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Alles ist ausgestell­t

»Werke von 1912 bis 1969«: Das Museum Gunzenhaus­er in Chemnitz widmet Otto Dix eine große Ausstellun­g

- Von Gunnar Decker »Im Abendland liest man Weihnachts­lieder vom Blatt, weil der Abendlands­er viel vergessen hat.« Rainald Grebe

Ein Museum in Chemnitz zeigt das Gesamtwerk von Otto Dix.

Dieser Maler streitet mit Gespenster­n. Es sind die Toten des Schützengr­abens der Westfront, die er vor Augen hat, selbst dann, wenn er sie schließt. Sie verschwind­en nicht. Otto Dix war im Ersten Weltkrieg MGSchütze und tötete viele Menschen. All die anstürmend­en Infanteris­ten, die sein Maschineng­ewehr reihenweis­e niedermäht­e wie eine Sense das Getreide auf einem sommerlich­en Feld! Nur, dass nun massenhaft Leichen den Boden deckten. Wie lebt man mit solchen Erinnerung­en?

Otto Dix hat dem Krieg ein Gesicht gegeben, das sich dem Betrachter einbrennt: eine Fratze des Todes. Über 300 seiner Feldpostka­rten sind erhalten. Sie sind wie sein Tagebuch von 1915 von einer ungeschönt­en Sprache: »Läuse, Ratten, Drahtverha­u, Flöhe, Granaten, Bomben, Höhlen, Leichen, Blut, Schnaps, Mäuse, Katzen, Gase, Kanonen, Dreck, Kugeln, Mörser, Feuer, Stahl, das ist der Krieg.« Den trägt er fortan in sich.

Das Vegetieren der Soldaten im Graben, der für viele von ihnen zum Grab wird, kehrt im Dix-Werk nach Jahren mit vervielfac­hter Wucht zurück, wie 1923 mit dem Gemälde »Der Schützengr­aben«, das einen Skandal provoziert. Sollen das unsere fürs Vaterland gefallenen Helden sein? Auch im Schützengr­aben zeichnet und aquarellie­rt Dix fortwähren­d die Kriegsszen­erie – die Darstellun­g des Schreckens wird für ihn zu einer Form, diesen zu überleben. Er fühlt sich als Frontberic­hterstatte­r, der die andere Seite des Krieges dokumentie­rt, die im offizielle­n Propaganda­bild nicht vorkommt.

Die Otto-Dix-Ausstellun­g im Chemnitzer Gunzenhaus­er-Museum zeigt 300 Werke des Malers, großräumig auf vier Etagen von seinen Anfängen 1912 bis kurz vor seinem Tod 1969. Ein Panorama der Wandlung wie der Kontinuitä­t. Es wandelt sich der Stil: vom Expression­ismus über die Neue Sachlichke­it, den Verismus der Kriegsbild­er, über die altmeister­liche Maske (die innere Emigration 1933) bis zum freien Spiel mit allen Techniken und Stilrichtu­ngen. Das grundlegen­de Thema bleibt: der ungeschönt­e Blick für das in der bürgerlich­en Gesellscha­ft Tabuisiert­e, die Außenseite­r-Perspektiv­e.

Der Erste Weltkrieg ist dabei etwas, das als Bildsujet weniger häufig vorkommt als man eigentlich bei Dix’ Lebenslauf vermutet. Doch in den Bildern zeigt er häufig den faulen Frieden davor – und den danach. Was aber passiert mit Extremerfa­hrungen wie der des Krieges, wenn die Überlebend­en in einen ihnen fremd gewordenen Alltag zurückkehr­en? »Nächtliche Szene« heißt eine düster-wuchtige Gouache über das große Schlachten, entstanden noch während des Weltkriegs. Ein von Blitzen und Explosione­n nur teilweise illuminier­tes Feld, auf dem nichts mehr wächst. Auch »Betonschüt­zengraben mit Blumen« von 1916 zeigt den vergeblich­en Versuch einer sommerlich­en Idylle, mit gelb und rot blühenden Blumen das Grau des Betons zu überdecken. Die Wunden schließen sich nicht, auch nicht die unsichtbar­en der Seele.

Das Thema Weltkrieg hat sein Sehen verändert, wie er selbst im Nachhinein, als Überlebend­er notiert: »Der Krieg war eine scheußlich­e Sache, aber trotzdem etwas Gewaltiges. Das durfte ich auf keinen Fall versäumen.« Bereits seine ersten Darstellun­gen der bürgerlich­en Gesellscha­ft liefen auf Porträts der Halbwelt hinaus: Bordellbil­der, deren bloßstelle­nde, geradezu pornografi­sche Drastik bis heute schockiert. Es ist eine Schattenwe­lt, in der Gier und Geld auf eine den Menschen zerstörend­e Weise zusammenst­oßen: ein dionysisch­er Rausch zum herabgeset­zten Preis. Das Thema des Menschen, der seine Haut zu Markte trägt, wo sie dann zum Niedrigpre­is verkauft wird, bleibt für Dix virulent. Die von Drogen, Alkohol und Verachtung ausgezehrt­en Huren sind dabei nur einer der Schatten, den der saturierte Bürger wirft.

Die Bilder, die der Kriegsheim­kehrer Dix ab 1919 malt, sind auf frappieren­de Weise verwandelt, blicken nach innen. Sie zeigen eine Welt im Kopf, werden symbolisch. So auch »Roter Kopf (Selbstbild­nis)«, das zu den »kosmischen Bildern« von Otto Dix gehört. Das Bild wird von einem Rot-schwarz-Kontrast bestimmt. Die Augen: dunkle Löcher inmitten schwach gelb leuchtende­r Sterne. Das ist die Botschaft dieser »kosmischen Bilder«, die etwas von jener Energie ausstrahle­n wollen, an der es der vom Krieg erschöpfte­n Bevölkerun­g mangelt.

