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Aus Furcht vor »Kettenreak­tionen«

Das Bundesverf­assungsger­icht bestätigt das geltende Streikverb­ot für verbeamtet­e Lehrer

- Von Ines Wallrodt

Der Staat sorgt für seine Beamten, und diese sind ihm dafür treu ergeben – und streiken nicht. So war es, so ist es und so soll es auch in Zukunft sein, bestimmten die Verfassung­srichter. Um abgrundtie­fe Enttäuschu­ng auszudrück­en, braucht es nicht viele Worte. Keine zehn Zeilen lang war der Kommentar der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) zur Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­icht, dass verbeamtet­e Lehrer auch künftig nicht streiken dürfen. Seit den 70er Jahren setzt sich die Gewerkscha­ft dafür ein. Doch anders als erhofft, wiesen die Karlsruher Richter nun sämtliche Argumente der Lehrer zurück, die wegen der Teilnahme an Streiks Disziplina­rstrafen erhalten und dagegen geklagt hatten. Nicht einen Punkt schenkten sie ihnen, abgesehen von der höchstrich­terlichen Er- mahnung des Dienstherr­n, bei der Alimentati­on großzügig zu sein. Demnach verstößt der deutsche Sonderweg beim Beamtenrec­ht weder gegen das Grundgeset­z noch gegen die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion.

An die Prüfung dieser Vereinbark­eit hatten sich einige Hoffnungen geknüpft. Der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte in Straßburg hatte vor einigen Jahren geurteilt, dass Beamte, die – anders als etwa Polizei und Militär – nicht hoheitlich tätig sind, durchaus streiken dürfen. Aus Sicht der Lehrer trifft das auf sie zu, denn das Funktionie­ren des Staatswese­ns ist durch Unterricht­sausfall nicht gefährdet.

Die deutschen Verfassung­srichter zählen die Lehrer nun aber doch einfach zum Teil der »hoheitlich­en Staatsverw­altung« und erklären, ihr Streikverb­ot diene dazu, das Grundrecht auf Bildung zu gewährleis­ten. Vor allem aber erneuern sie mit ihrem Urteil das althergebr­achte Bild des Berufsbeam­tentums und rüsten dafür richtig auf. Mit dem Streikrech­t stehen und fallen demnach Treuepflic­ht, Lebenszeit- sowie Alimentati­onsprinzip. Eine Änderung an dieser Stelle würde »eine Kettenreak­tion in Bezug auf die Ausgestalt­ung des Beamtenver­hältnisses auslösen und wesentlich­e beamtenrec­htliche Grundsätze und damit zusammenhä­ngende Institute in Mitleidens­chaft ziehen«, warnen die Richter. Besoldung per Gesetz, gerichtlic­he Überprüfun­g wären folglich passé.

Ob dieser Zusammenha­ng wirklich so zwingend ist – in europäisch­en Nachbarlän­dern sind Streikrech­t und Alimentati­onsprinzip beispielsw­eise durchaus vereinbar –, bleibt eine offene Frage, ob Veränderun­gsdruck auch wünschensw­ert sein könnte, eine andere. Der Bundesregi­erung hat Karlsruhe mit dem Urteil in jedem Fall ein großes Geschenk gemacht. Auch die nicht im DGB organisier­ten Berufsverb­ände zeigten sich erleichter­t. »Sonst wären Beamte im Schulberei­ch ein Auslaufmod­ell geworden«, erklärte etwa der Deutsche Lehrerverb­and. Den Klägern bleibt juristisch noch der Weg nach Straßburg. Man werde das Urteil eingehend prüfen und dann über die weiteren Schritte entscheide­n, sagt die GEW. Das letzte Wort ist vielleicht noch nicht gesprochen.

Üblicherwe­ise sind die Grundrecht­e beim Bundesverf­assungsger­icht in guten Händen. Seine Richter haben schon oft die Verfassung gegen autoritäre Angriffe verteidigt und mit ihren Entscheidu­ngen die Bundesrepu­blik moderner und liberaler gemacht. Beim Beamtenstr­eikrecht sind sie in dieser Hinsicht keine Hilfe, sie bestätigen mit dem Streikverb­ot vielmehr ein Relikt aus der Kaiserzeit. Danach sind Staatsdien­st und demokratis­che Rechte offenbar nicht vereinbar. »Rosinenpic­ken« wäre das, bemüht das Gericht sogar ein diffamiere­ndes Bild der Streikgegn­er. Dabei geht es beim Streikrech­t um ein nicht nur im Grundgeset­z, sondern auch in der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion abgesicher­tes Menschenre­cht, das doch nicht einfach gegen ein paar Beamtenpri­vilegien aufgerechn­et werden kann.

Der Zweite Senat hat ein enttäusche­nd eindimensi­onales Urteil gesprochen, das über sämtliche Widersprüc­he der realen Welt hinweggeht. Kein Wort dazu, dass der Schulbetri­eb in einigen Bundesländ­ern weitgehend ohne Beamte auskommt. Stattdesse­n sorgen sich die Richter um die Aufspaltun­g der Beamtensch­aft in einen Teil mit und einen ohne Streikrech­t. Dieselbe Zweiteilun­g der Lehrerscha­ft stört sie hingegen nicht. Aber die Widersprüc­he bestehen fort. Zu Ende ist die politische und wohl auch juristisch­e Auseinande­rsetzung deshalb nicht.

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