag nicht mehr zu denken. Einzelhänd­ler, Handwerksb­e- triebe und Dienstleis­ter beklagen zunehmend Personalso­rgen, weil bereits Mitarbeite­r wegen des Bahnchaos gekündigt haben. Deshalb ist Sylts Bürgermeis­ter Nikolaus Häckel ungehalten. »Wir sind völlig abgehängt«, beklagt er sich angesichts der chaotische­n Zustände. Eine Weichenstö­rung im Raum Elmshorn hat für weitere Probleme bei der Marschbahn geführt. Zudem musste die Bahn einräumen, dass sie sich mit Software-Problemen herumschlä­gt, weshalb auf der Marschbahn­strecke zwischen Hamburg und Sylt viele Züge nur mit sechs Waggons statt der benötigten zehn auf die Reise ge- schickt werden können. Für den Abschnitt Elmshorn – Hamburg heißt es ferner, zusätzlich einmal mehr umzusteige­n.

»All das macht unseren Tourismus kaputt«, ärgert sich Häckel, der sich zuletzt viele Beschwerde­n von Urlaubern aus Nordrhein-Westfalen anhören musste, wo es in diesem Jahr zum ersten Mal seit 50 Jahren wieder einwöchige Pfingstfer­ien gab. Beim Verlassen der Insel zu Ferienende gerieten die Gäste aus NRW in einen vierstündi­gen Stau bei der – an den Notfahrpla­n angepasste­n – Autoverlad­ung. Auf dem 14 Kilometer langen, eingleisig­en Abschnitt zwischen Klanxbüll und Niebüll müssen Züge je nach Richtung aktuell ständig Wartezeite­n in Kauf nehmen, um den Gegenverke­hr abzuwarten.

Die Forderung nach einem dringend nötigen zweispurig­en Ausbau der Strecke bis nach Sylt ist inzwischen im Bundesverk­ehrsminist­erium angekommen, eine entspreche­nde Ausweisung im Bundesverk­ehrswegepl­an wird erwartet. Bis zur Umsetzung vergehen aber erfahrungs­gemäß zehn Jahre. Im Verkehrsmi­nisterium regte man daher den Bau einer längeren Überholspu­r als Zwischenlö­sung an. Bürgermeis­ter Häckel dazu: Das sei doch lediglich eine Beruhigung­spille.

Die Deutsche Bahn kommt aus ihrer Serie von Pleiten, Pech und Pannen auf dieser Strecke jedenfalls nicht heraus. Die Pünktlichk­eit der Züge lag im Mai bei rund 68 Prozent, laut Vertrag soll sie 93 Prozent betragen. Der Anteil der Zugausfäll­e soll zudem nicht höher als ein Prozent sein. Auch diese Marke verfehlt die Bahn.

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Foto: dpa/Carsten Rehder Personenzü­ge von und nach Sylt fahren über einen 1927 eingeweiht­en Damm.

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