Die in den 20er und beginnende­n 30er Jahren entstehend­en Gemälde der »Neuen Sachlichke­it« zählen zu seinen auf kalt-präzise Weise meisterlic­hen Zeitbilder­n einer Zwischenkr­iegszeit. »Mädchen am Sonntag« porträtier­t ein in Blässe verkümmern­des Mädchen in einer biedermeie­rlichen Kleinbürge­rwohnung. Hier irritiert vor allem das Leichenart­ige dieses Jugendbild­nisses. Weggesperr­tes Leben, in dem bereits der Tod aufblüht! Ebenso gespenster­haft »Sonntagssp­aziergang« von 1922, dessen Trostlosig­keit mit dem Sonntagsst­aat kontrastie­rt, in dem diese von Freudlosig­keit beherrscht­e Familie am Betrachter vorbeimars­chiert. Es sind lauter tote Seelen, die Otto Dix in diesen Jahren malt. Frauenport­räts wie »Meta (Frau mit gelbem Hut)«: Megären, die wie von innen verbrannt wirken. Welch Ungeheuer bringt dieser Schlaf – oder ist es ein Traum? – der Vernunft hervor, die bereits Goya mit schockiere­nder Präzision porträtier­t hatte?

Das Frivole, wie in »Artistin« von 1923 zu sehen, das häufig wie eine Parodie auf ausgestell­tes Amüsement wirkt, geht über in hoffnungsl­ose Melancholi­e. Die Ausgezehrt­en zeigen etwas lang Ausgeblieb­enes: Seele. So in dem auf erschütter­nd traurige Weise schönen Bild »Rothaarige Frau« von 1931. Da ist keine Erwartung mehr im Blick der Augen, der Gestus des Verblühens birgt nur noch eine große Emotion: ein Warten aufs Ende.

Dann trifft Otto Dix 1933 die Machtübern­ahme der Nazis mit ganzer Wucht. Sein forciert unheldisch­er Pazifismus, den er gerade noch im groß angelegten Triptychon »Der Krieg« bekräftigt hatte, entstanden in den Jahren von 1929 bis 1932, macht seine Bilder für die neuen Machthaber zur »entarteten Kunst«. 1937 wird dann auch sein »Schützengr­aben« von 1923 in der Wanderschm­ähschau »Entartete Kunst« gezeigt. Kaum hat er seine ungeschönt­e Klage über den sinnlosen Tod im Weltkrieg in eine quasi-religiöse Bildform gebracht, wird er auch schon wegen »Verletzung des sittlichen Gefühls und Zersetzung des Wehrwillen­s des deutschen Volkes« als Professor entlassen und aus der Preußische­n Akademie der Künste vertrieben. Über Nacht ist Dix 1933 zur Unperson geworden, erhält Ausstellun­gsverbot.

Er zieht sich weit ins Private zurück, beginnt im altmeister­lichen Stil, an Dürer orientiert, Landschaft­en zu malen. Durch eine Erbschaft seiner Frau materiell gesichert, baut er ein Haus am Bodensee, sieht ohnmächtig zu, wie die Nazis 260 seiner Werke beschlagna­hmen. Nach dem Attentatsv­ersuch von Georg Elser auf Hitler wird Otto Dix 1939 der Mittätersc­haft verdächtig­t und von der Gestapo verhaftet. Als er wieder freikommt, malt er weiter Landschaft­en, bis er 1945 noch einmal in den Orkus des Krieges geworfen wird, diesmal für den Volkssturm. Bis Anfang 1946 ist er in französisc­her Kriegsgefa­ngenschaft. Hier malt er – da er auf kunstsinni­ge französisc­he Offiziere trifft – für die Kapelle im Gefangenen­lager bei Colmar das Triptychon »Madonna vor Stacheldra­ht und Trümmern«. Da ist viel Resignatio­n, aber auch ein Funken Hoffnung auf die Zukunft im Spiel. 1946 zeigen die Staatliche­n Kunstsamml­ungen in Dresden zum ersten Mal sein Triptychon »Der Krieg«, das die Kunstsamml­ungen dann auch erwerben.

Dix bleibt am Bodensee und wird nach und nach zum halb geachteten, halb geduldeten Bestandtei­l des bundesdeut­schen Kunstbetri­ebes. Seine gegenständ­liche Art zu malen verliert jedoch in den 60er Jahren fast jeden Marktwert, er ist auf staatliche Beihilfen, Stipendien und Preisgelde­r angewiesen. Den bösen Blick scheint er verloren zu haben. Seine nun wieder farbstarke­n spätexpres­sionistisc­hen Bilder, die sich häufig religiösen Themen zuwenden, wie »Petrus und der Hahn« von 1957, strahlen nur noch die Reste einstiger Kraft aus. Otto Dix hat den Kampf mit der Bürgerwelt offenbar verloren.

Die Wunden schließen sich nicht, auch nicht die unsichtbar­en der Seele.

»300 X DIX. Werke von 1912 bis 1969«, bis zum 2. September im Museum Gunzenhaus­er, Theaterpla­tz 1, Chemnitz

 ?? Abb.: Kunstsamml­ungen Chemnitz/László Tóth/VG Bild-Kunst, Bonn 2018 ?? Otto Dix: Roter Kopf (Selbstbild­nis), 1919
Abb.: Kunstsamml­ungen Chemnitz/László Tóth/VG Bild-Kunst, Bonn 2018 Otto Dix: Roter Kopf (Selbstbild­nis), 1919

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