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Alle dürfen abstimmen

Einen Tag vor Beginn der WM stimmt der Fußballwel­tverband über den Gastgeber 2026 ab

- Von Jirka Grahl, Moskau

Wer bekommt die Fußball-WM 2026? Die FIFA wählt auf neue Art.

Wer darf die WM 2026 ausrichten? Neben dem Trio USA, Mexiko und Kanada hat sich auch Marokko beworben. Die Nordafrika­ner gelten als Außenseite­r, der US-Präsident baut zusätzlich­en Druck auf. Jeden Tag wird Moskau internatio­naler: Aus aller Welt landen jetzt die Fußballfan­s an, und selten nur sehen Ankömmling­e am Flughafen Scheremetj­ewo so bunt aus wie in diesen WM-Tagen. Kolumbiane­r in Gelb, Peruaner in Rot, in blau gewandete Franzosen und Deutsche in grünen Auswärtstr­ikots – die Schlangen, die sich in Scheremetj­ewo an Geldautoma­ten, Snackbars und Mobilfunka­nbieter-Shops bilden, sind vielfarbig.

Schon am Montagaben­d mischten sich einige Hundert WM-Touristen unter die Moskauer, die bei Auftritten einheimisc­her Popkünstle­r die Fanmeile nahe des Luschniki-Stadions einweihten. In Moskaus neu hergericht­eter Arena wird am Donnerstag die Fußball-Weltmeiste­rschaft mit dem Match Russland gegen SaudiArabi­en eröffnet.

Derweil steht bei der FIFA schon vor dem ersten der insgesamt 64 Spiele eine Entscheidu­ng an, die für die Zukunft des schwer in die Kritik geratenen Weltverban­des entscheide­nd sein könnte. Auf dem FIFA-Kongress im Zentralen Moskauer Ausstellun­gskomplex »Expocenter« wird am Mittwoch nämlich bestimmt, wer das Endrundent­urnier 2026 ausrichten darf: das Bündnis USA/Mexiko/Kanada oder aber Marokko, das die WM alleine ausrichten will. 2026 werden erstmals 48 Länder mitspielen.

Es ist nicht nur deshalb eine historisch­e Wahl. Erstmals seit mehr als 50 Jahren werden die 206 Mitgliedsv­erbände den WM-Ausrichter bestimmen und nicht die FIFA-Spitze. Zudem ist es die erste Wahl seit der umstritten­en Doppelverg­abe der WMTurniere an Russland 2018 und Katar 2022. Viele der FIFA-Granden, die 2010 unter dem Vorsitz von Joseph Blatter die heutigen WM-Ausrichter erwählten, sitzen seit 2015 hinter Schloss und Riegel. Damals erlebte die FIFA eine Art Urknall, als US-Behörden zuschlugen und die Kantonspol­izei Zürich massenhaft Funktionär­e in einem Luxushotel festnahm. Laut USErmittle­rn sollen Vizepräsid­enten, Kontinenta­lverbandsc­hefs und andere Spitzenfun­ktionäre allein aus den USA 150 Millionen Euro Schmiergel­der angenommen haben.

Auch der mit allen Wassern gewaschene Joseph Blatter war nicht zu halten. Die verbandsin­terne Ethikkommi­ssion suspendier­te ihn und seinen designiert­en Nachfolger, den UEFA-Präsidente­n Michel Platini aus Frankreich, gleich mit. Blatters Landsmann Gianni Infantino, nutzte die Gunst der Stunde und schaffte den Sprung vom UEFA-Generalsek­retär zum neuen FIFA-Präsidente­n im Februar 2016.

Seither führt Infantino die zumindest im Image stark ramponiert­e FIFA an und viele Kritiker monieren, alle Reformen seien nur herbeigere­det und mitnichten umgesetzt. Ihm nicht genehme Ermittler in der Ethikkommi­ssion wusste Infantino auszutausc­hen, vom FIFA-Kongress ließ er abnicken, dass der FIFA-Rat selbst bestimmen darf, wer in den »unabhängig­en« Kontrollor­ganen sitzt, die die FIFA kontrollie­ren sollen. Transparen­z sieht anders aus.

Die 2026er-Abstimmung ist nun die erste WM-Vergabe unter seiner Ägide und der Walliser hat sich klar positionie­rt. Geht es nach ihm, erhalten die USA den Zuschlag. Schließlic­h verspreche­n die Organisato­ren Einnahmen von nicht weniger als 14 Milliarden Dollar, fast die Hälfte mehr als Marokko eingeplant hat.

Die USA sind noch immer einer der lukrativst­en Fernsehmär­kte der Welt, ein zweites WM-Turnier auf dem afrikanisc­hen Kontinent hingegen ist deutlich weniger verheißung­svoll. In einem Prüfberich­t der FIFA erhält Marokko zudem deutlich schlechte- re Noten als das amerikanis­che Trio »United2026«, denn in der Tat müsste das Königreich unter anderem gleich neun neue Stadien für die vergrößert­e WM errichten.

Auch fehlt es an Unterbring­ungsmöglic­hkeiten für die Fans – Experten meinen, in fünfstelli­ger Höhe. Die Frage, wie sich in acht Jahren Hunderttau­sende Fans durch das Land bewegen sollen, ist ebenfalls vollkommen ungeklärt. Erstmals stehen ja 80 statt 64 Spiele an. Ach ja, Trainingsp­lätze für 48 Mannschaft­en bräuchte es auch noch. Die WM wird größer, teurer und sie dauert länger – ein Sieg des Amerika-Trios erscheint da eigentlich nur logisch.

Dennoch birgt die Abstimmung am Mittwoch allerlei Ungewisshe­iten. Denn US-Präsident Donald Trump hat mit seiner irrwitzige­n Rüpeldiplo­matie reichlich Anti-PR für die Vergabe eines globalen Sportspekt­akels betrieben. Die Einreiseve­rbote für Muslime, das Gerede über »Drecksloch«Staaten, die Strafzölle – dass die Abstimmend­en all das unbeachtet lassen, ist nicht zu erwarten.

Der US-Fußballver­bandschef Carlos Cordeiro beeilt sich jedenfalls, die Wogen zu glätten: Die Abstimmung sollte allein »auf den Vorzügen der Bewerbung« basieren forderte er unlängst: »Wir haben das Gefühl, dass wir den zwingender­en Vorschlag gemacht haben.«

Präsident Trump hat sich auch längst eingeschal­tet, auf Twitter – mit gewohnt subtilem Druck: »Es wäre eine Schande, wenn Länder, die wir immer unterstütz­en, gegen die US-Bewerbung Lobbyarbei­t leisten«, schrieb der Präsident vor Kurzem. »Warum sollten wir diese Länder unterstütz­en, wenn sie uns nicht unterstütz­en?«

Ob dieser Tweet nun hilfreich oder kontraprod­uktiv war, wird sich am Mittwoch zeigen. Neben USA/Kanada/Mexiko und Marokko gibt es für Unzufriede­ne ja sogar noch eine dritte Alternativ­e: Nein zu beiden. Wenn keiner der Bewerber die notwendige einfache Mehrheit der abgegebene­n Stimmen erhalten sollte, würde das Verfahren noch einmal für neue Bewerber geöffnet werden.

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Foto: imago/Agencia EFE
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Foto: imago/Action Plus Vier Mal hat sich Marokko schon für eine WM beworben. Sollte es diesmal klappen, wird 2026 wohl auch im Adrar Stadium in Agadir gespielt.
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Foto: imago/VI Images Bei der bislang einzigen Weltmeiste­rschaft in den USA feierten 1994 die Brasiliane­r im Rose Bowl Stadium von Pasadena den Titelgewin­n.
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Foto: imago/Agencia EFE Pro Nordamerik­a: FIFA-Präsident Gianni Infantino

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